ELEVATOR

16 0 3
                                    


Oktober

Ganz selbstbewusst und selbstverständlich schließt Mark Lee an diesem Nachmittag sein Bürozimmer ab und läuft durch das Großraumbüro, geradewegs auf Donghyuck Arbeitsplatz zu. Drei andere Mitarbeiter sind hier und werfen dem Blonden nur einen kurzen desinteressierten Blick zu. Sie wissen schon genau, wo Lee Techs CEO hin will.

Donghyuck wünschte, er könnte auch von sich behaupten, es inzwischen cool hinzunehmen, aber jedes Mal, wenn Mark auf ihn zuläuft, fühlt es sich wieder so an, als wäre er kein Stück daran gewöhnt. Er atmet dann schneller, wird rot, würde am liebsten breit grinsen, er hofft, sein Hemd und die obligatorische Krawatte sitzen halbwegs und er hat nichts im Gesicht, und auch wenn er weiß, dass dieses Bild schon bekannt und uninteressant ist, fühlt er hundert Augenpaare auf sich.

Trotzdem rollt er mit den Augen und fährt den Computer herunter. "Ist dir eigentlich egal, was die Leute von dir denken", raunt er. Mark setzt sich seine Mütze auf. "Du wirst jedes Mal rot", bemerkt er, "süß." Er zieht Donghyucks Mantel von dessen Stuhl und hilft ihm hinein. "Können wir uns nicht am Aufzug treffen?", mault der Jüngere. Mark schnaubt. "Um Punkt drei Uhr? Grandiose Idee, die Gerüchte werden explodieren", argumentiert er. "Ich kann auch deine Hand nehmen. Oder dich küssen." Mit einem frechen, selbstgefälligen Grinsen registriert er, dass der Andere noch eine Spur röter wird.

"Ach, halt doch die Klappe", zischt Donghyuck und stapelt hastig einige Papiere übereinander, bevor er sein Licht löscht und sich zum Gehen wendet. "Was ist das denn für ein Arbeitsklima hier?" Mark fälscht einen Schmollmund und ehrlich, ein Lächeln steht ihm so viel besser. "Mein Boss will doch ein freundschaftliches Miteinander, oder nicht?" 

Mark versucht, ein kleines, sanftes Lächeln zu verstecken. Donghyuck sieht es trotzdem. Sie gehen zum Ausgang. "Komm schon, küsse ich wirklich so schlecht?", fragt er. Leise, dennoch bleibt Donghyucks Herz stehen und alle Fortschritte hinsichtlich seiner Gesichtsfarbe verschwinden schlagartig. Sie sind hier im Büro!

"Ja", lügt er knapp und stößt die Glastür auf. "Hm, kam mir damals nicht so vor." Mark hält die Tür auf und legt die Stirn in Falten. "Das war im Mai", macht Donghyuck einen schwachen Versuch, den einen Moment bei ihrem allerersten Zusammentreffen zu relativieren. Zwar bemüht er sich um einen neutralen Ton, aber in seinem Kopf klingt er gerade hysterisch wie nie zuvor.

Er strafft den Rücken und zieht den Gurt seines Rucksack ein winziges Bisschen enger. Auch wenn hier im Flur des vierten Stocks keine Menschenseele ist, hofft er, seine Körperhaltung sieht irgendwie entspannt und nicht wie das komplette Gegenteil des lässigen Marks aus. Der checkt kurz die Anzeige der aktuellen Position des Lift, seufzt leise und blickt dann kurz zu dem Dunkelhaarigen herüber. Und entweder ist Mark irre begabt im Gedankenlesen oder Donghyuck sieht tatsächlich schlimm aus, denn er sagt sofort: "Zieh die Schultern nicht so hoch, als würde ich dich mit einer Waffe bedrohen." Er drückt die Schultern des Anderen runter und tätschelt sie. "Chill. Atme, alles gut."

"Außerdem bist du ein grottiger Lügner", fügt er hinzu, als der Aufzug anrumpelt und sich mit einem 'Bing' ankündigt. "Wieso jetzt schon wieder?" Die Türen des Lifts öffnen sich. Der kleine Aufzug ist leer. Mark streckt die Hand aus und bewegt sie. "Du hast zurückgeküsst. Und das nicht gerade angewidert", stellt er fest und schürzt die Lippen. "Oh Gott, bist du Psychoanalytiker?", murmelt Donghyuck. Angespannt, denn er will nicht darüber sprechen, nicht jetzt, nicht hier, nicht irgendwann und nicht irgendwo. "Nur eine Feststellung. Geh rein."

"Nein, du zuerst. I got manners and shit. Bin ja nicht ganz ohne Anstand."

"Scheiß doch auf diese Normen!"

"Nein, ich..."

"Donghyuck, steig jetzt in diesen blöden Aufzug ein! Ich muss noch etwas erledigen!"

"Das, weswegen du an einem Freitag eigentlich schon so früh heim gehst? Sonst kannst du freitags nie früher Schluss machen."

"Ja. Nenn es Familienverpflichtungen."

"Deine Schwester?"

"Schrei noch lauter, oh mein Gott."

"Das war jetzt nicht lauter als vorhin jeder hören konnte, wie ich den neuen Geschäftsführer von Lee Technologies abgeknutscht habe!" Donghyuck schluckt. Plötzlich ist seine Kehle trocken und kratzig. Mark wedelt ungeduldig mit seiner Hand. "Wie auch immer. Steig in den Aufzug."

"Angenehmes Arbeitsklima, wirklich!"

"Verdammt, ich verstehe, was mein Vater mit schwierig gemeint hat. Jetzt steig ein."

"Nein, du-"

"Donghyuck, das war keine Bitte! Steig ein, verdammt nochmal! Ich hab im Auto was für dich."

"Ein Kondom?" Donghyuck schnaubt. "Danke, vielen Dank."

"Nein, eine Packung M&Ms, man. Aber so langsam verstehe ich, woher die Gerüchte kommen."


KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt