IDEAL

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Oktober

"Wieso nicht?... Bringst du ihm bei, Türen knallen ist gut, und Kommunikation nicht?"

Vorwurfsvoll entfernt Mark sich von Kyungs Teller und verschränkt die Arme vor der Brust. Er versteht das Erziehungskonzept des Jüngeren einfach nicht. Der windet sich. "Nicht jetzt. Wir sind so... unklar, Mark. Eine leere Menge. Ich erkläre ihm das genauestens und dann bist du weg? Das ist dann sein Weltbild, Mark, für immer."

"Sein Weltbild soll realistisch sein, lass uns mal beiseite. Du kannst sein Leben nicht vorprogrammieren und berechnen, Donghyuck, das geht nicht."

Seine Stimme ist laut geworden. Eingeschüchtert setzt sich Donghyuck aufrecht hin. "Ich will mich nicht in deine Erziehung einmischen, Donghyuck, wirklich nicht", sagt Mark schnell, weil er fürchtet, das Drama von vorhin könne sich wiederholen, "und noch weniger will ich mir dir darüber streiten. Aber ich kann und will nicht die nächsten sechs Monate warten und so tun, als wären wir fucking Kollegen!"

"Das, was wir ihm zeigen, was genau soll das überhaupt sein? Ich will nicht, dass..."

"Und ich will nicht, dass du dich selbst oder mich oder uns einschränkst wegen ihm! Das ist nicht fair und außerdem ist kein Leben vorhersehbar, auch nicht Ks. Du kannst ihm niemals ein optimales Weltbild verpassen, niemals. Und ich kann auch kein Vorzeigeobjekt für irgendwelche Ideale sein, das bin ich nicht. Und das will ich auch gar nicht sein!"

Donghyuck öffnet den Mund, um ihm etwas zu entgegnen, aber da klopft es zaghaft am Türrahmen. "Streitet ihr?" Kyung sieht ängstlich und niedergeschlagen aus und er sieht wahnsinnig klein aus, noch kleiner als sonst, obwohl er ohnehin nicht einmal annähernd an die Durchschnittsgröße sechsjähriger Jungen rankommt. "Nein", lügen die zwei Erwachsenen synchron. "Gut. Meine Mama hat früher immer gesagt, Liebende streiten nicht." Plötzlich ist Kyung wieder munter und er klettert unbekümmert auf seinen Stuhl.

"Tun sie wohl", äußert Mark, eine Sekunde vor Donghyucks vehementem "Wir sind keine Liebenden!"

Mark krallt sich in seine Serviette. Donghyuck auch.

"Hat mit Jaehyun eigentlich alles geklappt?"

Kyung nickt wichtig. "Sein Auto ist viel größer als deins, und er hatte ein Bounty für mich!" Mark lächelt. "Sein Auto ist schön und groß. Und Jaehyun ist voll nett", berichtet der Junge begeistert weiter. Mark nickt. "Gut, gut. War es für dich auch angenehm, Donghyuck?" Der nickt nur stumm und schiebt sich Lasagne in den Mund.

"Gut. Ich hab mit ihm geredet, er würde euch am Freitag fahren. Ich weiß nicht, wann mein Fox wieder einsatzbereit ist. Oder ob." Er lacht bitter auf. "Wie war eigentlich euer Termin?", erkundigt er sich. "Nervig", kräht Kyung, "wir haben Augentropfen für meine Anfälle bekommen, und Onkel Hyuck hat ewig mit dem Arzt diskutiert. Ich hab viermal komplett Memory gespielt, bis sie fertig waren. Aber irgendwie war mein Onkel nicht glücklich danach." Kyung fuchtelt mit seiner Gabel herum. "Und wir haben so lange gewartet, ich hätte meine Spielzeugfiguren mitnehmen können!"

Mark schluckt lautstark herunter. "Seit wann hast du Anfälle, K?", fragt er besorgt nach. Kyung blickt hilfesuchend zu seinem Onkel. "Früher schon ab und zu, in den letzten Wochen öfter. Ich will dich nicht beunruhigen. Hier ist nämlich nicht alles ideal." Donghyuck hebt mit herausforderndem Blick die Schultern. "Und wir haben die Stammbaumanalyse durchgesprochen. Wegen Nayoko, weißt du?" Er bemüht sich um einen Plauderton, aber der Blonde merkt, dass er nicht alles sagt.

~

"Spielen wir noch UNO?"

"Heute nicht, K", Mark lächelt müde, "nimm's mir nicht übel. Ich fahre jetzt dann." Der Junge schiebt die Unterlippe vor. "Na gut", schmollt er. "Sag gute Nacht und geh schon mal Zähne putzen, Großer. Ich bringe Mark zur Tür und komme dann Kontrollieren." "Komm gut nach Hause, Mark. Und sei nicht traurig." Kyung stellt sich breitbeinig vor den jungen Mann. "Meine Mama hat auch nie verstanden, was Papa so wertvoll an seinem Auto fand."

Er lächelt beschwichtigend, als wüsste er irgendetwas von der schlechten Laune, die sich vor fünf, sechs Stunden im Fox angestaut hat. Dann breitet er plötzlich seine kurzen Arme aus und wirft sich herzlich um die Hüfte des Blonden. Mark streichelt seinen Kopf nach zwei oder zwanzig Schrecksekunden, schaut dabei mit großen Augen Donghyuck an. "Schlaf gut, K."

"Bis bald, Mark!" Der Junge hopst davon, eine Tür, wohl die zum Badezimmer klackt ins Schloss. Mark zieht seine Augenbrauen hoch und fischt den Beanie von der Kommode. "Er zieht ihn über seine hellen Haare, und er öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen. Dann schließt er ihn wieder und zieht die Nase kraus. "Gute Nacht, Donghyuck", sagt er, "bis morgen."



1 Stunde und 16 Minuten zuvor

"Beeil dich, Hyuck, sonst können wir keine Bilder mehr gucken!"

Kyung hüpft voller Vorfreude auf dem Sofa herum. Die Nachricht von den neuen Teambildern hat den Jungen im Wartezimmer so gefreut und am liebsten hätte er sie sofort angeschaut, aber er war (unter Donghyucks strengem Blick) höflich genug und hat sich mit Jaehyun unterhalten. Und die Bilder eigentlich vergessen, hat Donghyuck gedacht. Aber wie Kyungs Kopf funktioniert, das gehört wohl zu den wenigen Dingen, die der Computerspezialist nie verstehen würde und wohl oder übel als 'Wunder' bezeichnen muss.

"Bleib cool, Kyungie. Du weißt, wie lange wir mit dem Bus vom Kindergarten brauchen. Mark wohnt da in der Nähe." Er schiebt die Lasagne in den Ofen und wirft einen Blick auf die integrierte Digitalanzeige. Dann geht er gespielt lässig zu seinem Neffen und lässt sich neben ihm auf dem Polster nieder. Aber eigentlich kann er kaum abwarten, bis Mark kommt.

Die Teamfotos sind in der Galerie des Dunkelhaarigen ganz oben, über Bildern von Marks Küche (sie folgten einer hitzigen Debatte über Küchenausstattungen), die er definitiv nicht zeigen wird. Die Selfies der letzten Wochen haben sie schon durch, Kyungie will sie trotzdem sehen, und Donghyuck ist froh, dass er sich gezwungenermaßen an all die Momente zurückerinnert, in denen kurz alles perfekt war.

Auf den meisten der Selfies grinst Mark frech, amüsiert und er sieht irre jung aus, trotz des Hemdes, der Krawatte und dem dunklen, erwachsenen Mantel. Auf sich selbst schaut Donghyuck nicht, aber aller Wahrscheinlichkeit nach sieht er sanft und stolz aus, stolz, dass er seinen Boss mit überspitzten Kommentaren und sinnlosem, blöden Argumentieren zum Lächeln bringt. 

Er mag das irgendwie, dass seine Sprüche, ja er, Mark Lee eine Reaktion wie Kichern oder eines dieser umwerfenden Lächeln entlocken kann. Er springt zu den Bürobildern. "Hier, Xiaojun kennst du ja. Und Jaemin hast du auch schon mal gesehen. Das ist Jisung und..." Er wischt auf dem Display herum, bleibt stehen bei einem Bild der Programmierercheftruppe, die schlicht aus ihm selbst und Mark besteht. Es gibt zwei Versionen von dem Foto und Donghyuck liebt sie beide.

"Das... halt!" Kyung bringt seinen Kopf näher an das Handy seines Onkels. Dann schaut er hoch zu Donghyuck und wieder runter. So wie die Jungs aus der Hardware immer grübeln, mit welchem Kabel die Kompatibilität zweier Geräte vielleicht gewährleistet sein könnte. Dann wischt er eigenständig zur zweiten Version des Bildes und zoomt an Marks Gesicht heran. "Er sieht unglücklich aus, Onkel Hyuck, hast du ihm wehgetan?"

"Nein, ich hab nur die Couch in seinem Büro beleidigt. Erinnerst du dich, das weiße Teil seines Vorgänger, wo wir drauf sitzen? Aber er ist mir nicht böse."

"Hat Mark dir versprochen, eine neue Couch zu kaufen, eine, die dir gefällt?" Kyung blinzelt unschuldig, entlockt Donghyuck ein verlegenes Kichern. "Nein, Kyungie", sagt er schlicht und ein paar Minuten lang wird es still. "Habt ihr nicht Hemdpflicht in der Arbeit?"

"Doch, aber Mark war vorher bei einem Meeting. Und soll ich dir was verraten? Poloshirt stehen ihm wirklich gut. Er sieht so jung und motiviert aus. Aber das dunkelrote ist noch schöner als das blaue hier." Er lässt die süßen Grübchen unerwähnt. Kyung denkt nach. "Stimmt. Er sieht cool aus", wertet er und Donghyuck stimmt äußerlich mit einem Nicken und innerlich mit lauter, energischer Stimme zu. Bloß nicht den Anschein erwecken, er wäre vom Aussehen seines Vorgesetzten angetan. Seine Poloshirt-Aussage bereut er jetzt schon, aber vielleicht veergisst der Junge sie ja.

Er steht auf.

"Willst du Fruit Ninja spielen, bis Mark kommt?"



KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt