Dezember
Der Weihnachtsmarkt funkelt und glitzert, blitzende Beleuchtung und viele, viele rote und goldene Weihnachtsdekoration überall. Es riecht nach Zimt und Kinderpunsch, zwei Meter weiter nach Bratwürstchen, dann nach Crêpes, dann nach gebrannten Mandeln. Jeder Geruchsmoment wird begleitet von demselben lahmen Weihnachtslied. Donghyuck stapft hinter seinem Bruder und Yoko her, die Hände in den Jackentasche vergraben. Er hat den Weihnachtszauber noch nie verstanden, das ist doch nur Geldmache und es ist viel zu kalt draußen. Seine Jacke riecht morgen bestimmt nach Rauch und er weiß schon, wer sich um Kyungie kümmern darf, wenn der wieder zu viel Magenbrot isst heute Abend. Yoko hat es gut, Gaeul spendet ihr Wärme und bugsiert sie sicher durch die Menschenmenge. Donghyuck ertappt sich, wie er sehnsüchtig den Blonden mit seinen Augen sucht. Aber Mark steht schon mit Kyung an dem gigantischen, reichlich geschmückten Baum und bestaunt ihn, zeigt dem Jungen mit seinem Arm irgendwas an und lacht leise.
Gaeul hat den Blick natürlich bemerkt. "Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?", will er beiläufig wissen. Nayoko grinst verschmitzt. "Paar Monate", antwortet sein jüngerer Bruder ausweichend. "Eine reine Arbeitsbeziehung also?", fragt die junge Frau lauernd. "Nein, ich würde schon sagen, dass wir Freunde sind abseits der Arbeit." Donghyuck hat der Antwort lange auf sich warten lassen. Er schaut extra offensichtlich von Mark weg, zu Kyungie, damit Gaeul aufhört, so zu gucken.
Yoko und Gaeul sind auf dem Weg zum Glühweinstand, während Donghyuck mit seinem Boss an der Bierbank sitzt, sein kleiner Neffe zwischen ihnen. "Wie feierst du eigentlich?" Kyung lässt die Beine baumeln und hält brav still, als sein Onkel seine Bommelmütze zurechtschiebt. "Wahrscheinlich wieder mit Jaehyun", entgegnet der, "und du? Und was hast du dir eigentlich gewünscht vom Christkind?" Kyung guckt gen Boden. "Onkel Hyuck hat gesagt, es kommt dieses Jahr nicht." Bedrückt fingert der Junge an seiner zweiten Packung Magenbrot herum. Über seinen Kopf hinweg schießt Mark einen vorwurfsvollen Blick auf den Jüngeren ab. Der hebt entschuldigend-gleichgültig die Schultern. "Ist viel los dieses Weihnachtsfest. Soll ich ihm meine Hilfe anbieten, K?"
"Das Christkind kommt nicht, sag mal, spinnst du?", sind Marks erste Worte, gleich nachdem Kyungie seine Eltern zu dem Kinderkarussel gezogen hat. Donghyuck hebt die Hände. "Hast du ne Ahnung, wie viel Aufwand das alles ist?", meckert er. "Außerdem ist Kyungie schon groß and er braucht dieses Märchen nicht mehr." Mark legt seine Hände beiläufig um Donghyucks kalte Finger. "Er ist sechs! Untersteh dich, ihm die Wahrheit zu sagen", argumentiert er. "Deine Finger sind ganz starr vor Kälte." Donghyuck grummelt unzufrieden und betrachtet ihre verbundenen Finger auf dem Biertisch zwischen ihnen liegen. Dann hebt er den Blick und konzentriert sich auf die dunklen Augen, die Wärme und den Druck von den Fingern seines Bosses. Mark streichelt nachdenklich seinen kühlen Handrücken. "Er ist sechs", wiederholt er kaum hörbar. "Lass ihm diese Fantasie doch noch ein wenig!"
"Wieso? Es ist Quatsch."
"Glaubst du nicht, ein bisschen Traumgebilde tut ihm noch gut? Die Realität ist schon schwer genug für K."
Donghyuck schnaubt. "Wer wollte um keinen Preis ein Idealbild für ihn sein?"
Mark löst ihre Hände. "Das ist was anderes!", behauptet er eingeschnappt, und schiebt schnell versöhnlich hinterher: "Pack deine Hände ein, sie sind kalt. Und ich hab sie nicht losgelassen, weil wir uns da uneinig sind. Kyung kommt bald mit seinen Eltern zurück und ich weiß, wie unangenehm das dir ist. Und wenn ich sie noch länger halten dürfe, könnte ich dir nichts garantieren."
~
Vielleicht hätte Mark sie doch halten sollen und nie wieder loslassen, und Mark trägt seinen Ring und Donghyuck nicht, weswegen am Lagerfeuer sich eine Frau mit orangener Bommelmütze neben ihn ans Geländer lehnt und den üblichen Spruch auspackt: "Hey na, öfter hier?" Donghyuck schaut sich unbewusst nach seinem Boss um, wo ist der denn schon wieder? Mit dem Versprechen, hier wäre es wärmer, hat Mark ihn im Rauch abgestellt und ist verschwunden, wo sein Bruder und alle anderen waren, darüber hat Donghyuck schon lange den Überblick verloren.
"Nur im Winter", erwidert er trocken und selbst das ist eine Lüge. Der Markt hier ist in Marks Stadtteil, er war noch nie hier. Die Frau lacht schrill. Sie verwickelt ihn in ein - für Donghyuck unangenehmes - Gespräch, fragt nach Dingen wie Beruf, Alter und Wohnort und Donghyuck schiebt aus Höflichkeit hinter jede Antwort ein "Und du?", aber schon nach wenigen Minuten gelangt zum Glück Marks Parfum in seine Nase und Donghyuck spürt seine Präsenz hinter sich.
"Hi, Donghyuckie", sagt er besonders laut und dominant, und anders als damals auf dem Parkplatz ist Donghyuck aufrichtig dankbar. "Alles gut? Ich hab dir warmen Punsch besorgt. Dir ist kalt, oder?" Mark schaut ihn prüfend an und die Frau ist vergessen. Donghyuck lächelt. "Danke, Mark."
"Wir sollten mal nach Kyungie schauen, was meinst du?"
"Hm." Hyuck guckt in seinen Punsch, unsicher, ob er die Frau einfach so stehen lassen kann. "Oder störe ich?" Marks unschuldiges Lächeln kann er hören. "Nein, ich wollte sowieso gerade gehen", sagt die Bommelmütze, "tschüss." Donghyuck atmet auf, als sie an ihnen vorbei läuft. "Das war kein Witz mit K. Gerade bin ich über deinen Bruder gestolpert, der sucht ihn auch. Ist vermutlich wieder den Baum anschauen gegangen, den fand er wohl sehr faszinierend", plappert Mark. "Und Gaeul hatte den Eindruck, du fändest mich faszinierend." Er grinst. "Nein nein, ich war erstaunt, wie gut deine Schuhe zur Jacke passen!"
"Netter Versuch, Mr Farbenblind."
"Ich bin farbenblind, okay!", protestiert Donghyuck. "Nur fast! Die blöden Kugeln hier sind nicht nur... ähm... golden! Sondern auch rot... oder blau?" Mark lächelt warm und streicht ihm über den Kopf. "Ist mir sowieso egal, Donghyuckie, das weißt du. Ich würde mich zu Yoko auf die Bank am Eingang setzen, ja?"
"Ist gut, Boss."