DEINE KLEINEN OHREN

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Januar, nach Kyungs OP

"Mark?"

"Ja, K?"

"Hilfst du mir mit Leos Freundebuch?"

Mark schaut von seinem Laptop auf und schmilzt beinahe dahin, als er den kleinen Kyung im Türrahmen erblickt, im Pyjama, gruseligen blauen Flecken um die Augen und mit einem roten, protzigen Freundebuch, das die Form von SpongeBobs Ananas-Haus hat. Und einem Stift. Und eigentlich weiß Mark ganz genau, dass Kyung kein Nein akzeptieren wird, daher versucht er es gar nicht erst. "Na klar. Komm her." Er klappt sein Laptop zu und mit ihm die Immobilienscout-Seite, vielleicht ist es zu früh, er will ja nur mal gucken. Kyung klettert glücklich neben den Blonden. "Wo ist Onkel Hyuck eigentlich?"

"Der ist mit Renjun und Jeno einkaufen. Er hätte dich mitgenommen, aber ich hab gesagt, er soll dich schlafen lassen." Er gluckst. "Wenn du einmal schon länger als sieben schläfst." Zugegeben, es war eine kleine Diskussion, bis Donghyuck gegangen ist, aber es war eine richtige Diskussion und sie war klein. Einerseits ist Mark stolz, dass der Andere ihm Argumente gegeben hat und offen seine Bedenken und Gefühle geschildert hat. Andererseits ist er stolz auf die erwachsene Resignation auf Donghyucks Seite am Ende der Konversation und auf das Vertrauen, mit dem der Jüngere ihn mit seinem Neffen in ihrer Wohnung lässt. Die letzten Monate sind überhaupt äußerst fruchtbar gewesen, was Mark und Kyung angeht. "Okay, dann wollen wir mal!" Mark schlägt das Buch auf und blättert zur ersten freien Seite. "Wie heißt du?"


~


"Das mag ich an dir?"

"Hä?"

"Was du gerne hast an Leo. Ich mag an dir zum Beispiel deine Energie und deine Sommersprossen. Und deine einzigartige Art, manchmal wie ein Erwachsener zu reden. Und an deinem Onkel mag ich... sein leises Schnarchen, den Moment wenn es in seinem Kopf rattert, seine bedingungslose Aufopferungsbereitschaft, seine süßen Versuche, alles mit Logik zu erklären. Sein friedliches Gesicht, wenn er schläft und ich mag eure Angewohnheiten gerne, mit den Fingern zu spielen, bei ernsten Gesprächen zu futtern und die Lippen so schmal zu machen." Er bricht ab, fragt sich, ob das hilfreich war. Kyung beißt auf der Unterlippe herum.

Kyung hat einen neckischen Kommentar auf den Lippen, ganz eindeutig. Aber er sagt nichts.

"Wenn das so ist, mag ich seine kleine Ohren", murmelt er, mehr fragend als irgendwas anderes, "... und seine Fröhlichkeit. Und die Zahnlücke. Ist das gut?" Mark nickt, lässt ihn noch einmal überlegen und lässt den Jungen schreiben. Als K mühevoll zwei Stichpunkte aufgemalt hat, fügt er hinzu: "Und dass ich ihm alles sagen kann und weiß, dass er mich nicht auslacht!"

"Das ist doch schön! Ich finde, das sollte er auf jeden Fall wissen. Schreib das auch noch auf."

"Das ist so viel und kompliziert, kannst du schreiben, Mark?"

"Natürlich, Großer. Was genau?" Mark zieht sich das Buch auf den Schoß und schreibt das komplette Feld voll und darüber hinaus, weil Kyung so viel mehr einfällt als nur die Ohren und die Zahnlücke (die wirklich drollig aussieht, jedes Mal ein bisschen mehr, wenn Kyungs bester Freund zu Besuch ist).

"Hey, Jungs!"

Donghyuck steckt den Kopf zur Wohnzimmertür herein. "Hab Besuch mitgebracht!" Zwei vertraute Gesichter tauchen neben ihm auf. "Huhu", macht Jeno, Renjun schenkt ihnen lediglich ein breites Lächeln und wedelt mit der Hand. "Renjun hat angeboten, dass er seine berühmten Zimtpancakes macht!"

"Und Jeno hilft. Wie gut, dass dein Lebensmittel-Nährstoffseminar da zu Ende ist, nicht wahr, Jen?"


~


"Kyungie zeigt den Jungs doch die Legofestung, die du mit Mark die letzten Wochen gebaut habt." Donghyuck stellt Eier und Milch zurück in den Kühlschrank. "Kaffee?", bietet er an. Mark legt ihm eine Hand auf den Rücken. "Was kann ich helfen, Donghyuckie?"

"Nichts, du hast Wochenende. War eine stressige Woche, so wie du erzählt hast."

"Du hast auch Wochenende. Und du redest zwar selten über MoonTech, aber ich wette, da ist es jetzt auch nicht unbedingt entspannt. Und die ganzen Termine mit K... ich darf dich ja wohl ein bisschen verwöhnen, Baby."

Donghyuck dreht sich um und küsst ihn kurzerhand. Seit sie sich kennen, ist es der erste Kuss, den Donghyuck in der Nähe seines Neffen initiiert, selbstbewusst initiiert. Und trotzdem ist es im Affekt, denn irgendwie ist es komisch, das vor dem Kleinen zu machen, obwohl sie ihm das alles längst nicht mehr verheimlichen. Aber das jetzt ist reiner Affekt, ehrlich, und wenn man es genau nimmt, ist jeder Kuss nichts als Affekt.

"Du kannst schon mal Kaffeetassen und so auf den Tisch stellen."


~


"Mark?"

"Hm?"

Renjun und Jeno sind längst wieder weg, als es am Abend ganz normale Spagetti Bolognese gibt, die Mark notdürftig gezaubert hat, als der Dunkelhaarige Kyungs Großmutter noch etwas hat vorbeibringen müssen. Das Abendessen hat der Jüngere sogar gelobt und die unzähligen Kritikpunkte als Anregungen zum Verbessern und Perfektionieren gelabelt. Die drei tiefen Teller sind längst leer und Kyung sieht aus wie ein harmloser Kannibale (oder ein glücklicher Verblutender), wie die Tomatensoße in Ks Gesicht wohl für Donghyuckie aussieht?

"Sagst du Onkel Hyuck eigentlich manchmal, dass du", er denkt angestrengt nach, "seine Zahnlücke magst?"

"Zahnlücke?" Donghyuck kneift die Augen zusammen und fährt mit der Zunge über seine makellose Zahnreihe. "Wo?"

"Nein, ähm, seine kleinen Ohren. Nee. Sein Futtern? Seine Sommersprossen?"

Mark schmunzelt. Vielleicht ganz gut, dass K das alles nicht mehr so genau weiß. "Ja, K", lächelt er, "ich sag ihm fast jeden Tag, dass ich seine kleinen Ohren mag." Donghyuck vollendet den Tellerturm lautstark mit einem Klirren. "Okay?"


KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt