GRAUER TASTE

12 0 0
                                        

November

"Das ist ein Mitsubishi Plug-in Hybrid!", betont Mark eingeschnappt, als er den Code für sein Apartment eingibt. "Herzlichen Glückwunsch", entgegnet Donghyuck ironisch. "In rot!" Mark lässt dem Jüngeren den Vortritt, der sich sofort neugierig umschaut. "Das kümmert mich jetzt eher weniger, für mich ist er grau", sagt er trocken, "aber was wirklich wichtig zu wissen wäre: wo ist das Klo?" Hilflos zeigt er breiten Flur herunter, der neben einigen abenteuerlichen Abzweigungen, teuer aussehenden Gemälden und Halbwänden auch exotische Sessel, selten wirkende Pflanzen und ganz gewöhnliche Holztüren zu bieten hat. Mark lacht leise. "Gleich hier rechts. Ich bin gegenüber im Wohnzimmer, ja? Lass dir Zeit, ich muss sowieso noch was erledigen."

Donghyuck fühlt sich nicht einmal des Pinkelns würdig, der Klopapierrollenhalter ist golden oder silber und auch alles am Waschbecken funkelt und glitzert. Im Spiegel sieht er sich selbst und erschrickt fast bei dem grauen Anblick, der sich erst nach kurzer Zeit einstellt. Seine Gedanken und Erinnerungen machen seinen Pullover blau und nicht seine Photorezeptoren. Die sind gestört, oder diese neuronalen Bahnen. Oder beides. Und wie ein mitleidiger Arzt ihm mal erklärt, kann man nicht einmal mit einer OP alles resetten. Donghyuck hebt die linke Hand und freut sich, dass er noch das vertraute Funkeln an seinem Finger sehen kann.

Bisher hat ihn keiner gefragt, woher der Ring ist. Gut, okay, bei seiner Familie und seinen zwei besten - und einzigen - Freunden hat er ihn auch jedes Mal weggelassen, bewusst, aber der Anblick ist auch schön, wenn er sich ihm nicht alle Tage bietet. 

Mark sitzt wirklich nur gegenüber im Wohnzimmer, auf einem der drei gigantischen, unfassbar kuschlig aussehenden Sesseln. Sie sind exakt in dem selben Ton wie das Sofa, das gemeinsam mit einem Glastisch am Fenster steht. Grauton, versteht sich. Aber der Dunkelhaarige würde sich dumm vorkommen zu fragen, also lässt er stumm auf einen der Sessel sinken. Mark hat einen Laptop auf dem Schoß und schenkt ihm nebenbei ein Lächeln. "Sind alle deine Bäder so luxuriös?", witzelt er. Mark schmunzelt. "Das war nur die Toilette für Gäste, Donghyuckie", grinst er unschuldig, "ich hätte dir gerne das Badezimmer mit beheizter Wanne gezeigt, das mit dem Gästezimmer verbunden ist... aber da hättest du dich vermutlich verlaufen."

Er kichert und dreht das gesamte Gerät auf seinen angezogenen Knien zu dem Jüngeren. "Bestellen wir was? Oder darf ich dich ausführen?"

~

Wahrscheinlich hatte sein Boss Gnade, Mitleid, oder etwas dergleichen mit Donghyuck, denn eine halbe Stunde später speisen beide Reis mit Gemüse aus einfachen Aluschachteln. "Du hast sogar ein separates Esszimmer", stellt Donghyuck fest, setzt dann trotzdem Dinner auf dem Sofa durch. Mark lacht leise und gibt Donghyuck eine Gabel. Dieselbe Erkenntnis hat Josy auch geäußert, als sie zum ersten Mal hier war. "Ist ungefähr so oft in Benutzung wie der Kinoraum." Er klopft non-chalant und behutsam mit der flachen Hand auf die Tischplatte aus Glas, die ihren Esstisch ersetzt.

Donghyuck schluckt viel zu viel Reis auf einmal. "Ein Kinoraum?", echot er, als es an seiner Kehle nicht mehr schmerzt. "Ja, ach und einen nach mir benannten Freizeitpark mit eingebautem  Fitnessstudio." Mark räuspert sich. "War ein Witz."  Kurz kauen sie beide. "Würde Kyung sicherlich gefallen", meint Donghyuck dann leise. "Es geht gerade nicht um den Kleinen, okay?" Wüsste der Dunkelhaarige Mimik zu deuten und zu verstehen, wäre ihm vermutlich die Bezeichnung 'versöhnlich' eingefallen. Aber er erkennt den sanften Tonfall (immerhin) und er ahnt, dass es kein Vorwurf sein soll. "Also er kann gerne mal mitkommen, aber..." Mark spielt mit seiner Gabel und sagt lange nichts. Donghyuck auch nicht, denn er hat das Gefühl, genau das zu tun, was jeder immer kritisiert: er stellt Kyungie über sich selbst. Immer und bedingungslos. Und vielleicht ist das nicht nur eine nervige, selbstlose Grundhaltung, sondern unfair sich selbst gegenüber, aber auch und vor allem denen gegenüber, die sich einfach mal mit ihm als Individuum auseinandersetzen wollen.

KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt