DezemberDie viereinhalb Tage getrennt von jedem, der ihm etwas bedeutet, sind definitiv zu lang gewesen. Donghyuck kontrolliert, ob er genug Geld für ein Busticket hat und schielt durch die dreckige Scheibe auf die Außenbezirke seiner Heimatstadt. Er hat Mark zwar schon am Telefon so gut wie alles berichtet und sein Pulver verschossen, aber ein paar Dinge haben sich noch ergeben seit dem letzten Telefonat und der Ältere ist hoffentlich trotzdem zufrieden und stolz.
Donghyuck grübelt so intensiv über das Projekt nach, dass er Mark am verlassensten Teil des Bahnhofs erst gar nicht sieht. Erst sein Name - zum dritten Mal wohlbemerkt - lässt ihn anhalten. Da steht Mark Lee in Anzug und Mantel und er sieht irgendwie völlig fehl am Platz aus hier am verwahrlosten, tristen Gleis 18 des Hauptbahnhof, auf dem sonst nur ganz selten Betrieb ist. Nicht, dass man diese Handvoll Menschen Betrieb nennen könnte, aber verglichen mit der üblichen Menschenleere ist jeder noch so kleine Indiz für Zivilisation sensationell. Marks Äußeres steht nicht nur in einem grotesken Gegensatz zur Umgebung, sondern auch zu ihm selbst und seiner Jogginghose, fällt Donghyuck ein und er versucht, trotzdem anmutig auszusehen, als er seinen Trolli über den löchrigen, unebenen Asphalt zerrt.
"Hi, Donghyuckie." Mark lächelt breit, er strahlt regelrecht und allein sein Anblick macht den Dunkelhaarigen unsicher, ob die Wolken vor ihren Mündern wirklich real und die Handschuhe um seine frostigen Finger wirklich nötig sind. Vielleicht kann Mark sie wärmen? "Musst du nicht arbeiten?" Mark blinzelt kurz und macht ein trauriges Geräusch.
"Schade. Ich hab gehofft, du würdest dich freuen."
"Tu ich!"
Mark breitet zur Antwort die Arme aus. Ein minimales Zögern, dann presst der Jüngere sich gegen seinen Oberkörper. Es fühlt sich gut an, ungewohnt und irgendwie verpönt, aber hey, machen Freunde das nicht so? Er atmet Mark tief ein, liebt sofort die warmen Finger, die sich beschützend und vorsichtig auf seinen Hinterkopf, in seine Haare legen und seinen Kopf stützen, ihn mit ein wenig Druck dichter ziehen. "Hast du geheiratet, Boss?", nuschelt er und mit einer Sicherheit von rund 95 % ist die Antwort sowieso nein, weswegen er entspannt lächelnd die Augen schließt und sein Kinn tiefer an Marks Schulter schmiegt. Und fast erschrickt er, als der Blonde kichernd entgegnet: "So ähnlich, ja."
Donghyuck löst die Umarmung fast enttäuscht. "Oh, ähm. Glückwunsch", sagt er leise. "Du auch?" Mark deutet beiläufig auf den Ring des Jüngeren. Und Donghyuck, errötend und stammelnd: "Nein, ich... warte. Sind das die gleichen?" Irritiert zieht er Marks Handgelenk näher und nimmt den Schmuck genauer unter die Lupe. Mark beobachtet ihn kurz amüsiert und verschränkt seine Finger in einer eleganten Bewegung mit Donghyucks. "Wenn du das okay findest, natürlich. Es war aber tatsächlich die Idee von K", erklärt er, "ich hab das gar nicht gewusst. Aber gestern Vormittag hat Jeno sich, wie ich das verstanden habe, per Anruf mit meiner Schwester zusammengetan. Wie, keine Ahnung." Er streichelt Donghyuck behandschuhte Finger nachdenklich. "Insta. Renjun ist ein verdammt begabter Stalker."
"K hat schon groß angekündigt, er macht die Hochzeitszeremonie organisiert er. Wenn du willst, also..."
"Naja, kommt nicht was vor dem Heiraten? Eine Beziehung zum Beispiel?"
"Das Angebot wolltest du im Mai schon nicht annehmen", Mark schnaubt, "da muss man härtere Geschütze auffahren... und vielleicht sagst du ja, wenn dein Neffe das selbst vorgeschlagen hat." Donghyuck guckt ertappt an Mark vorbei. "Ich wollte nie, dass du..." Mark zieht so unerwartet an seiner Hand, dass er wieder an seine warme Brust fällt. Er lacht leise, es vibriert. "Ist schon okay, Donghyuckie. Hast du ihm überhaupt schon von den speziellen Bienchen berichtet?" Seine freie Hand schlingt sich um die Hüfte des Dunkelhaarigen. Der grinst in sich hinein, es fühlt sich einfach so großartig an. "Wer hatte die letzten Tage mehr als genügend Gelegenheit?", nuschelt er zurück. Marks Hand wandert von seiner Hüfte zurück an den Kopf. "Seit wann ist das meine Aufgabe? Also so offiziell", mault er, aber seine Hand agiert sehr viel zärtlicher in Donghyucks Haaren, als seine Stimme es hätte erwarten lassen.
