Kyungs Krankenhausbett ist eigentlich viel zu eng für drei Personen, aber wie so oft: wo ein Wille, da ein Weg. Mark liegt parallel zu Donghyuck, zwischen und auf ihnen der kleine Junge mit zwei abgeklebten Augen, die bis morgen noch in vollkommener Dunkelheit und damit fern von allen Reizen bleiben sollen. Donghyuck hat die Augen entspannt geschlossen und er schmatzt leise, ein eindeutiger Hinweis darauf, dass er schläft. Mark betrachtet ihn und K unverhohlen. Auch K sieht rundum zufrieden und glücklich aus, ob er schläft oder nicht, kann der Blonde schwer beurteilen.
"Mark?"
"Hm?"
"Bist du wach?"
"Ja."
"Ist mein Onkel Hyuck auch wach?"
"Ich glaube nicht. Er hat die Augen zu."
"Er bewegt sich auch nicht... Aber er ist schön warm."
"Das stimmt"
"Berührst du ihn?"
"Mhm, ja."
"Wo denn alles?"
"Nun ja, eigentlich überall, hier ist ja nicht viel Platz. Schultern, Oberarme, Oberschenkel und Hüfte. Er atmet mir wahrscheinlich genauso sehr ins Gesicht wie dir."
"Hältst du seine Hand?"
Was hätte es für einen Zweck zu lügen? Als Leo vorhin mit seinen Eltern vorbeigekommen ist und sein Freundebuch sowie Bountys mitgebracht hat, hat K ihn angeblich schon erkannt, bevor er etwas gesagt - es ist 'die Art gewesen, wie du und Onkel Hyuck ihn begrüßt haben'. Mark hat keine Ahnung, ob das möglich ist, aber einen Erstklässler fordert man besser nicht heraus. Erstrecht nicht, wenn besagter Erstklässler der Neffe des bezauberndsten Programmierers der Welt ist.
"Ja", antwortet er also.
"Wieso?"
"Weil ich deinen Onkel sehr mag, K"
"Muss ich Leo seine Hand ab jetzt auch nehmen?"
"Nein, ich schätze nicht. Ich hab dir doch schon vor ein paar Wochen versucht zu erklären, dass dein Onkel für mich mehr ist als Leo für dich. Mehr und... anders."
"Du magst meinen Onkel immer so, wie die zwei in Mamas Lieblingsfilm."
"Wie sind die denn?"
"Verliebt."
Mark sagt nichts, drückt nur Donghyuckies Hand kurz, küsst ihn - ungesehen von Kyung - aufs Haar, bevor er seine freie Hand um Ks Schultern legt und ihn an sich zieht. "Ich hab's dir schon oft gesagt, Kyung, und dasselbe sage ich auch deinem Onkel... irgendwann: wenn irgendein Problem auftaucht, wenn das Leben hart wird, oder du irgendwas brauchst, ruf mich an, immer. Ich hab dir meine Büronummer gegeben, erinnerst du dich?"
Kyung nickt.
"Hast du sie noch?"
Kyung nickt, diesmal stärker.
"Gut. Wenn du nach Hause kannst, können wir mit Jaehyun Bilder angucken. Er hat Schnappschüsse von unserem Weihnachten bei ihm ausgedruckt."
"Kommt er nicht?"
"Nein, er hat heute ganz viel Arbeit. Aber wir können ihn später kurz anrufen, hat er gesagt."
Schweigen.
"Hab dich lieb, Mark", sagt Kyung aus heiterem Himmel.
"Ich dich auch", antwortet der Blonde, perplex und überrumpelt.
Donghyuck drückt seine Hand.
Mark drückt zurück.
3 Stunden zuvor
Kyung strahlt in seinem Bett im Krankenhaus, obwohl er nichts sehen kann. Gaeul spielt mit ihm ein Spiel, das er oft mit Yoko spielt. Für Außenstehende mag es komisch aussehen, aber Donghyuck hat es Mark vorhin achtzig Mal erklärt. Er versteht es trotzdem schon wieder nicht, er fragt später, wenn er ihn sieht, einfach wieder nach. Der Jüngere ist gerade allerdings unten Kuchen essen mit Nayoko, Sana und Yuta. Ganz ohne Mark und für den zwischenmenschlich unbeholfenen und schüchternen Donghyuck eigentlich völlig untypisch, aber diesmal hat er nach kurzem guten Zureden von Mark erstaunlich schnell nachgegeben.
Während Donghyuckie unten sitzt und mit den dreien quatscht, sortiert Mark Kyungs Reisetasche wieder ein (morgen darf er wieder nach Hause, aber für vier Nächte hat Donghyuck genug Zeug für eine Reisetasche gefunden) und bemüht sich, still zu sein, denn auch ihr seltsames, intim aussehendes Händchen-halte-Spiel funktioniert bei Vater und Sohn zum Großteil ohne Worte. "Ella bleibt noch bei dir, oder?" Es fühlt sich an wie eine unverzeihliche Störung, als Mark in die idyllische Ruhe quatscht. Kyung nickt konzentriert, Gaeul lächelt ihm zu und deutet ein 'Danke' mit seinen Lippenbewegungen an.
Eine knappe halbe Stunde später ist es wieder sein Bruder Donghyuck, der mit ihm im Zimmer sitzt. "Was ist das nochmal für ein Spiel, das Kyung da immer mit seinen Eltern spielt?" Mark spricht mit gesenkter Stimme, denn Kyung entspannte Körperhaltung deutet sehr auf ein spätes Mittagsschläfchen hin. "Das mit den Händen?"
"Mhm."
"Das ist eigentlich echt simpel, Mark! Stell dich nicht so an, Boss", zwinkert der Dunkelhaarige. "Stichwort Gebärdenalphabet. Einer formt den Buchstaben, der andere erfühlt es. Ende. Mark nickt. Yoko hatte wohl schon sehr früh durchgesetzt, die Basics zu kennen, für alle Fälle, das haben sowohl K und Gael als auch Donghyuck und Yoko selbst bestätigt.
"Augen zu. Ich zeige es dir."
Aber er zeigt Mark überhaupt gar nichts, denn es klopft leise und Jeno steckt den Kopf ins Zimmer. "Hey hey", sagt er und schleicht herein, als nur die beiden Erwachsenen seine Begrüßung erwidern. Ihm folgt Renjun in einem riesigen Winteranorak und einem überdimensional großen Schal. Er sieht den entspannten Jungenkörper im Bett liegen und lächelt leise. "Hallo, Jungs!" Er umarmt sie beide kurz. "Wie lief es? Wie geht es ihm?" Und während Donghyuck berichtet, verschränken seine und Marks Finger sich. Schwer zu sagen, wer den allersten Impuls gesetzt hat, sie waren ohnehin schon halb am Händchen halten, aber alle vier bemerken es irgendwann erstaunt. Und niemand sagt etwas.
Aber schon nach einer Stunde muss Renjun wegen eines Berufstermins gehen und Jeno schließt sich an. Ihr Geschenk, ein kleines Fühlsäcken, legen sie feierlich auf den Nachttisch. Mark und Donghyuck sitzen eine halbe Ewigkeit da, reglos und wortlos, obwohl Worte nicht verkehrt wären. Sie ziehen ihre Hände erst wieder auseinander, als es klopft und drei Personen hereinmarschieren, zwei große und eine kleine, mit einem roten Buch in der Hand.
"Hey, schön dich zu sehen, Großer!"
"Wie schön! Was hast du denn da mitgebracht?"
"Leo!"