Kapitel einhundertvierundzwanzig- Alte Obstwiesen

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Nach einer weiteren qualvollen Nacht im Papiercontainer war Stegi aus dem Dorf erstmal abgehauen. Mehr ins ländliche Dickicht und hatte sich dort eine Weile versteckt und ausgerutscht. Hier hatte er Ruhe und wurde nur von ein Person gefunden, wenn er wollte. Somit hatte er beruhigter schlafen können, als die letzte Nacht, wo eine Gruppe Betrunkener sich auf das Gelände geschlichen hatte, um dort zu feiern. Stundenlang hatte er da klein gekauert in verkrampfter Haltung verbracht, jederzeit bereit zu fliehen, wenn ihn einer der Alpha entdeckte. Stegi war in seinem gesamten Leben noch nie so froh gewesen einen betrunkenen Alpha zu sehen. Sonst wäre er sicher entdeckt worden. Doch auch danach hatte er wenig Ruhe und keine bequeme Position gefunden. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte und er wollte sich eigentlich kaum mehr bewegen. Die Nacht würde er hier im hohen Gras verbringen. Eingerollt und bedeckt von seinen Klamotten. Morgen sollte er diesen Körper vielleicht mal zu Tobi schleppen und seine Sachen holen. Aber nicht heute. Jetzt wollte er sich in Sicherheit wiegen und für sich sein. Vage registrierte Stegi die leichten Schritte hinter sich im Gras. Kurz drehte Stegi den Kopf, um zu sehen, ob Gefahr ausging. Zu seiner Erleichterung kam da Tobi auf ihn zu. Das wurde jedoch sofort wieder relativiert, als er sich bewusst wurde, das dieser wohl stink sauer sein würde und ihn wahrscheinlich zur Schnecke machte. Um einer Konversation aus dem Weg zu gehen, vergrub Stegi das Gesicht im Stoff seiner Jeans und zog die Beine an, sodass er die Arme um seine Unterschenkel legen konnte. Tobi musste jetzt genau vor ihm stehen. Das er nichts sagte, machte Stegi Angst und ließ ihn zittern. Jetzt noch angeschrien zu werden hielt er nicht aus. Jedoch tat Tobi nichts von alle dem. Er setzte sich neben ihn und schwieg. Langsam konnte er sich selbst wieder beruhigen und auch das Zittern ließ nach. Wenn Tobi anfing bei ihm zu sein und zu schweigen, wollte er meist einfach nur für ihn da sein. Ihm seine Zeit lassen und ihn nicht drängen. Stegi wusste, dass er von sich aus sprechen musste, doch er traute sich nicht. Zwischen ihnen blieb es ruhig. Stegi begrüßte es sehr, dass Tobi ihn einfach ließ. Nichts sagte, ihn nicht beschuldigte oder ihn um irgendwas bat. Er war einfach nur da, aber doch irgendwie entfernt. Stegi hob den Kopf und sah Tobi in die Augen. Tobi bedachte ihn mit demselben liebevollen Blick, den er immer hatte, wenn Stegi mal wieder Mist gebaut hatte und Tobi einfach nur für ihn da war. Jedoch wollte Stegi nicht nur Tobi bei sich haben. Er wollte spüren, dass sein bester Freund noch da war. Und als könnte Tobi Gedanken lesen, nahm Tobi seine Hand in seine eigene und drückte sie kurz. Stumm ließ Stegi sich gegen Tobis Schulter fallen. Spürte auf einmal wieder die Geborgenheit und Sicherheit, die Tobi ihm immer geboten hatte. Seine Berührungen fühlte sich einfach wie nach Hause kommen an. Vor Freude und wahrscheinlich auch Erleichterung fing Stegi an zu weinen. Ihm liefen lautlos die Tränen die Wangen hinab. Wie früher schon drückte Tobi seine Hand fester und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Für einen belanglosen Augenblick schien seine Welt wieder in Ordnung zu sein. Und das sollte sie auch bleiben.

„ Tobi?", fragte Stegi nach Stunden des Schweigens zaghaft. Er hatte verdammt noch mal Angst, dass Tobi ihm die Hölle heiß machte, weil er abgehauen war. Das sie so friedlich nebeneinander gesessen hatten, hatte nichts zu bedeuten. Dennoch wollte er wissen, wo er stand. Tobi drehte sich zu ihm und sah ihm einen Moment ausdruckslos in die Augen. Stegi senkte daraufhin den Blick und schloss die Augen. Er konnte das nicht. Tobi zu verlieren wäre das schlimmste, was ihm passieren könnte. „ Komm her kleiner." Stegi öffnete die Augen wieder, nur um zu sehen, dass Tobi seine Arme aufhielt. Erleichtert ließ Stegi sich in die Umarmung fallen und schmiegte sich einfach nur erschöpft an seinen besten Freund. Das war die Bestätigung, die er gebraucht hatte. Tobi würde ihm verzeihen. Tobi schoss ihn noch nicht in den Wind, obwohl er Mist gebaut hatte. Ziemlich viel Mist sogar. Was war er dankbar, dass Tobi so viel scheiße mitmachte. „ Alles gut, ich bin da. Glaubst du echt, ich lass dich alleine? Würde ich nie machen. Du bist mir viel zu wichtig." Sanft legten sich Tobis Arme um seinen Körper und drückten ihn gegen einen warmen Körper. Stegi jagte es eine Gänsehaut über die Arme, weil ihm einfach kalt war. Die Nacht war für Mai schon unheimlich kalt gewesen. Wie sollte er das im Winter aushalten?„ Tobi ich pack das nicht ohne irgendwen." Stegi wollte nicht weiter jammern. Immerhin hatte er sich dafür entschieden und das wäre auch sein Leben, ohne Tim. Aber ohne irgendwas kam er hier ziemlich schnell um. Er hatte wahnsinnige Angst vor dem, was noch kommen würde. Jedoch beruhigte Tobi ihn sofort ein wenig. „ Musst du auch nicht. Ich bin immer für dich da. Ich werde dir helfen.", wisperte Tobi und drückte ihn kurz fester an sich. Dieser Zuspruch bedeutete gerade seine Welt. Er war unheimlich glücklich, dass zumindest Tobi ihm trotz all dem Mist weiter zur Seite stand. Auf ihn war verlass im Gegensatz zu Alphas. „ Das ist alles so scheiße. Warum gibt es nur so beschissene Alpha?", murmelte Stegi in sein Shirt und unterdrückte die ersten Tränen. Bei Tim hatte er wirklich geglaubt einen tollen Alpha gefunden zu haben, der ihn so behandelte, wie es ihm zustand. Aber nein, er betrog ihn warum auch immer und machte nebenbei noch sein Herz kaputt. Alpha waren doch alle gleich. Nur manche probierten es zuerst nett und ließen dann ihre falsche Seite raushängen. Und Stegi hatte wirklich geglaubt, es sei anders. Wie naiv er doch war. „ Nicht alle Stegi, nicht alle.", tadelte Tobi ein wenig grinsend und brachte so auch ihn dazu, die Mundwinkel leicht zu heben. „ Gut außer Veni.", korrigierte Stegi. Der war einfach das, was Stegi sich immer gewünscht hatte. Und dennoch war er froh ihn an Tobis Seite zu wissen und nicht an seiner. „ Tim ist auch ein guter Alpha. Wenn auch manchmal ein bisschen unterbelichtet. Ich glaube nicht, dass er dir wehtun wollte. Du bist ihm unglaublich wichtig." Versuchte Tobi gerade allen ernstes ihn noch mal von Tim zu überzeugen? Nachdem er ihn betrog? Wahrscheinlich wollte er ihn von der Straße und Tim war dabei die beste Lösung, der er noch zustimmen konnte. Tobi wusste schließlich, dass entweder Tim oder niemand an ihn ran kam, wenn er Alpha war. „ Glaub ich nicht. Sonst hätte er mich nicht so behandelt. Er geht mir fremd." Zumindest glaubte er das. Hundert Prozent beweisen konnte er es nicht. Fünf Tage nicht daheim konnten schon ziemlich darauf hinweisen. Die Zeit sich zu erklären hatte er Tim ja nicht gegeben. Zumindest nicht die, die er gerne gehabt hätte. Eine Erklärung hatte bei ihrem Streit genug Platz gehabt. War das alles nur ein großes Missverständnis? Nein, sonst wäre Tim ihm nicht von Anfang an ausgewichen. „ Bist du deswegen abgehauen? Weil du der Meinung bist, dass er dich mit wem anders betrügt?", fragte Tobi zaghaft nach und drückte ihn etwas weg von sich, um ihm in die Augen zu sehen. Für einen kurzen Moment spiegelte sich Unsicherheit in seinem eigenen Blick, doch dann war da wieder klare Entschlossenheit.

Teil 2 Bis zum letzten Atemzug// Aufblühende LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt