ALESSIA
„Zu spät, zu spät, oh, fuck... ich bin ja sowas von zu spät.."
Als würde diese ständige Erinnerung an mein kolossales Verschlafen die Uhr irgendwie dazu bewegen, rückwärts zu laufen!
Der Wecker war ja auch pünktlich gewesen, aber - und das weiß jeder Katzenbesitzer - lag das schnurrende Fellknäuel erst einmal quer über deinem Oberkörper und hatte darüber hinaus auch noch ausgesprochen schlechte Laune, wenn es abrupt geweckt wurde, ließ Frau die Miezekatze lieber in Ruhe ausschlafen... zumindest, wenn Wert auf intakte Pulsadern gelegt wurde.
Um es kurzzuhalten, ich war natürlich wieder eingepennt und ich will jetzt nicht sagen viel zu spät wieder aufgewacht, aber ja... ich war VIEL zu spät wieder aufgewacht!Und wie ich also auf einem Bein durch mein recht winziges Wohnzimmer hüpfte - ein vergeblicher Versuch schneller in meine Skinnyjeans zu kommen - stolpere ich auch natürlich noch direkt über Rain, meine mittlerweile ebenfalls erwachte zweijährige Schildpattkatze, die ihren Unmut prompt direkt mit lautem Wehklagen kundtat.
„Oh, schei..benkleister! Baby... alles in Ordnung bei dir?"
Die Mieze war jedoch jetzt mächtig beleidigt.
Elegant sprang sie auf den Küchentisch, drehte sich zweimal um die eigene Achse und reckte schließlich demonstrativ ein Hinterbein in die Höhe, um sich am Allerwertesten zu putzen.
Tja... so viel dazu!
Trotz meiner Zeitnot versuchte ich mich bei meiner Kleinen zu entschuldigen, doch Rain sah mich mit dem Arsch nicht mehr an. Da würde ich heute Abend sehr viel Abbitte leisten müssen, damit meine Mucki mir diesen grauenvollen Fauxpas vergab, für den andere bestimmt schon die Todesstrafe bekommen hätten!
Aber zunächst musste ich es zumindest halbwegs angezogen zu meiner Arbeit schaffen, denn ansonsten wäre kein Geld da, um ein Entschuldigungsleckerchen zu kaufen.
Nachdem ich in meine Sneaker geschlüpft war, griff ich in meine braunen Haare und versuchte sie mir mehr schlecht als recht zu einem Zopf zusammenzubinden. Aber anscheinend hatte ich heute auch noch ein Bad-hair-Day erwischt!
Na, großartig!
Also fix aus dem Zopf einen Messibun gemacht, Handtasche und Schlüssel geschnappt und schon war ich aus der Tür raus.
Im schäbigen Treppenhaus rannte ich auch fast noch meine nette Oma-Nachbarin über den Haufen, die sich röchelnd mit ihren Einkäufen mühsam in den fünften Stock hochquälte. Denn natürlich war der blöde Fahrstuhl mal wieder kaputt!
Fuck my day!
Denn so spät ich auch dran war, so wenig konnte ich einfach an Omi Mildred vorbeilaufen... also nahm ich ihr rasch die schweren Tüten an und wetzte wieder die drei Treppen hinauf, um den ganzen Krempel an ihrer Wohnungstür abzustellen. Auf dem Weg nach unten winkte ich ihr noch rasch zu und gab nun so richtig Fersengeld.
Während ich die Straße entlang sprintete, hatte ich bereits so das dumpfe Gefühl, dass der heutige Tag für die Tonne war. Mal abgesehen davon, dass ich schon Flügel brauchen würde, um auch nur ansatzweise pünktlich im Diner aufzuschlagen... ich hatte in meiner Eile zwar die Handtasche mitgenommen, allerdings sowohl das blöde Portmonee, als auch mein Handy Zuhause vergessen.
Und leider war ich dezent Handy-süchtig...
Kein Mittagessen, ok... eine Woche ohne Peanutbuttercups, auch noch ok... mehr als drei Stunden ohne Internetzugang... WELTUNTERGANG!
Aber jetzt nochmal zurückzulaufen, kam bedauerlicherweise auf gar keinen Fall mehr in die Tüte!Gute zwanzig Minuten später erreichte ich völlig abgehetzt meine Arbeitsstelle und stürzte im wahrsten Sinne des Wortes durch die Hintertür, die als Mitarbeitereingang fungierte.
Pablo, der 54-jährige Koch unseres Etablissement war gerade auf dem Weg nach draußen, um rasch seinem Lungenschmacht nachzugehen und fing mich auf, nur um dann mit mir zusammen zu Boden zu gehen.
„Uff..." kam von ihm, als mein Fliegengewicht Pablo die Luft aus den Lungen presste.
„Shit... Sorry, Daddy P! Hab ich dir weh getan?" stöhnte ich und stemmte mich umständlich in die Höhe.
Der Mexikaner grinste schief, enthüllte einen goldenen Schneidezahn - seinen ganzen Stolz - und ließ sich von mir auf die Füße helfen.
„Alles gut, Prinzesschen! Nicht passiert... ach, ich hab dich übrigens gedeckt... Valeria denkt, du wärst für mich in den Laden, um noch ein paar Limetten zu besorgen. Ich will doch nicht, dass meine Kleine meiner anderen Kleinen wegen einer läppischen Stunde Verspätung böse wird. Hol die Dinger doch bitte rasch aus dem Kühlraum, bring sie in die Küche und dann ab in den Gastraum, Kindchen!"
Ich warf Pablo einen dankbaren Blick zu und hüpfte zum Kühlraum hinüber, um mein Alibi in der Küche abzuliefern.
Valeria war Daddy Ps Tochter und eigentlich echt gechillt, aber man sollte ihre Gutmütigkeit wirklich nicht ausnutzen!
Wir waren gute Freunde geworden in der Zeit als ich vor sechs Jahren angefangen hatte und Pablo hatte mich inoffiziell adoptiert, nachdem ich ihm und Val einmal nach Ladenschluss von meiner super mistigen Kindheit erzählt hatte.
„Alessia? Oh, gut! Hast du die Limetten für Paps bekommen?"
Ich lächelte zerknirscht und gestand..
Ich war schon hundsmiserabele Lügnerin gewesen und ging daher nach dem Motto ‚Ehrlichkeit währt am längsten'.
Val lachte und meinte: „Schon gut... Ich hab mir sowas schon gedacht. Paps brauchte für das Mittagessen heute gar keine Limetten.. Dieser liebe, alte Schlawiner!"
„Tut mir echt leid, Valeria. Ich hänge die Stunde heute hinten dran!"
Doch meine Freundin und Chefin schüttelte mit einem gutmütigen Lächeln den Kopf.
„Quatsch... ist nicht nötig. Sieh nur zu, dass du in Zukunft pünktlich bist. Kannst du bitte den Tresen übernehmen? Einmal alles auffüllen, die erste Ladung Kaffee hab ich schon aufgesetzt..."
Ich reckte kurz beide Daumen, dann spurtete ich hinter die Theke, die im Stil der 80er Jahre gehalten war.
Ein kurzer Blick zur Uhr sagte mir, dass ich noch exakt siebzehn Minuten hatte, bis die erste Stammkundin des Tages, Candice Miller, 62 Jahre jung, überzeugter Single und begeisterte Motorradfahrerin durch die Tür marschieren würde und ihr Omelette mit gegrillten Tomaten, überbackenes Toast und sieben Scheiben extra knusprigen Speck bestellen würde. Dazu einen Eimer tiefschwarzem Kaffee, der so stark war, dass ein Pferd davon 'nen Herzkasper bekommen würde!
Aber wer war ich denn schon, der sich über so etwas noch wunderte. Ich funktionierte morgen in der Regel erst nach einem Latte Macchiato mit Zimt und Karamellsirup... also, jedem das seine!
Fröhlich pfiff ich mein Lieblingslied des Tages - Final Countdown von Europe - vor mich hin, während ich die Serviettenhalter, Salz- und Pfefferstreuer auffüllte. Val wischte die Tische nochmal ab und drehte nach einem prüfenden Blick in die Runde das ‚we're closed' Schild auf ‚yeah, we're open!' und klatschte in die Hände.
„Und los gehts!" kreischte sie wie ein hyperaktives zehnjähriges Kind auf Red Bull und brüllte für ihren Papa in die Küche: „SCHMEIẞ DEN GRILL AN, PAPS! UNSERE OMELETTE LADY IST IM ANMARSCH!"
Durch lautes Trommeln aus der Küche morste uns Daddy P seine Bestätigung und unser zwölfstündiger Arbeitstag begann...
DU LIEST GERADE
Es begann mit einem Ring
حركة (أكشن)Wer hätte das gedacht? Eigentlich war meine Planung doch so einfach. Alles was ich wollte, war: 1. In Ruhe gelassen werden. 2. mir mindestens drei Katzen zulegen. 3. ja niemandem auffallen. 4. mich soweit wie irgendmöglich mich von meiner Alkoholi...