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„Ich versteh' nicht, was mit Mama und Papa los ist!", jammerte Helena und hörte für einen Moment auf, mit ihrem Hin und Hergerenne einen Landestreifen in meinen Schlafzimmerteppich zu fräsen

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„Ich versteh' nicht, was mit Mama und Papa los ist!", jammerte Helena und hörte für einen Moment auf, mit ihrem Hin und Hergerenne einen Landestreifen in meinen Schlafzimmerteppich zu fräsen.
Oh, ich verstand nur zu gut, was mit unseren Erzeugern falsch lief.
Ihnen ging der Arsch allmählich auf Grundeis! Die Zeit verging und ich war immer noch nicht unter der Haube.
Ich hatte mir vor vier Wochen in Vaters Büro doch zusätzlich zu dem Mörderveilchen auch noch wie ein vor pubertierendes Kind einen klassischen Hausarrest eingefangen.
Bis zum Tag meiner Hochzeit ...
Hochzeit ...
Boah, ich konnte gar nicht so viel essen, wie ich kotzen wollte.
Jeden Tag marschierte meine über alles geliebte Mutter in mein Zimmer und ließ mir die verschiedenen Proben für Tischgedecke, Brautjungfernkleider, Schuhe, Make-up und Frisuren von ihren Haus- und Hofschleimern unter die Nase halten. Nur um meine Meinung gewissenhaft zu ignorieren und im Endeffekt ausschließlich das zu bestellen, was ihrem Geschmack entsprach und mich aufgrund der Dekadenz zum Würgen brachte.
Nach achtundzwanzig Tagen oder auch 672 Stunden oder 40.320 Minuten (nicht etwa, dass ich die Minuten gezählt hätte, duh) fiel mir buchstäblich die Decke auf den Kopf und ich wünschte mir mit Verzweiflung einen Baseballschläger herbei, dessen Festigkeit ich auf dem Dickschädel meines mistigen Vaters testen wollte.
Mein einziger Lichtblick war meine Schwester, die ab und zu mal für eine Weile Besuchserlaubnis bekam. BESUCHSERLAUBNIS!
Echt jetzt?
Als wäre ich ein verschissener Knastinsasse! Und Helena verstand die Welt nicht mehr ... sie kam mit selbst den kleinsten Veränderungen nicht gut klar, weshalb sie in den letzten Wochen unglaublich unleidlich geworden war. Gut, damit waren wir dann schon zwei und natürlich schaukelten wir uns gegenseitig auch noch hoch. Zum Glück bekam ich mich meistens wieder rechtzeitig in den Griff, sodass ich meine kleine Schwester beruhigen konnte, bevor unser räudiger Erzeuger Wind von unserer schlechten Laune bekam und sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen fühlte.

„Ist schon gut, Lenchen ... wahrscheinlich haben beide wegen der Hochzeit viel Arbeit und sind deshalb nicht gut gelaunt. Warum erzählst du mir nicht einmal, welches Kleid Mama für dich ausgesucht hat?" versuchte ich abzulenken und Helena ließ sich sofort mit einem strahlenden Lächeln mitten auf mein Bett plumpsen.
„Ich liebe es so sehr! Es ist ganz lang, rosa und hat goldene Blüten als Gürtel! Und Mama sagt, ich darf meine Haare offen tragen! Oh, oh, oh und ich hab Ballerinaschuhe mit Perlen drauf! Richtige Prinzessinschuhe!"
Ich schmunzelte aufgrund ihrer kindlichen Freude und zwang mich dazu, tief durchzuatmen. Aufregen brachte nichts, zumindest versuchte ich mir das einzureden, andernfalls würde ich vor meinem dreißigsten Geburtstag noch Magengeschwüre bekommen. Das Klackern von Absätzen machte meine Bemühungen ziemlich schnell wieder zunichte, denn nur kurz darauf wurde meine Doppeltür schwungvoll aufgestoßen und Mutti und ihre fünf Arschkriecherinnen, Verzeihung, ich meinte, Leibbediensteten schwebten mit der Eleganz des T-Rex von Jurrasic Park in mein Schlafzimmer.
„Sarina? Herrje, Kind! Kannst du dich nicht wenigstens ein wenig ansprechend herrichten? Du siehst aus, als würdest du hier bei Wasser und Brot eingesperrt sein, ohne den Zugang zu einem Badezimmer! Das nächste Mal erwarte ich, dass du ansprechend zurechtgemacht bist!"
Perplex sah ich an mir herab.
Ähm ... also ich empfand meine Garderobe durchaus ‚ansprechend'.
Ich trug eine enge schwarze Röhrenjeans, eine cremefarbene Seidenbluse von Dolce und rote Converse ... oh, okay ... da war das Problem. Converse hatten keine zehn Zentimeter Absätze und ich verwahrlostes Luder hatte heute zudem auch noch auf Make-up verzichtet.
Aber mal ehrlich ... wozu sollte ich mich aufbrezeln, wenn ich in 24/7 in diesen kack vier Wänden eingesperrt war?
Mutter sah wohl etwas von meinem Unwillen in meinem Gesicht aufblitzen, gut ... vielleicht hatte ich die Mimik so überhaupt nicht unter Kontrolle, denn sie fauchte wie eine Katze, der man den Schwanz rasierte: „Pass lieber auf! Sonst muss ich deinen Vater über diesen Ungehorsam unterrichten und was dann geschieht, weißt du ja hoffentlich noch!"
Aber um ganz sicherzugehen, dass ich die Botschaft verstanden hatte, warf diese aufgedonnerte Schlampe im Mutterkostüm einen eindeutigen Blick auf Helena.
Ich! Kochte!
Und stellte mir genüsslich vor, wie ich diese miese Entschuldigung eines Elternteils einmal dem obersten Folterknecht meines Ehemanns in Spe vorstellen würde ... das konnte ich allerdings vermutlich erst nach der Hochzeit bringen, daher kämpfte ich meinen Hass nieder und pflasterte das falscheste Lächeln der Weltgeschichte auf mein Gesicht.

„Entschuldige, Mutter! Ich werde morgen daran denken. Was kann ich denn jetzt gerade für dich tun?" flötete ich und verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Hehlerei.
Die Frau betrachtete mich mit zusammen gekniffenen Augen, keine Sekunde meinem Schauspiel glaubend - die Minions hinter ihr spiegelten mit beeindruckender Präzision den Gesichtsausdruck meiner Mama und ich wappnete mich für den Gegenschlag.
„Vorsichtig, Fräulein ... Helena? Raus! Die Schmuckauswahl ist nur für die Braut, da will ich dein Dazwischengequatsche nicht haben!" Helena sah mit Tränen in den Augen zu mir und ich umarmte sie rasch.
„Keine Sorge, Lenchen. Ich zeige dir nachher, was Mama ausgesucht hat und du darfst meine Perlenkette tragen. Passend zu den Prinzessinnenschuhen!" flüsterte ich rasch. Manchmal war ich für das schlichte Gemüt meiner süßen kleinen Schwester wirklich dankbar, denn der Kummer über die lieblose Art unserer Mutter war sofort vergessen bei der Aussicht, sich mit meinem Schmuck hübsch machen zu können.
Helena küsste mich begeistert auf die Wange, dann rutschte sie vom Bett und hüpfte aus dem Zimmer.
Ein Ausdruck von Abscheu lag in den Zügen der Erwachsenen, als sie ihr nachsahen, dann wandte sich ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu.
„Nun denn ... ich hab mir Gedanken über den Schmuck gemacht. Leider habe ich immer noch nicht den Verlobungsring als Anschauungsmuster, so musste ich improvisieren. Du weißt ja, wie er aussieht, dann wirst du auch wohl das dazu passende auswählen. Los, los ... wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
Ich verdrehte innerlich die Augen. Da ich Hausarrest hatte, war mein Terminkalender derzeit ziemlich leer und was meine ehrenwerte Frau Mama anging, so war es mir ziemlich wummpe, was ihre Pläne für den Rest des Tages waren.
Dennoch trödelte ich jetzt nicht weiter herum; wusste ich doch, dass das Miststück vor mir ihre miese Laune ansonsten an meinem Lenchen auslassen würde.
Was jetzt die fünf Minions vor mir ausbreiteten, ließ mir die Galle aufsteigen.
So viele riesige Diamanten hatte selbst ich noch nie gesehen.
Da war null Ästhetik, nur purer Protz.
Klar, das Steinchen auf dem Verlobungsring war auch alles andere als klein, dennoch hatte der Ring eine zeitlose Eleganz, die ich an diesem Schmuck eindeutig vermisste. Im Vergleich wäre das etwa, als würde man die Mona Lisa in seinem Wohnzimmer hängen haben und daneben die Kreidezeichnungen der fünfjährigen Tochter. Selbst wenn das Kind hochbegabt wäre, was Malen angeht ... gegen eine Mona Lisa sieht nun mal jegliches häusliches Zeichentalent wie gewollt und nicht gekonnt aus.

Meine Mutter hob eine schwere goldene Halskette mit insgesamt wahrscheinlich um die einhundert Karat an Diamanten auf, inklusive des riesigen tropfenförmigen Anhängers und flirtete verliebt damit. „Was hältst du davon? Ist das nicht atemberaubend? Diese Brillanz, diese Reinheit ... Wunderschön! Diese Kette kostet acht Millionen Dollar. Aber dein Verlobter kann sich das ja mühelos leisten."

Joar ... das konnte er vermutlich.
Allerdings war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er bei diesem Anblick vor Lachen ohnmächtig in die Kerzen neben dem Altar fallen würde.
Auf der anderen Seite würde auf diese Weise dann die Hochzeit ausfallen, womit ich jetzt auch kein Problem hätte.
Trotzdem packte mich ein Widerwille. Ich wollte nun wirklich nicht als Lachnummer in die Geschichte der Verbrechersyndikate der Ostküste eingehen, also schüttelte ich den Kopf und deutete auf ein ebenso dekadentes, dennoch leicht dezenteres Schmuckstück.
„Die dort würde eher passen ... Ich glaube nicht, dass Maxim es sonderlich begrüßen würde, wenn der Ring seiner Großmutter nicht im Vordergrund steht."
Mutter verdrehte die Augen und knurrte: „Maxim ... er verschiebt den Termin immer weiter! Schon wieder um eine Woche. Es ist eine echte Schande! Diese Demütigung für unsere Familie ..."
Oho ... wieso verschob mein baldiger Angetraute fleißig das unliebsame Datum?
Ein Hoffnungsschimmer vielleicht?
„Hat es einen bestimmten Grund, warum er uns derart vor den Kopf stößt?" heuchelte ich neugierig; Mama drehte sich wieder zu mir und legte mir das ausgewählte Collier um den Hals.
„Er macht gerade einen absoluten Narren aus sich und brüskiert uns in Folge! Anscheinend sucht er diese kleine brünette Schlampe von Kellnerin. Ist das zu fassen? Er hat das Privileg, in unsere Familie einzuheiraten und stößt uns vor den Kopf, indem er einem Niemand hinterher schwänzelt!"
Ich nickte mit gespielt grimmiger Miene und schaltete bei ihrer Schimpftirade auf Durchzug. Insgeheim feuerte ich Maxim an und wünschte ihm viel Erfolg bei der Suche ... doch dann sagte meine Mutter etwas, was mir das Blut in den Adern stocken ließ ...
„Er kann lange suchen! Maxim wird die Hure nicht finden. Dafür haben wir schon gesorgt. Gemeinsam mit dem scheiß Balg ist die Kellnerin von der Bildfläche verschwunden. Die Leichen der beiden werden irgendwann nach deiner Hochzeit auftauchen. Dann haben sie als Rückversicherung ausgedient! Hm ... du hattest recht. Diese Kette steht dir viel besser. Die wirst du tragen und ich werde die andere dann nehmen ... als Entschädigung für die lange Wartezeit. Das war alles ... gehen wir!"
Das Letzte war eindeutig für die Speichellecker in ihrem Gefolge gedacht, die den Rest des Glitzerkrams einsammelten und davon eilten.
Mutter rauschte hinterher ohne einen weiteren Blick an mich zu verschwenden, was auch ganz gut war, denn so konnte das Miststück nicht sehen, wie mein Gesichtsausdruck völlig entgleiste.
Scheiße!
Alessia und dieses süße Mäuschen?
Beide in der Gewalt meiner behämmerten Erzeuger?
Einige Augenblicke lang gestattete ich mir den Schock.
Dann flutete Eis durch meine Adern ...
Ich hatte nun einen wichtigen, sehr wichtigen Job zu erledigen!

Es begann mit einem RingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt