„Duhuuuu, Tante Lessia?"
Riesige braune Kulleraugen sahen mich flehend von unten an und Kiki stolperte erschöpft. Ich hielt inne, hob meinen Spatz hoch und beschleunigte meinen Schritt wieder.
„Was ist los, Liebling?"
Ich japste ein wenig ... gut, ein wenig sehr, denn ich versuchte schließlich gerade, mit einem Kleinkind auf dem Arm der Bratwa ein Schnippchen zu schlagen und ungesehen das Weite zu suchen.
Ich geb's zu ... das war jetzt nicht wirklich durchdacht gewesen und ich hatte dazu noch absolut keinen Schimmer, wie es überhaupt möglich gewesen war.
Man sollte doch irgendwie annehmen, dass ein Ausbruch aus diesem Hochsicherheitsgefängnis, aka Nobelhobel Supervilla schlicht unmöglich war, vor allem wegen des eigenen Wachschutzes, einer verdammten Hundestaffel von Cane Corsos mit monströs schlechter Laune und einer Selbstschussanlage, welche an Bewegungssender gekoppelt war. Vermutlich hatte der Schuppen auch noch Boden-Luft-Abwehrraketen!
Und dennoch waren Kiara und ich ziemlich kackendreist zur Vordertür hinaus gestiefelt, sobald sich die drei russischen Eyecandys sich diskret zurückgezogen hatten, vermutlich um zu ergründen, warum sie auf einmal als Glitzerprinzessinnen verkleidet bei einer Teeparty zu Gast gewesen waren.
Ich brauchte da keine Erklärung.
Wenn sich mein Zuckermäuschen etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann bekam sie es in der Regel auch. Vermutlich hatte sie den tätowierten Riesen mit nur drei Worten becirct und schon war aus dem grimmigen „Dego" ein sanftes Schmusekätzchen geworden.
Ein Zauberkunststück, welches sie bereits schwerst an meinem Schmusekätzchen geübt hatte.
Schließlich hatte sie das mit meiner ausgesprochen territorialen Mieze ebenfalls schon sehr erfolgreich abgezogen.„Tante Lessia ..."
Oh, richtig! Da war ja noch was!
„Ja ... was ... ist ... denn ... Schatz?" röchelte ich, während ich hektisch über die Schulter zurückblickte und sah, wie ein riesiger schwarzer SUV in die Straße hinter uns einbog.
Nennt mich ruhig paranoid, ist mir wummpe! Mit einem riesigen Satz rettete ich uns beide erstmal in eine Gasse und dankte sehr enthusiastisch den Abfallgöttern New Yorks für ihre Dienste.
Unzählige sehr volle Müllsäcke boten hervorragenden Sichtschutz und den Gestank konnten wir doch sicherlich für ein paar Minuten ausblenden.
„Tante Lessia? Warum sind wir da weggelaufen? Dego und Tante Irira waren so nett! Und Tante Irira wollte mir später noch ein Eis geben."
Ich versuchte nicht an dem Ausdünsten des Müllbeutels neben mir nicht zu ersticken, während ich mit voller Inbrunst ein Sauerstoffzelt herbeiwünschte. Und da hätten wir mal wieder der Beweis, dass das wahre Leben kein Märchen war, denn bedauerlicherweise materialisierte sich keine fliegende, ältere Dame im blauen Kleid mit Zauberstab vor mir und bibidi babidi buhte meine Welt wieder in Ordnung.
Schöner Mist!
Jetzt musste ich mein Kind halt in einer schäbigen Gasse, versteckt hinter Containern und Müllbeuteln darüber aufklären, dass es einige sehr, sehr, SEHR böse Menschen auf der Welt gab, mit denen wir uns besser nicht einlassen sollte.
„Aber Dego hat mir Cornflakes gemacht!", jammerte Kiara mit Tränen in den Augen.
Oh, ok ... das war natürlich was gaaaaaanz anderes.
Wäre es Müsli gewesen, hätte ich die Maus nicht überzeugen müssen, dass „Dego" ein böser Mensch war - sie hasste Haferflocken und Rosinen wie die Pest.
Kiki wickelte ein blondes Löckchen um den Zeigefinger und schob bockig die Unterlippe vor.
Kleiner süßer Sturkopf!
Anscheinend hatte sie den Brutalo, der meine Wohnung auseinander genommen hatte, echt in ihr Herzchen geschlossen. Wie er das hinbekommen hatte, würde ich später aus Kiara herauskitzeln.Jetzt erstmal zum wichtigen Part des Tages ... das Türmen vor der Bratwa.
Tja, leichter gesagt, als getan ... denn selbst wenn ich das mit dem erfolgreichen Türmen hinbekam, blieb da immer noch die Kleinigkeit mit der verwüsteten Wohnung.
Ich sah auf die Uhr und realisierte, dass wir bereits seit einer viertel Stunde in diesem Mief ausharrten.
An dieser Stelle zog ich den Hut vor dem Kind auf meiner Hüfte, welches sich immer noch nicht beschwert hatte und weiterhin angestrengt darüber nachdachte, was ich ihr gerade über böse Menschen erzählt hatte. Vorsichtig linste ich zunächst um die Ecke des Müllcontainers, dann tapperte ich fünf Schritte weiter und spähte auf die Main Avenue hinaus. Paranoia hin oder her.
Zumindest der schwarze Bonzenschlitten war verschwunden.
Ich beschloss es zu riskieren und schlenderte betont unschuldig in die vorbei strömende Menschenmenge.
Ein Opa und seine hysterisch kläffende Misttöle von Chihuahua wich mit angewiderter Miene zur Seite und meckerte: „Duschen Sie gefälligst mal, junge Dame! Schämen Sie sich denn gar nicht, so stinkend durch die Straßen zu gehen? Und das auch noch mit einem Kind ... also wirklich!"
Ich hob eine Augenbraue und beschloss, dass der Penistragende Teil der Weltbevölkerung mir für heute genug auf den Zünder gegangen war.
„Ach, tatsächlich? Hab ich Sie gerade etwa nach Ihrer Meinung gefragt? Steht auf meiner Stirn vielleicht ‚quatsch mich voll?' Bringen Sie lieber den Köter zur Benimm Schule, das Gebelle stört meine neue Freundin, die Ratte Miss Monteque - frisch aus der Müllgasse in meine Handtasche geschlüpft! Und wenn die sich erstmal gestört fühlt, kackt sie Ihnen Ihren Fake Armani Anzug voll!"
Dämlich vor sich hin glotzend und vor Empörung mit Dampf aus den Ohren quellend imitierte Opa ausgesprochen eindrucksvoll einen Fisch an Land und ich schwebte erhobenen Hauptes in Richtung meiner Wohnung davon.
Kiki runzelte die Stirn und fragte dann: „Eine Ratte in deiner Handtasche? Darf ich die behalten? Dann können ich und Rain mit Miss Monteku spielen!"
Na, so weit kommt es noch ... Miss „Monteku" würde eher ein recht unrühmliches Ende als Mitternachtssnack im Magen meiner verfressenen Katze finden, oder die Ratte würde ...
Moment mal ...
Na, super.
Ich war anscheinend völlig durchgedreht und mein Verstand hatte sich zum Kurzurlaub nach Neuseeland verkrümelt.
Und dieser Gedanke animierte mich irgendwie jetzt dazu, mir Herr der Ringe Trilogie mal wieder reinziehen zu wollen.
Äääh ... wo war ich nochmal stehen geblieben? Oh, WOW ... ich war mitten in einer herrlichen Hysterie, denn mein Hirn klammerte sich lieber an Banalitäten und fand die nicht existierende Ratte Miss Monteque als sehr viel sicheres Terrain als die Tatsache, dass der Sahneschnittige Boss der New Yorker Bratwa mich als neues Objekt seiner Begierde auserkoren hatte.„Alessia?"
Verwirrt drehte ich mich um und stand auf einmal vor der Omelette Lady Miss Miller. Die knallharte Motorradbraut lehnte gerade über einer schweren Monstrosität von Maschine und polierte den bereits blitzenden Chrom des Lenkers mit einem weichen Tuch.
„Fahrrad!" krähte Kiki begeistert - die nicht existierende Ratte war zum Glück vergessen - und streckte die kleinen Patschehändchen nach der Harley aus.
„Nah dran, Engelchen", gurrte Candice Miller und stopfte das Tuch in eine Umhängetasche. „Ist alles in Ordnung, Liebes?"
Die Frau musterte mich besorgt und ich bemühte mich um ein klappriges Lächeln.
„Da waren böse Menschen, die haben unsere Wohnung kaputtgemacht, unsere Katze geärgert und mich mitgenommen!"
Kikis ernstes Stimmchen, gepaart mit einem phänomenalen Welpenblick genügten, damit Miss Miller beinahe das Motorrad auf die Füße kippte.
„Wie war das?"
Schockiert blinzelte die Omelette Lady wie eine Eule bei Tag und sah mich fragend an. Ich nickte zaghaft und kämpfte auf einmal mit den Tränen.
„Oh, Gott ... Kindchen ... Hast du die Polizei schon informiert?"
Ich presste die Lippen fest zusammen und schüttelte den Kopf. Irgendwie hatte ich so meine Zweifel, dass die Cops gegen die Suderow Bratwa ermitteln würden. Dass die gekauften Dreckskerle mich mit einer riesigen roten Schleife versehen wieder bei den Russen abliefern würden, war da schon sehr viel wahrscheinlicher.
Miss Miller betrachtete mich nachdenklich, überlegte einige Sekunden und dann sagte sie entschieden: „Alles klar! Wir holen jetzt deine Katze und dann werdet ihr alle erstmal mit zu mir kommen! Ich habe ein großes Gästezimmer, welches ich nicht benutze ... die Mieze muss vermutlich einmal mit meinem Dackel Bones die Fronten klären, aber das bekommen die beiden schon hin!"
Ich sah auf Kiki, deren Gesicht bei dem Wort Dackel aufleuchtete wie eine Supernova und begriff, dass mir die Optionen ausgingen, ... die einzige Freundin, die ich noch hatte, war Valeria und die wohnte in einem winzigen Einzimmer Apartment.
Niedergeschlagen und emotional derart ausgetrocknet wie die Sahara im Hochsommer willigte ich schließlich ein.
Zumindest würde uns die Bratwa bei Miss Miller nicht in einer Million Jahren vermuten ... und nach ein paar Stunden ungestörten Schlafes fiel mir vielleicht auch ein großartiger Ausweg aus meiner Misere ein, der verhinderte, dass ich bald bei den Fischen schlummerte!
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Es begann mit einem Ring
AcciónWer hätte das gedacht? Eigentlich war meine Planung doch so einfach. Alles was ich wollte, war: 1. In Ruhe gelassen werden. 2. mir mindestens drei Katzen zulegen. 3. ja niemandem auffallen. 4. mich soweit wie irgendmöglich mich von meiner Alkoholi...