Jaydas Wangen glühten noch immer, als sie wieder unten im Wohnzimmer ankam. Es war ihr unangenehm, Hunter in der Wanne gesehen zu haben. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass es ihm mindestens genau so unangenehm gewesen war, immerhin hatte er versucht, sich möglichst zu bedecken.
Seufzend ließ sie sich auf ihrem Sofa nieder, wobei der Schlafsack neben ihr raschelte. Das Feuer war inzwischen erloschen und es war nur noch Asche im Kamin zu sehen. Ihr Blick wanderte umher und sie musste zugeben, dass das Haus bei Tageslicht ganz und gar nicht mehr gruselig war. Es löste eher ein Gefühl der Ehrfurcht in ihr aus, dennoch war sie froh, die Nacht hier verbracht zu haben. Immerhin war sie aufgewärmt, sie hatte so gut und so lange wie schon seit einigen Tagen nicht mehr geschlafen und sie hatten sogar die Möglichkeit, sich anständig zu waschen.
Jayda bemerkte, dass ihr Magen knurrte, allerdings hatten sie nichts zu essen hier. Sie würden also wohl oder übel nach einem Supermarkt oder einer Tankstelle suchen müssen, um sich mit Vorräten einzudecken.
Allerdings fragte sie sich, ob Hunter gleich wieder weiter wollte oder ob sie nicht vielleicht ein paar Tage hierblieben. Sozusagen zur Ruhe kamen, bevor sie ihre Wanderung ins Ungewisse fortsetzten. Denn eines war klar: Ein Ziel hatte sie nicht wirklich und sie war sich ziemlich sicher, dass Hunter auch keines hatte. Aber sie konnten nicht ewig davonlaufen, irgendwann würden sie sich ihrer Vergangenheit stellen, sich einen Ort suchen, an dem sie leben wollten und sich dort niederlassen.
Jayda räusperte sich, um die Grübeleien zu beenden. Sie musste fokussiert bleiben, denn sonst würde sie sich wieder einmal in ihren Gedanken verlieren. Sie griff nach ihrem Rucksack, der neben dem Sofa auf dem Boden stand und holte frische Klamotten und ihre Zahnbürste samt Zahnpasta heraus. Sie kramte noch nach ihrer Bürste, die natürlich bis ganz nach unten gerutscht war. Sie klappte die kleine, runde Bürste auf und betrachtete sich einen Moment lang in dem kleinen Spiegel im Deckel.
Sie konnte nur einen Ausschnitt ihres Gesichts erkennen, allerdings fiel ihr sofort ihr vollkommen zerzaustes Haar ins Auge. Erschrocken kämmte sie es durch und wieder wurden ihre Wangen heiß, denn Hunter hatte sie so zerstrubbelt gesehen.
Nachdem sie ihr Haar geordnet hatte, platzierte sie ihre Kleidung zusammen mit dem restlichen Zeug auf ihrem Schoß und wartete. Sicherlich ließ Hunter sich Zeit, verübeln konnte sie es ihm nicht. Einen Moment lang lauschte sie der Stille, bis Schritte hörte.
„Jayda? Ich bin fertig", rief Hunter und als sie sich umwandte, betrat er gerade das Wohnzimmer. Er lächelte und er wirkte eindeutig entspannt und ziemlich zufrieden.
„Deine Seife ist noch oben und ich habe dir frisches Wasser eingelassen", sagte er und deutete mit dem Daumen über die Schulter. Sie nickte und erhob sich. Unwillkürlich betrachtete sie Hunter, als er zu ihr kam. Sein Haar war feucht und sie roch den Duft ihrer Seife an ihm. Seine Wangen waren gerötet und auf einmal sah er ein wenig verlegen aus. Er schob die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick auf den Boden.
„Tut mir leid, dass ich dich vorhin nicht vorgewarnt habe. Ich... ich hatte wirklich keinen Hintergedanken", sagte er leise. Jayda zuckte zusammen, dennoch nickte sie. Es war nett von ihm, dass er das sagte und ehrlicherweise erleichterte es sie auch. Schon gestern hatte sie darüber nachdenken müssen, ob Hunter ihr nicht unangemessene Avancen machen würde. Aber nun glaubte sie eindeutig nicht mehr daran.
„Schon okay", erwiderte sie, bevor sie langsam an ihm vorbei in Richtung Flur ging. Die Aussicht auf ein Bad war wirklich verlockend.
„Ich warte auf dich hier unten", sagte Hunter, was sie unwillkürlich den Kopf noch einmal zu ihm herumdrehen ließ. Beinahe wirkte er verlegen, sein Lächeln wurde schief und seine Augen blitzten.
Sie nickte nur und verließ anschließend das Zimmer. Sie huschte durch den dunklen Flur die Treppe hinauf. Schon im Flur hörte sie das Plätschern des Wassers und sie beeilte sich, in das Bad zu gelangen.
Sonnenlicht drang durch die Fenster herein und als sie zur Badewanne sah, bemerkte sie, dass sie beinahe schon ganz voll war. Sie trat näher heran, drehte das Wasser ab, entledigte sich ihrer Kleidung und ließ sich in das herrlich warme Wasser sinken. Sofort fühlte sie sich entspannt und es gelang ihr, für ein paar Minuten die Gedanken auszuschalten. Es war wirklich wunderbar, dass sie hier fließendes, warmes Wasser hatten und sie nahm sich vor, das noch so oft es ging auszunutzen.
Langsam ließ sie sich tiefer ins Wasser gleiten, holte tief Luft und tauchte unter. Ihrem Haar würde etwas Seife ebenfalls gut tun. Sie lauschte dem Plätschern des Wassers, das sich unter Wasser ganz anders anhörte. Es kam ihr beinahe vor, als würde sie in eine andere Welt eintauchen und alle Geräusche nur gedämpft wahrnehmen. Sie mochte dieses Gefühl, doch schon bald musste sie wieder auftauchen, um Luft zu holen. Sie wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht, griff nach der Seife und fing an, sich einzuseifen. Rosenduft breitete sich aus und sie stellte sich vor, wie Hunter nun ebenfalls wie ein Mädchen roch. Es ließ sie kichern, aber ihr war es lieber, er roch nach Rosen als nach Schweiß.
Noch einmal tauchte sie unter, um die ganze Seife aus ihren Haaren zu waschen. Ihre Augen waren geschlossen, als sie mit dem Fingern durch ihr Haar fuhr. Das Wasser um sie herum plätscherte dumpf und sie hörte ein leises Rauschen.
Doch da war auch noch etwas anderes, etwas, das sie nicht direkt zuordnen konnte. War das... eine Stimme? Angestrengt lauschte sie, hörte aber nichts als ihren eigenen, pochenden Herzschlag.
„Jayda", hörte sie auf einmal Hunters Stimme, sanft und weich, beinahe liebevoll sprach er ihren Namen aus. Jayda zuckte heftig zusammen, drückte sich mit den Händen vom Boden der Wanne auf und durchbrach mit dem Kopf die Wasseroberfläche.
Sie keuchte, ihr Herz hämmerte wie wild in ihrer Brust. Noch immer hallte Hunters Stimme in ihren Ohren, denn dieser Tonfall war eindeutig falsch gewesen. Sie wischte sich das Haar aus dem Gesicht, verteilte dabei einige Wassertropfen auf dem Badezimmerboden und sah sich suchend um. Von Hunter war nichts zu sehen und nichts zu hören. Hatte sie ihn womöglich irgendwie durch die Rohre hören können? War das möglich?
Kurzentschlossen holte sie noch einmal Luft und tauchte ab. Angestrengt lauschte sie und wieder hörte sie etwas. Es dauerte einen Moment lang, bis sie zuordnen konnte, was es war. Eindeutig konnte sie Hunters Atmen hören, das immer heftiger wurde, bis es zu einem Keuchen anschwoll.
„Jayda, du bist so wunderschön."
Ihre Brust wurde eng. Also doch. Sie war hin und her gerissen, ob ihre Fantasie ihr einen Streich spielte, aber es war eindeutig Hunter, den sie hörte.
„Berühre mich, Gott, ja, genau so."
Jayda wurde panisch. Sie tauchte wieder aus dem Wasser auf und stieg aus der Wanne. Es war ihr mehr als unangenehm, was sie soeben gehört hatte und für einen Moment lang war sie versucht gewesen, einfach nach unten zu stürmen und ihn auf frischer Tat zu ertappen, bis ihr bewusst wurde, dass sie vollkommen nackt war und ihm dadurch genau das falsche Signal schicken würde.
Mit zitternden Finger griff sie in das Wasser und zog den Stöpsel. Mit einem gurgelnden Gluckern floss das Wasser ab und sie beobachtete, wie es in einem Kreisel in dem Abfluss verschwand. Anschließend griff sie nach ihrem schmutzigen T-Shirt, trocknete sich damit ab und schlüpfte in ihre frischen Klamotten, bevor sie ihr Haar kämmte und ihre Zähne putzte.
Sie ließ sich ein wenig Zeit, dann wäre Hunter hoffentlich mit seinem... seiner Unangemessenheit fertig. Eine Gänsehaut legte sich auf ihre Arme, denn sie wusste nicht so recht, ob sie ihn darauf ansprechen sollte. Und selbst wenn sie es tun würde, wie nur? Kopfschüttelnd vertrieb sie die Vorstellung an ihn, kramte ihr Zeug zusammen und ging nach unten. Eines war sicher, sie würde es erst einmal nicht erwähnen.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...