Gedankenverloren ließ Jayda das warme Wasser um ihre Finger wirbeln. Das Bad entspannte sie und sie lauschte schon einige Minuten lang dem leisen Knistern des Seifenschaums. Der Badezusatz, den sie heute Vormittag gekauft hatten, roch künstlich süß, aber er machte jede Menge Schaum.
Unwillkürlich musste sie an ihr letztes Bad denken und daran, was sie geglaubt hatte, zu hören. Komischerweise wusste sie nicht so recht, ob Hunter ihr was diese Sache anging die Wahrheit gesagt hatte, obwohl er bisher ziemlich ehrlich gewirkt hatte. Eilig verdrängte sie die Gedanken, daran wollte sie nun wirklich nicht mehr denken.
Ein Seufzen entfuhr ihr, denn sie schaffte es nicht, ihre Gedanken in den Hintergrund zu drängen. Sie kreisten und kreisten, ohne dass sie einen davon zu fassen bekommen hätte. Kopfschüttelnd fuhr sie sich mit den Händen durchs Gesicht, schloss die Augen und entspannte all ihre Muskeln. Wieder fiel ihr das Knistern des Schaums auf und sie konzentrierte sich auf seinen süßlichen Geruch.
Plötzlich schoss ihr ein so klarer Gedanke durch den Kopf, dass sie erschrocken zusammenzuckte. Hunter war nun volljährig, er musste nicht mehr vor seinen Eltern davonlaufen. Er musste nicht mehr fliehen.
Jaydas Herz hämmerte wie verrückt, denn unweigerlich musste sie sich fragen, was das für Konsequenzen hatte. Er war nun nicht mehr in Gefahr, konnte sich einen Job suchen, ein kleines Apartment mieten und ganz in Ruhe sein Leben leben, weit weg von seinen Eltern, die anscheinend nicht wirklich besser waren als ihre eigenen.
Würde er sich heute Nacht auf und davon machen und sie allein lassen? Was sollte sie nur allein machen? Sie hatte kein Geld und auch sonst kam Hunter sehr viel besser zurecht, als sie selbst und konnte ihr dadurch helfen.
Panik machte sich in ihr breit, denn sie wollte nicht, dass er sie allein ließ. Selbst wenn er ihr etwas Geld daließ, würde sie sicherlich ziemlich schnell die Hoffnung verlieren. Sie war schwach, das war sie schon immer gewesen und in diesem Moment glaubte sie, dass sie ohne Hunter zurückgehen würde. Zurück zu ihren Eltern, zurück in die tägliche Pein und zurück in die Arme ihres Vaters, der sie demütigte.
Ein Schluchzen entfuhr ihr. Nein! Das durfte sie nicht zulassen! Sie war stark, nicht schwach! Dennoch wurde ihr auf einmal übel. Was, wenn Hunter sich heimlich aus dem Staub machte, während sie hier seelenruhig badete? Angestrengt lauschte sie, ob von unten ein Geräusch zu hören war. Nichts. Sie hörte absolut nichts.
Getrieben von Angst sprang sie aus dem Wasser. Ein Plätschern ertönte, so laut, als wäre es nicht das Schwappen in einer Badewanne, sondern eine meterhohe Welle, die auf Felsen schlägt. Augenblicklich legte sich auf ihre nasse Haut eine Gänsehaut und sie fröstelte. Sie griff nach dem bereitgelegten Handtuch und wickelte sich darin ein.
Obwohl das Bad recht groß war, hatte sich dichter Wasserdampf gebildet. Der Spiegel war beschlagen und als sie mit dem Finger über den Schrank links neben dem Waschbecken fuhr, bemerkte sie die Feuchtigkeit darauf.
Eilig ging sie zum Fenster und öffnete es, damit der Dampf entweichen konnte. Sofort wehte eine kühle Brise herein und es wirkte, als würde der Wasserdampf vor ihr nach draußen fliehen.
Jayda fing an, sich abzutrocknen, hektisch und unruhig. Sie musste so schnell es ging nachsehen, ob Hunter noch da war. Sie schlüpfte in ihren Schlafanzug, zog sich aber ihre Strickjacke noch über, ebenso wie ihre dicken Socken. Anschließend beugte sie sich vornüber, kämmte ihr Haar notdürftig mit den Fingern und wickelte das Handtuch darum.
Als sie sich wieder aufrichtete und ihr Blick in den Spiegel fiel, zuckte sie heftig zusammen. Ihr Herz hämmerte wie verrückt und verwundert schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein, das musste sie sich eingebildet haben! Jayda spürte, wie sie anfing am ganzen Leib zu zittern. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, gleichzeitig konnte sie den Blick nicht abwenden. Ungläubig starrte sie in den Spiegel, erkannte sich verschwommen selbst.
Etwas war allerdings unglaublich scharf zu sehen, so als wollte es unbedingt gesehen werden. Auf den beschlagenen Spiegel hatte jemand ein Wort geschrieben. Einen Namen.
Jaydas Atem beschleunigte sich, denn das bedeutete doch, dass jemand während ihres Bades hereingekommen sein musste. Hunter war es nicht gewesen, ihn hätte sie sicherlich bemerkt. Vielleicht... vielleicht hatte jemand auch schon vorher seinen Namen auf den Spiegel geschrieben und er war nun durch den Wasserdampf wieder sichtbar geworden. Ja, so musste es sicherlich gewesen sein!
Kopfschüttelnd wandte sie den Blick ab, doch als würde eine unheimliche Kraft von dem Spiegel und den Buchstaben darauf ausgehen, sah sie sogleich wieder hin. „Amber", formte sie mit den Lippen und genau in diesem Moment drang ein kalter Luftzug durch das geöffnete Fenster herein. Jayda riss den Blick herum und schloss das Fenster mit einem endgültigen Geräusch, bevor sie aus dem Bad hetzte.
Das alles war ihr unheimlich und sie musste sich vergewissern, dass sie nicht allein in diesem gruseligen Haus war. Gleichzeitig wirbelten ihre Gedanken um diesen Namen. Amber. War das auch jemand, der von zu Hause abgehauen und hier für eine Weile gewohnt hatte? Hatte Amber ihren Namen auf den beschlagenen Spiegel geschrieben, sodass er nun immer sichtbar wurde, wenn der Wasserdampf sich darauf ablegte?
Jayda eilte die Treppe nach unten und stürzte ins Wohnzimmer, beinahe in der Erwartung, es verlassen vorzufinden.
„Hunter?", keuchte sie, während sie ins Wohnzimmer stolperte, die Klinke der Tür so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
„Ja?", fragte Hunter, der im Schneidersitz auf seinem Sofa saß und sie erschrocken ansah. Jayda fiel ein Stein vom Herzen. Hunter war noch da, er hatte sie nicht allein gelassen. Erleichtert atmete sie auf und für eine Sekunde schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen.
„Ist alles okay? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", sagte Hunter in einer Mischung aus Belustigung und Sorge. Bevor Jayda antwortete, schloss sie die Wohnzimmertür hinter sich und huschte zu ihrem Sofa. Sie ließ sich darauf nieder und umklammerte eines der Kissen.
„Ich... ich habe mich nur erschrocken, als mir klar geworden ist, dass du nun volljährig bist", sagte sie und sah Hunter ängstlich in die Augen. Hoffentlich wusste er, dass er sie nicht allein lassen konnte. Zumindest ihr egoistischer Teil wollte das nicht. Hunter gluckste.
„Scharf kombiniert", erwiderte er, schien aber nachzudenken, was das bedeutete. Seine Augen wanderten von links nach rechts, bevor sie sich wieder mit den ihren vereinten.
„Ja, und... das heißt, dass du nicht mehr vor deinen Eltern weglaufen musst und... und dass du gehen könntest", stammelte sie und kam sich dabei ziemlich dämlich vor. Selbst wenn Hunter gehen wollte, was sollte sie dagegen schon tun? Wieder lachte Hunter auf.
„Hey, ich werde dich nicht allein lassen. Wenn das deine Sorge war. Ich... naja, ich will mich lieber noch eine Weile versteckt halten, bevor ich... bevor ich mich irgendwo niederlasse", erklärte er, wirkte aber, als hätte er eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen. Jayda musterte ihn aufmerksam, traute sich aber nicht, genauer nachzufragen. Er war hier und er schien sie tatsächlich nicht in der nächsten Zeit verlassen zu wollen. Darauf sollte sie sich jetzt konzentrieren. Dennoch ließ sie dieser blöde Name im Spiegel nicht los.
„Hey, was ist? Du wirkst verängstigt", bemerkte Hunter, so als könnte er ihre Gedanken lesen. Erst da wurde ihr bewusst, dass sie den Blick auf das Kissen gerichtet hatte, das sie noch immer umklammerte. Für eine Sekunde überlegte sie, ob sie Hunter wirklich davon erzählen sollte, aber sicherlich könnte er sie noch ein bisschen mehr davon überzeugen, dass es dafür eine ganz rationale Erklärung gab.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...