Kapitel 9 - Jayda

11 4 20
                                    

Jayda spürte noch immer, wie ihre Wangen heiß waren, auch wenn sie schon vor zehn Minuten das Tor passiert hatten. Seitdem schwiegen sie und Hunter sich an und sie kam sich vollkommen dämlich vor. 

Sie hatte überreagiert, oder? Selbst wenn er... das getan hatte, er hatte es immerhin getan, als sie in einem anderen Stockwerk in der Badewanne lag. Er hatte nicht gewollt, dass sie es mitbekam. Dennoch war sie skeptisch, ob ihre Fantasie ihr nicht doch einen Streich gespielt hatte. Immerhin leugnete er es und er hatte wirklich nicht so gewirkt, als würde er lügen. Vorsichtig warf sie einen Blick zu ihm, den er sofort erwiderte. 

„Ich denke, wir sollten bald auf eine Straße stoßen. Siehst du, da ist schon ein Wanderweg ausgeschildert", sagte er und deutete nach vorn. Jayda folgte seinem Fingerzeig und entdeckte an der nächsten Weggabelung ein kleines Richtungsschild.

Als sie daran vorbeikamen, warf sie einen Blick darauf. Wenn sie dem Weg weiter folgten, würden sie in zwei Kilometern in einem Ort namens Edgecomb sein. Unwillkürlich musste sie lächeln, denn obwohl sie beide kein Handy bei sich hatten, schien Hunter immer wieder den richtigen Weg zu finden. Hoffentlich hatte er sich auch gemerkt, wie sie zurück zu dem Haus kamen, aber sie vertraute einfach mal auf seinen Orientierungssinn. 

„Heute scheint ein richtig schöner Tag zu werden, die Sonne scheint und es ist viel wärmer als gestern", sagte Hunter auf einmal gut gelaunt. Jayda nickte und spürte sogleich die lauwarme Luft mit ihrem Haar spielen. 

„Weißt du, gestern fand ich das Haus ziemlich gruselig, aber ich bin sicher, wenn wir es nachher bei Tageslicht ansehen, ist es einfach nur ein altes, unbewohntes Haus. Mit einer fantastischen Badewanne", fuhr er fort. Jaydas Mundwinkel zuckten, denn sicherlich hatte er recht. 

Gestern Abend, als sie dort im Dunkeln und vollkommen durchnässt angekommen waren, hatte sie sich unwohl gefühlt und Zweifel waren über sie gekommen. Aber nun fühlte sie sich davon befreit, ja sie fragte sich sogar, warum sie so ängstlich und misstrauisch gewesen war. 

„Hunter, es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Du kannst tun und lassen, was du willst und es geht mich überhaupt nichts an", sagte sie, spürte aber sogleich wieder eine prickelnde Wärme auf ihren Wangen. Hunter räusperte sich, schwieg anschließend jedoch für ein paar Sekunden. 

„Vergessen wir es einfach. Wir besorgen uns gleich etwas wahnsinnig Leckeres zu Essen und schlagen uns die Bäuche voll. Das wird super", erwiderte er, allerdings glaubte sie in seiner Stimme so etwas wie unterdrückten Ärger zu spüren. Beinahe so, als gäbe er ihr nur recht, damit sie diese Sache aus dem Kopf hatte. Sie schluckte schwer, akzeptierte es aber. Nun, da Hunter wusste, dass das Haus sehr hellhörig war, würde ihm so etwas sicherlich nicht noch einmal passieren. 

Jayda verscheuchte die Gedanken aus ihrem Kopf und schüttelte ihn leicht. Genau in diesem Moment erblickte sie in einiger Entfernung, dass der Wald sich lichtete und der bucklige, weiche Erdboden von einer asphaltierten Straße abgelöst wurde. Wie von allein beschleunigte sie ihre Schritte, denn ihr Magen hing ihr inzwischen in den Kniekehlen. 

„Sicher ist es nicht mehr weit", sagte Hunter neben ihr, eindeutig voller Vorfreude. Er hatte seine Daumen unter die Riemen seines Rucksacks gespannt und legte noch einen Zahn zu. 

Schon nach wenigen Minuten erreichten sie die Straße und befanden sich direkt mitten in einem kleinen Örtchen. 

„Oh, ich... ich hätte nicht gedacht, dass es so nah ist", rutschte es ihr heraus, denn sie hatte sich schon auf einen längeren Fußmarsch am Rande einer wenig befahrenen Landstraße eingestellt. 

„Na, das ist doch wunderbar!", rief Hunter aus, schaute einmal nach links und nach rechts und überquerte die Straße. Dort lagen gleich mehrere kleine Geschäfte und dem Geruch nach zu urteilen auch ein Diner, der fettige, aber unglaublich leckere Pommes anbot. 

Sie betraten die kleine Straße, die dem Waldweg direkt gegenüberlag und fanden sich in einer kleinen Einkaufsmeile wieder. Links lag ein Big Y Supermarkt, direkt daneben ein Diner in einem dunkelgelben Gebäude mit rotem Mansardflachdach. Sie bemerkte eine kleine Tafel, die davor aufgestellt worden war, auf der in kunstvollen Lettern „Angebot – Geburtstagskinder essen umsonst" geschrieben war. Zu schade, dass sie erst in ein paar Wochen Geburtstag hatte. 

„Hey, gehen wir hier rein. Bist eingeladen. Und danach holen wir uns Vorräte für ein paar Tage im Big Y", sagte Hunter bestimmt und machte eine auffordernde Handbewegung, dass sie ihm folgen sollte. Gehorsam tat sie es und trat durch die Tür des Diners, die er ihr wie ein Gentleman aufhielt. 

Sofort stieg ihr der Duft nach Kaffee, gebratenem Speck und Pancakes in die Nase. Sie schnupperte und schloss für einen Moment die Augen. Hunter trat zielstrebig auf einen Tisch in der Ecke zu und setzte sich auf die Sitzbank. Das Kunstleder, mit der sie bezogen war, wirkte schon ziemlich abgewetzt und auf dem Tisch war eindeutig eine klebrige Schicht zu sehen, aber Jayda war das vollkommen egal. Sie wollte nur etwas essen und das so schnell wie möglich. 

Hunter griff nach einer der laminierten Karten, die in einem Halter auf dem Tisch standen und ließ den Blick darüber wandern. Jayda tat es ihm gleich und am liebsten hätte sie alles bestellt. 

„Nimm dir, was du willst. Wir haben genug Geld", raunte er ihr zu, als würde er ahnen, dass sie absichtlich etwas Günstiges nehmen würde. 

„Ich zahle es dir irgendwann zurück, versprochen", sagte sie und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie sehr sie auf Hunter angewiesen war. Er brummte nur und wandte sich anschließend der Kellnerin zu, die in diesem Moment an ihren Tisch trat. Noch bevor Jayda etwas sagen konnte, plapperte er los. 

„Ich nehme eine heiße Schokolade und eine große Portion Rührei mit Speck", sagte er und sah anschließend zu Jayda. Etwas verunsichert sah sie noch einmal auf die Karte, entschied sich dann aber für das Gleiche. 

„Oh und... das Angebot draußen auf der Tafel...", fuhr Hunter fort, während die Kellnerin ihre Bestellung auf einem kleinen Block notierte. Sofort grinste diese verschmitzt. 

„Da muss ich aber deinen Ausweis sehen", schnurrte sie, so als würde sie vermuten, dass Hunter schwindelte. Jayda schluckte schwer, denn sie erinnerte sich an das Geburtstagsangebot, das draußen angepriesen wurde. Hatte Hunter etwa... hatte er etwa Geburtstag? Geschockt sah sie zu ihm, wie er sich unter den Tisch beugte und in seinem Rucksack herumkramte. 

„Hier, bitte", sagte er und reichte der Kellnerin seinen Ausweis. Sie musterte ihn eindringlich, nickte schließlich und reichte ihn ihm zurück. 

„Na dann, herzlichen Glückwunsch zum Achtzehnten."

Jayda klappte die Kinnlade herunter. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er heute Geburtstag hatte. 

„Hunter, ich... Alles Gute zum Geburtstag", brachte sie hervor, allerdings wich er ihrem Blick aus, während er seinen Ausweis wieder im Rucksack verstaute. Als er sie schließlich ansah, machte er eine wegwerfende Handbewegung. 

„Eigentlich wollte ich nicht, dass du es erfährst", erwiderte er, „aber danke".

Jayda fühlte sich schlecht, auch wenn sie keine Schuld traf. Immerhin konnte sie nicht hellsehen, aber sie hatte auf einmal das Bedürfnis, ihm einen schönen Tag zu machen. Zögerlich sah sie wieder zu ihm. 

„Hast du heute Lust, etwas Schönes zu machen?", fragte sie, was ihn freudlos auflachen ließ, bevor sich ein Grinsen auf seine Lippen schlich. 

„Nun ja, die Badewanne war schon sehr verlockend. Noch schöner wird es sein, wenn wir gleich ein paar Badezusätze kaufen und ich heute Abend richtig schön entspanne", sagte er und seufzte genüsslich. Jayda kicherte leise, denn auch sie wollte unbedingt noch einmal baden. Wer wusste denn schon, wie lange sie noch hier bleiben würden? 

„Gut, aber wir kaufen dir auch einen Kuchen", bestimmte sie, was Hunter mit einem Augenrollen kommentierte. Dennoch glaubte sie, ein kleines Funkeln in seinen Augen zu erkennen. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt