Jayda blickte in die Überreste des Kaminfeuers. Es lag nur noch ein verkohlter Haufen Brennholz darin, der mit Sicherheit zu Asche zerfiel, sobald man ihn berührte.
Inzwischen war es Abend, allerdings hingen ihr die Ereignisse des Tages noch immer in den Knochen. Dass Hunter Alastor nun ein zweites Mal gesehen hatte und er offensichtlich nicht nur als kurzes Aufflackern vor ihm erschienen war, bestätigte ihre immer stärker werdende Vermutung, dass Hunter nicht ehrlich war. Dass er doch ein Verbrechen begangen hatte und deswegen den Alastor sehen konnte und dieser ihm, zumindest wenn sein Bericht stimmte, einflüsterte, Menschen zu töten.
Er tritt auf, wenn Menschen eine Freveltat begehen und erscheint den Menschen wie ein stetiger Begleiter, der sie immer weiter dazu verleitet, weitere Freveltaten zu begehen.
Das hatte in dem Buch über ihn gestanden und das alles passte doch viel zu gut, als dass es nur ein Irrtum oder ein Auswuchs ihrer Fantasie sein konnte.
Jayda schüttelte sich, schlang ihre Arme um den Körper und wandte sich um. Während sie grübelnd am Kamin gestanden hatte, war es dunkel geworden und sie tastete sich durch das Dämmerlicht bis zur Tür, neben der der Lichtschalter lag. Sie betätigte ihn und augenblicklich wurde der Raum in schummriges Licht getaucht.
Genau in diesem Moment hörte sie ein Klopfen an der Haustür. Erschrocken zuckte sie zusammen, lachte dann aber, als Hunter eine lustige Melodie klopfte. Eilig ging sie in den Flur, um ihm die Tür zu öffnen. Sofort strömte ein eiskalter Luftzug ins Haus, der ihr das Haar durcheinander wirbelte, allerdings erkannte sie auch Hunter, der in den Armen jede Menge Brennholz hielt. Bis unters Kinn hatte er dicke Äste gestapelt und drängte sich eilig an ihr vorbei, um wieder ins Warme zu kommen.
„Da braut sich ganz schön was zusammen", sagte er, „wird sicher eine unangenehme Nacht."
Jayda schloss eilig die Tür hinter ihm, denn tatsächlich war nun der Einzug des Herbstes nicht mehr zu verleugnen und für gewöhnlich war der Herbst in dieser Gegend rau und kalt. Skeptisch sah Jayda ihm nach, bis er das Holz vor dem Kamin auf den Boden fallen ließ und sich daran machte, es darin zu stapeln. Langsam folgte sie ihm und setzte sich beinahe behutsam auf ihr Sofa, während sie ihn keine Sekunde aus den Augen ließ.
„Du... du fühlst dich noch immer gut?", fragte sie misstrauisch, denn immerhin schien Alastor zu wollen, dass Hunter ihr etwas antat. Er hielt in seiner Arbeit inne und wandte ihr einen Blick über die Schulter zu. Sein blondes Haar fiel ihm dabei ins Gesicht und mit einer geschickten Bewegung wischte er es mit dem Zeigefinger zur Seite.
„Ja. Ich habe keine Ahnung, was im Badezimmer passiert ist, aber ich fühle mich wie immer", sagte er schulterzuckend und setzte anschließend ein Lächeln auf. Jayda erwiderte es gezwungen. Was für ein Verbrechen Hunter wohl begangen hatte?
Kopfschüttelnd vertrieb sie den Gedanken. Es wollte sich noch nicht so recht mit dem Bild, das sie von Hunter hatte, vereinen lassen, gleichzeitig passte alles zu gut zusammen. Sie war förmlich hin und her gerissen, ob sie nun ihm glauben sollte oder einem Dämon, von dem sie bis gestern noch nicht gewusst hatte, dass er existierte. Geschweige denn, dass Dämonen generell existierten und nicht nur Fantasiegestalten waren.
Hunter hatte sich wieder dem Kamin zugewandt und keine Sekunde später prasselte ein wärmendes Feuer darin. Er erhob sich, wischte sich die Hände an seiner Hose ab und ließ sich mit einem Seufzen auf sein Sofa fallen.
„Hoffentlich trocknet bei dem kalten Wetter alles gut durch und das Haus fängt nicht an zu schimmeln", sagte er und im ersten Moment wusste Jayda nicht, was er damit meinte. Allerdings nur kurz, denn da fiel ihr wieder die Überschwemmung ein, die bis in den Flur im Erdgeschoss alles unter Wasser gesetzt hatte. Glücklicherweise war nichts bis ins Wohnzimmer gekommen, sodass sie es hier schön trocken und warm hatten.
Sie nickte nur, konnte aber nicht anders, als ihn weiterhin anzustarren. Offensichtlich bemerkte er ihren Blick und erwiderte ihn unverhohlen. Seine Miene war ausdruckslos, gleichzeitig wirkte er, als wollte er irgendetwas loswerden. Augenblicklich wurde sie nervös, denn vielleicht gestand er nun endlich, was er getan hatte.
„Ich...", setzte er an, unterbrach sich aber mit einem Seufzen.
„Ich bin müde", sagte er hektisch und Jayda war sofort klar, dass ihn der Mut verlassen hatte. Sie schluckte schwer, nickte aber. Immerhin konnte sie ihn nicht dazu drängen, sich ihr zu offenbaren.
„Okay, legen wir uns schlafen. Es war ein anstrengender Tag", stimmte sie zu und erhob sich, um sich ihren Schlafanzug aus ihrem Rucksack zu holen. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch, dass Hunter keinerlei Anstalten machte, sich ebenfalls bettfertig zu machen. Wie in Trance saß er da und starrte vor sich hin. Jayda hielt in ihrer Bewegung inne und musterte ihn, bis er sich auf einmal schüttelte, ein Lächeln aufsetzte und sich ebenfalls erhob.
„Ganz schön gruselig war das heute", murmelte er mehr zu sich selbst als zu ihr und kramte nun in seinem Rucksack herum. Jayda nickte, zog ihren Schlafanzug heraus und verzog sich hinter ihr Sofa, um sich umzuziehen. Sie wusste, dass Hunter den Blick abgewendet hatte, dennoch sah sie hin und wieder über die Schulter, um es zu kontrollieren. Allerdings sah sie nichts als seinen Rücken.
Wenige Minuten später lagen sie in ihre Schlafsäcke gekuschelt auf den Sofas. Jayda lauschte dem leisen Knacken des Feuers im Kamin und ließ sich von den Flammen das Gesicht wärmen. Hunter rührte sich schon nicht mehr und genau in dem Moment, als sie zu ihm sah, fing er leise an zu schnarchen. Ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen, aber irgendwie fühlte sie sich besser, dass er zuerst eingeschlafen war. Sie drehte sich auf die andere Seite, sodass sie Hunter den Rücken zuwandte und schloss die Augen.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...