Ein wenig ungeduldig wartete Hunter auf Jayda. Sein Magen knurrte und ärgerte sich, dass er nicht schon gestern nach einem Supermarkt Ausschau gehalten hatte, um etwas zu Essen zu kaufen.
Er saß auf seinem vorübergehenden Schlafplatz und tippte unruhig mit dem Fuß auf. Trotz des Hungers fühlte er sich heute ziemlich gut, zumindest im Vergleich zu den letzten Wochen. Er hatte relativ gut geschlafen und auch noch ein angenehmes Bad bekommen, fehlte nur noch etwas Essbares, dann wäre sein Tag perfekt.
Sein Tag, denn er hatte heute Geburtstag. Jayda wusste es nicht und er hatte auch nicht vor, es ihr zu sagen. Hinterher fühlte sie sich schlecht, weil sie kein Geschenk für ihn hatte oder so. Hunter schüttelte den Kopf. Sie kannten sich eigentlich kaum und auch wenn sie durchaus hübsch war, schien sie ihn mehr als einen Verbündeten in einer Zweckgemeinschaft zu sehen.
Nervös stand Hunter auf und wanderte im Zimmer auf und ab. Seine Schritte wurden von dem dicken, edel wirkenden Teppich geschluckt, sodass eine beinahe erstickende Stille herrschte. Erschrocken hielt er inne. Stille? War mit Jayda alles okay?
Sofort beschleunigte sich sein Herzschlag und er hetzte in Richtung der Tür zum Flur, als eben diese sich langsam öffnete. Erleichtert atmete er auf und lachte leise, als Jayda beinahe zaghaft hereinkam.
„Da bist du ja", brachte er hervor und lächelte sie an. Allerdings ließ er sogleich die Mundwinkel wieder nach unten sinken, als er Jaydas ausdruckslose Miene sah. Ihr noch feuchtes braunes Haar hinterließ feuchte, dunkle Flecken auf ihrem gelben Shirt. Sie räusperte sich.
„Wir... wir sollten etwas zu Essen kaufen", sagte sie mit ungewohnt kratziger Stimme, woraufhin Hunter aufgeregt nickte.
„Ja, genau das wollte ich dir auch vorschlagen", erwiderte er und lächelte wieder. Jayda senkte den Blick auf den Boden und ging an ihm vorbei zu ihrem Rucksack. Komischerweise hatte Hunter das Gefühl, dass sie sauer auf ihn war, oder vielleicht auch enttäuscht.
„Alles okay?", fragte er, was sie nur mit einem Nicken beantwortete. Er beobachtete, wie sie ihre Zahnbürste wieder in ihrem kleinen Kulturtäschchen verstaute und die Seife ein weißes Plastikpapier einwickelte und sie in ihrem Rucksack verschwinden ließ. Als sie sich wieder aufrichtete, verschränkte sie die Arme vor der Brust und seufzte.
Zögerlich trat Hunter einen Schritt näher an sie heran, denn irgendetwas stimmte offensichtlich ganz und gar nicht. Plötzlich hob Jayda die Hand, wie um ihn abzuwehren, obwohl er noch zwei Schritte von ihr entfernt stand und eigentlich auch nicht hatte näher kommen wollen.
„Okay?", murmelte er fragend, woraufhin sie endlich den Blick hob und ein eindringlich ansah.
„Um es klar zu sagen: Ich habe absolut kein Interesse an dir. Nicht... nicht auf diese Weise", sagte sie in einem Rutsch und es klang, als hätte sie über diese Worte schon eine Weile nachgedacht. Verwirrt sah Hunter sie an.
„Okay, verstanden. Mir... mir geht es genau so, ich meine... du bist echt hübsch, aber... im Moment habe ich wirklich keinen Kopf für so etwas wie Gefühle", stammelte er verlegen und kam sich dabei vollkommen dämlich vor. Wie kam sie nur auf einmal auf diesen Gedanken, dass er sie sich unsittlich an sie heranmachen wollen würde?
„Gut", sagte sie knapp, wandte sich wieder um und griff nach ihrem Pulli, der auf dem Sofa lag. Hunter kratzte sich am Kopf. Verstand einer die Mädchen!
Allerdings ging er ebenfalls die wenigen Schritte bis zu seinem Sofa, zog seine Sweatshirtjacke über und kippte kurzerhand seinen Rucksack aus, damit sie gleich ein wenig Platz hatten, um ihr Essen zu verstauen. Seine wenigen Habseligkeiten purzelten heraus und landeten zum Teil auf dem Boden, aber er machte sich nicht die Mühe, sie aufzuheben. Sein Geld war sicher verstaut in der Innentasche, sodass es nicht herausfallen konnte.
„Sollen wir? Ich denke, wir gehen zur nächsten Straße und suchen nach einem Supermarkt", schlug er vor, was Jayda nicken ließ. Er machte einen Kopfbewegung in Richtung Tür und setzte sich in Bewegung. Im Augenwinkel sah er, dass sie ihm folgte.
Mit schnellen Schritten durchschritt er den Flur und öffnete die schwere Eingangstür, die mit einem leisen Quietschen aufschwang. Draußen strahlte ihnen die Sonne entgegen, sodass er erst einmal die Augen schließen musste, so hell war sie. Eine lauwarme Brise wehte ihm um die Nase und er hörte das Rascheln der Blätter. Heute schien ein schöner Tag zu werden, was ihn sogleich neuen Mut fassen ließ, dass alles gut wurde. Er warf einen Blick zu Jayda, die das Gesicht der Sonne entgegenstreckte und ziemlich zufrieden aussah.
„Na komm, ich verhungere gleich", sagte er, hüpfte schwungvoll die Stufen nach unten und ging über den unebenen Waldboden zurück in Richtung Tor. Jayda schloss zu ihm auf, was ihn ein wenig erleichterte. Vielleicht hatte sie nur schlecht geschlafen und war deswegen ein wenig empfindlich gewesen. Kurz warf er einen Blick zu ihr und spürte sofort, dass sie sich noch immer Gedanken zu machen schien. Ihre Hände waren in zu Fäusten geballt und ihr Blick starr auf den Boden gerichtet. Es dauerte einen Moment lang, bis sie seinen Blick zu bemerken schien. Erschrocken sah sie ihn an.
„Jayda. Sag schon, was los ist. Wenn wir uns zusammen hier durchschlagen wollen, sollten wir ehrlich zueinander sein."
Sie fing an, auf ihrer Lipper herumzukauen, aber schließlich seufzte sie. Allerdings bemerkte er, dass sie inzwischen das Tor erreicht hatten. Er blieb stehen und sah sie fragend an, während er die Hand auf die metallene Klinke legte.
„Ich... ich habe dich vorhin gehört. Also... was du gemacht hast und... das hat mich verunsichert", rückte sie endlich mit der Sprache raus, was ihren Wangen eindeutig eine ungesunde rote Farbe verlieh. Verwundert zog Hunter die Augenbrauen zusammen. Was zur Hölle meinte sie? Er lachte unsicher auf.
„Was ich gemacht habe?", fragte er, denn außer sein Zeug ein wenig zu sortieren, nur um es eben wieder aus dem Rucksack zu schütteln, hatte er nicht getan, während sie im Bad gewesen war. Jayda nickte. Hunter wusste nicht, was genau sie meinte. Was hatte sie denn gehört, was er getan hatte?
„Ich weiß nicht, was du meinst", gestand er und kratzte sich verlegen am Kopf. Jayda stöhnte theatralisch und warf die Hände in die Luft.
„Muss ich das wirklich aussprechen? Du... ich... ich kann verstehen, dass du Bedürfnisse hast, aber... könntest du es so machen, dass ich es nicht mitbekomme und... dabei vielleicht nicht an mich denken?", platzte sie heraus, stieß seine Hand unsanft von der Klinke und öffnete selbst mit einem Rascheln der vielen Efeuranken das Tor.
Hunter versuchte irgendeinen Sinn in ihre Worte zu bringen. Bedürfnisse? An sie denken? Was... Da fiel der Groschen. Er lachte schallend, was Jayda erschrocken herumwirbeln ließ.
„Okay, du denkst, ich hätte unanständige Dinge getan?", fragte er belustigt, denn abgesehen davon, dass er so etwas nie tun würde, wenn die Chance bestand, dabei erwischt zu werden, hatte er im Moment den Kopf ganz woanders. Jayda antwortete nicht, zumindest nicht mit Worten. Ihre Augen weiteten sich und ihre Wangen färbten sich noch dunkler. Hunter hob die Hand wie zum Schwur.
„Das habe ich nicht. Wirklich nicht", sagte er, noch immer ein Grinsen auf den Lippen, „auch wenn es dir gar nichts angeht."
Jayda öffnete und schloss den Mund ein paar Mal, als würde sie keine passenden Worte finden.
„Aber... aber ich habe dich gehört. Durch die Rohre", sagte sie unsicher. Auf einmal wurde Hunter ernst. Sie schien wirklich zu glauben, dass er sich angefasst hatte.
„Jayda, ich habe wirklich nichts getan. Vielleicht hast du dir da was eingebildet. Alte Häuser machen manchmal Geräusche", sagte er und suchte ihren Blick, allerdings schien sie durch ihn hindurchzusehen. Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein, ich...", setzte sie an, seufzte dann aber. „Ja, vermutlich hast du recht. Entschuldige."
Hunter machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Aber jetzt sollten wir uns wirklich auf die Suche nach etwas Essbarem machen, sonst werde ich noch zum Kannibalen."
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...