Kapitel 46 - Hunter

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Es war zu spät. Es musste einfach zu spät sein. Er und Amber kratzten sich schon so lange die Finger am rauen Boden wund, ohne irgendetwas zu erreichen, dass die Minute, die sie noch gehabt hatten, mit Sicherheit vorbei war. 

Kaum dass er den Gedanken zu Ende gedachte hatte, hörte er Jaydas Stimme, die irgendetwas schrie. Allerdings konnte er sie nicht verstehen, es wirkte so, als würde ihre Stimme von der Dunkelheit erstickt werden. Sicherlich hatte Alastor verhindert, dass sie zu ihnen in den Keller kommen und ihnen helfen konnte. 

Missmutig hörte Hunter auf, mit den Fingern über den Boden zu fahren. Das hatte doch alles keinen Sinn mehr. Alastor würde sich Amber entledigen und auf ihn selbst überspringen, denn das war es doch, was er wollte. Ergeben breitete er die Arme aus, woraufhin Amber ebenfalls das Schaben aufgab und resigniert zu ihm sah. 

„Ich ergebe mich meinem Schicksal. Wir können nichts mehr tun, unsere einzige Chance haben wir vertan", sagte er, woraufhin Amber heftig den Kopf schüttelte und vor Schreck die Augen aufriss. 

„Tu das nicht!", schrie sie und sah sich panisch um Raum um. Als hätte Alastor nur darauf gewartet, dass er genau diese Worte sagte, löste er sich aus den Schatten. Sein unmenschliches Gesicht war zu einer selbstzufriedenen Fratze verzogen und er konnte die angespannten Muskeln unter seiner Haut sehen. Erst da bemerkte Hunter eine Bewegung im Augenwinkel. Als er genauer hinsah erkannte er eine wabernde, graue Masse, die sich wie eine Schlange über den Boden wand. Noch immer hielt Hunter die Arme ausgebreitet in einer sich ergebenden Haltung, als plötzlich Amber aufsprang und sich vor ihn stellte. 

„Nein!", schrie sie, auch wenn Hunter nicht wirklich wusste, warum sie ihn beschützte. Immerhin wäre sie in wenigen Sekunden von Alastors Fluch befreit. Über Hunters Lippen huschte ein Lächeln und er ließ die Arme sinken. Er wusste, dass es keine Rettung mehr geben konnte. 

Mit langsamen Schritten kam Alastor auf Amber zu, bis er nur noch wenige Zentimeter vor ihr stand. Er beugte sich zu ihr herunter und führte seinen wolfsähnlichen Kopf direkt vor ihr Gesicht. Geifer tropfte von seinen Lefzen, als er ihr geradewegs in die Augen sah. Langsam hob er die Hand und Hunter sah, wie dieses graue, gesichtslose Schlangenwesen sich aufrichtete und näher an ihn heranglitt. Alastors Hand krümmte sich zusammen, bis nur noch sein Zeigefinger in die Luft ragte. Ganz langsam, so als würde er jede Sekunde davon genießen, ließ er den Finger geradewegs in Hunters Richtung wandern, bis er ihm genau ins Gesicht zeigte. Sein Finger ruhte wenige Zentimeter vor seinem Gesicht und Hunter sah die dreckig gelbe gebogene Kralle, die ihm sicherlich mit Leichtigkeit die Augen auskratzen konnte. 

Allerdings geschah etwas ganz anderes. So als würde sein Fingerzeig ein Befehl sein, schnellte die graue Masse an Amber vorbei direkt auf ihn zu. Sie war viel zu schnell, als dass einer von ihnen beiden hätte reagieren können und beinahe augenblicklich spürte Hunter einen unglaublichen Schmerz durch seinen Körper gehen. Ein Schrei brach sich aus seiner Kehle und auch Amber schrie. Die Masse wand sich um ihre Körper und er bemerkte, dass Amber an ihn gepresst wurde. Immer enger zog sich die fesselnde Masse um sie und verursachte an jeder Stelle, an der sie ihn berührte, unglaubliche Schmerzen. So, als würden sich Messer, nein, brennende Messer in seinen Leib bohren. 

In diesem Moment setzte sein Denken aus und er handelte instinktiv. Amber war ebenfalls mit ihm gefangen, aber Alastor konnte sie nicht verletzen, wenn er nicht geschwächt werden wollte. Was bedeutete, dass er sie jede Sekunde töten würde. Mit aller Kraft spannte er jeden Muskel in seinem schmächtigen Körper an und versuchte, sich aus den Fängen von Alastors Diener zu befreien. Tatsächlich gelang es ihm sich zu drehen, sodass er nun Ambers Rücken an seiner Brust spürte. Auch sie schien zu kämpfen, allerdings wurden ihre Bewegungen mit jedem Augenblick lahmer und schwächer. Sie konnte nicht mehr weit von der Schwelle zum Tod entfernt sein und Hunter wusste, dass das seine einzige Chance war. Amber war verletzt und geschwächt und da Alastor noch an sie gebunden war, musste auch er angreifbar sein. Zumindest, bis Amber tot war und das konnten durchaus nur noch Bruchteile von Sekunden sein. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt