Kapitel 24 - Hunter

14 3 4
                                    

Ein eiskalter Schauder lief Hunter den Rücken hinunter und er glaubte, dass jemand hinter ihm stand und nur darauf lauerte, ihn anzugreifen. Jayda neben ihm schien es genau so zu gehen, allerdings wusste er, dass er diesen Eintrag zu Alastor unbedingt lesen musste. Es war nur so ein Gefühl und normalerweise gab er nicht allzu viel auf vage Vermutung und Bauchgefühle, aber er spürte, dass sie das hier einen ganzen Schritt weiterbringen würde. Er räusperte sich, straffte die Schultern und begann, den Text vorzulesen.

„Alastor – ein Fluchdämon, der vor allem in der griechischen Mythologie erwähnt wird. Er tritt auf, wenn Menschen eine Freveltat begehen und erscheint den Menschen wie ein stetiger Begleiter, der sie dazu verleitet, weitere Freveltaten zu begehen. Er ist die Personifizierung des Fluches, nach einer bösen Tat immer wieder böse Taten zu begehen. Jedoch ist Alastor mehr als eine Metapher zu sehen, zumindest in der Mythologie. In der Dämonologie hingegen ist dies wörtlich zu nehmen. Alastor begleitet diejenigen, die Freveltaten begangen haben in Form eines Dämons. Er erscheint in einem Menschenkörper mit einem wolfsähnlichen, monströsen Kopf und scheint die Verfluchten heimzusuchen. Aktuelle Forschungen haben ergeben, dass der Alastor, wenn er einmal einen Frevler auserkoren hat, nicht leicht vertrieben werden kann. Es gab Berichte, dass das einfache Eingestehen der Schuld Befreiung von diesem Fluch schafft, allerdings ist fraglich, ob es sich dabei wirklich um einen Alastor oder nur um das berüchtigte schlechte Gewissen gehandelt hat. Weitere Forschungen gestalten sich meist schwierig, da Alastor die Verfluchten stets in die Isolation zwingt und sie oft gemieden werden. Fakt ist jedoch, dass einige Menschen zu Frevlern werden – seien sie nun von Alastor besessen oder nicht."

Hunter gefror wahrhaftig das Blut in den Adern. Langsam richtete er sich wieder auf und sah hilfesuchend zu Jayda. 

War das wirklich möglich? Hatte er den Alastor gesehen? Es war doch verrückt, dass er genau die Gestalt gesehen hatte, die hier in diesem Buch abgebildet war. Er hatte diese Zeichnung vorher noch nie gesehen, wie hätte seine Fantasie sich also ein solches Monster ausdenken können? 

Hunter bemerkte, wie sein Atem stoßweise ging, immer schneller wurde. Es fühlte sich an, als würde seine Brust von etwas zusammengepresst, sodass nicht genug Luft in seine Lungen gelangen konnte. Seine Gedanken kreisten und kreisten. Alastor tauchte nur auf, wenn man eine Freveltat begangen hatte. Was genau bedeutete das? 

Jayda neben ihm räusperte sich und holte ihn so aus seinen Grübeleien. 

„Meinst du, da ist was Wahres dran? Denn... wenn es stimmt und er dir erschienen ist, dann bedeutet das doch...", setzte sie an, brachte den Satz aber nicht zu Ende. Hunter entfuhr ein ersticktes Geräusch, denn Jayda sprach genau das aus, was er befürchtet hatte. Sie glaubte, dass er eine Freveltat begangen hatte. 

„Was... was willst du damit sagen? Ich meine, was bedeutet Frevel überhaupt?", fragte er ein wenig schärfer als beabsichtigt, was sie zurückweichen ließ. Noch immer knieten sie auf dem Boden, vor ihnen das Buch, das aus dem Nichts aufgetaucht war. Jayda rutschte ein wenig über den Boden und setzte sich schließlich in den Schneidersitz, sodass sie ihn ansehen konnte. Sie spielte ein wenig verlegen mit ihren Fingern herum, bis sie ihm wieder direkt in die Augen sah. 

„Hast du... ich meine... hast du ein Verbrechen begangen?", fragte sie kleinlaut, so als fürchtete sie sich vor der Antwort. Hunter schnaubte verächtlich und lachte nervös. 

„Quatsch!", rief er aus, aber alles in seiner Stimme strafte ihn einen Lügner. Er sprang auf und wandte sich von ihr ab. Er tigerte durchs Zimmer und war sich dabei ihres Blickes nur allzu bewusst. In seinem Kopf herrschte in wildes Durcheinander, denn wieso ausgerechnet jetzt wurde er mit so etwas konfrontiert? Er hatte so lange verdrängen können, was er getan hatte und eigentlich hatte er auch noch nicht das Verlangen danach gespürt, weitere schlimme Dinge zu tun. Außer... nun ja, außer man wertete Verschweigen als Lügen. Denn Jayda hatte keine Ahnung, was für ein schrecklicher Mensch er sein konnte. Sie kannte nur seine nette, fürsorgliche Seite und er wollte, dass das auch so blieb. 

Immerhin waren sie aufeinander angewiesen, gaben sich Halt und standen diese Sache hier gemeinsam durch. Er konnte es nicht riskieren, dass sie Angst vor ihm bekam und womöglich noch davonlief. Wobei, weit würde sie ja nicht kommen, dafür sorgte das Haus oder Amber oder Alastor schon. 

„Hunter, was ist los?", hörte er Jaydas Stimme, die jedoch ganz weit weg klang. Nur langsam schaffte er es, sich einigermaßen zu beruhigen und als er sich zu ihr umwandte, bemerkte er, dass sie aufgestanden und ein Stück zu ihm gekommen war. 

„Nichts, es... es ist nur unheimlich", winkte er ab, fühlte sich aber wie ein Kind, das dabei ertappt worden war, wie es einen Keks aus der Dose genommen hatte. Allerdings hatte er etwas Schlimmeres getan, etwas sehr viel Schlimmeres. 

„Ich denke, wir sollten versuchen, mit Amber zu sprechen. Sie ist vermutlich schon länger hier und sie wird wissen, was es damit auf sich hat", sagte sie und auch wenn das eine Chance war, wie sie hier herauskamen, schüttelte Hunter den Kopf. Geister, Dämonen – das war doch alles nur ein Hirngespinst! Allerdings... er selbst war Zeuge geworden, dass hier Dinge geschahen, die absolut nicht rational erklärbar waren. Ein ergebenes Seufzen entfuhr ihm. 

„Gut. Aber wie sollen wir das machen?", fragte er, noch immer ein wenig in Sorge, dass Jayda früher oder später sein Geheimnis erfahren würde. Jayda legte einen Finger ans Kinn, als würde sie überlegen. 

„Wir sollten einfach versuchen, sie zu rufen. Offensichtlich will sie auf sich aufmerksam machen durch diese ganzen Dinge", schlug Jayda vor, was Hunter innerlich lachen ließ. Allerdings nickte er, denn er wusste, dass sie keine andere Wahl hatten. 

„Okay, also willst du einfach ihren Namen rufen? Meinst du, sie zeigt sich dann?", fragte er unsicher, denn irgendwie war das alles auch etwas unheimlich. Immerhin wollte sie einen Geist rufen, um ihn zu fragen, was es mit diesem Dämon auf sich hatte. 

„Einen Versuche wäre es doch wert", sagte Jayda, allerdings zitterte ihre Stimme vor offensichtlicher Nervosität. Sie kam noch etwas näher an ihn heran, sodass sie nun mitten im Raum standen und griff vollkommen unerwartet nach seiner Hand. Hunter zuckte zurück, aber sie ließ ihn nicht los. Stattdessen schloss sie die Augen und atmete tief durch. 

„Amber, bitte hilf uns. Wir wissen, dass du bei uns bist", sagte Jayda im fatalistischen Tonfall einer hellseherischen Betrügerin. Hunter sah sich aufmerksam im Raum um, während Jaydas Augen noch immer geschlossen waren. Nichts geschah. Kein Windhauch, kein Luftflimmern, nichts. 

„Hat nicht geklappt", flüsterte er leise in Jaydas Richtung, die sogleich noch einen Versuch startete. Wieder nichts. Enttäuscht stieß sie die Luft aus und ließ seine Hand los. 

„Okay, das war vielleicht auch zu einfach", gab sie zu und stemmte die Hände in die Hüften. Plötzlich kam Hunter eine Idee. 

„Die meisten Erscheinungen sind doch abends oder nachts aufgetreten. Vielleicht sollten wir warten, bis es dunkel ist und es dann noch einmal versuchen", schlug er vor. Jayda nickte. 

„Ja, du hast recht", murmelte sie mehr zu sich selbst als zu ihm und schlenderte in Richtung ihres Sofas. Mit einem Stöhnen ließ sie sich darauf nieder und auch Hunter setzte sich. Sie hatten nun noch den ganzen Tag vor sich, den sie hoffentlich ohne weitere Begegnungen mit Alastor überstanden.

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt