Kapitel 37 - Jayda

7 3 8
                                    

Tatsächlich gelang es Jayda, für eine halbe Stunde in einen traumlosen Schlaf zu gleiten. Vermutlich war es die schiere Überforderung, die sie in diesem Moment empfunden hatte, sodass ihr Hirn sich dazu entschloss, ihr für eine Weile die Lichter auszuknipsen. 

Ein wenig verschlafen rieb sie sich die Augen und schob mit einem leisen Rascheln den Schlafsack von sich herunter. Es dämmerte bereits, allerdings wurde das Wohnzimmer von dem Schein des Feuers hell erleuchtet. Jayda richtete den Blick für eine Sekunde zu dem anderen Sofa und als sie Hunters Umriss erkannte, atmete sie erleichtert aus. Es beruhigte sie, dass auch er ein wenig Erholung fand, denn sicherlich war es für ihn alles andere als leicht gewesen, ihr und Amber seine Geschichte zu erzählen. 

Jayda bemerkte auf dem Boden zwischen ihren Sofas einen langgezogenen Schatten, den Amber warf. Sie saß regungslos im Schneidersitz vor dem Kaminfeuer und starrte hinein. Langsam setzte Jayda sich auf und erhob sich. Sie ging zu Amber, die sie bisher noch nicht bemerkt zu haben schien, zumindest hatte sie sich noch nicht einen Millimeter bewegt. 

„Amber?", fragte sie leise, was jedoch noch immer keine Reaktion von ihr hervorlockte. Jayda räusperte sich und setzte sich schließlich neben sie auf den Boden. Sofort spürte sie die Hitze des Feuers, die sich auf ihre Haut legte. 

Als sie zu Amber sah, zuckte sie erschrocken zurück, denn ihre Augen waren nach oben gerollt, sodass sie nur das Weiße erkennen konnte. So regungslos, wie Amber dasaß, wirkte es, als sei sie in einer Art Trance. Unsicher hob Jayda die Hand und legte sie auf Ambers Schulter. Erschrocken sog diese die Luft ein, ihre Augenlider schlugen nieder und ihre Starre löste sich. Beinahe überrascht sah Amber sie an, dann wurde ihr Blick ausdruckslos. Jayda nahm eilig ihre Hand von ihrer Schulter, denn auch wenn Amber bereit zu sein schien, ihnen zu helfen, war sie noch immer etwas undurchsichtig. 

„Alastor ist wütend", sagte Amber, ohne sie anzusehen. Obwohl Jayda das bereits vermutet hatte, erschauderte sie. Ihr war klar, dass es unmöglich war, in diesem Haus irgendetwas vor Alastor geheim zu halten. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie. 

„Wir müssen irgendwie in den Keller gelangen und das Grab öffnen", fuhr Amber fort, allerdings wirkte es, als spräche sie mehr zu sich selbst als zu Jayda. Dennoch nickte Jayda und dachte an diese Vision zurück, in der Amber ihre Geschichte gezeigt hatte. Der Keller wirkte auch ohne das Wissen, dass dort die Leiche eines kleinen Kindes lag schon unheimlich und wenn sie ehrlich war, hoffte sie, dass sie nicht hinuntersteigen musste. Unwillkürlich schüttelte es sie und eilig verdrängte sie den Gedanken an den Keller. 

„Was ist Alastors Schwachstelle?", hörte sie sich fragen, ohne dass sie wirklich darüber nachgedacht hätte. Langsam drehte Amber den Kopf zu ihr herum und lächelte teuflisch.

 „Er hat keine Schwachstelle. Meinst du nicht, ich hätte nicht schon versucht, in einer Vollmondnacht Rachels Seele zu befreien?", erwiderte sie in einem unverkennbar gehässigen Ton, der Jayda zurückweichen ließ. Immerhin wollte sie doch nur versuchen, dieses Rätsel zu lösen, da war Gehässigkeit ja wohl fehl am Platz. Amber seufzte. 

„Wie auch immer. Wir sollten einfach versuchen, zu dritt gegen ihn zu kämpfen. Vielleicht schafft es ja einer von uns in den Keller und kann zumindest die Kette herausholen. Dann wären wir schon einmal einen Schritt weiter", sagte Amber ruhig. Jayda schüttelte langsam den Kopf. Das war doch nicht wirklich der Plan, den sie durchziehen wollte? Das war überhaupt kein Plan, das war blindlings ins Verderben laufen! Allerdings wusste Jayda auch nicht, wie man einen Dämonen austricksen konnte und ihr wollte auch nichts einfallen. Sie fühlte sich einfach vollkommen überfordert mit der ganzen Situation. Vielleicht hätte sie sich gemeinsam mit Hunter etwas überlegen können, wenn sie noch etwas mehr Zeit als ein paar Stunden gehabt hätten, aber diese Zeit hatten sie nun einmal nicht.

„Lass mich nachdenken", brummte Amber, eindeutig in einem Ton, der ihr klarmachte, dass sie sich zurückziehen sollte. Ohne zu zögern oder zu widersprechen gehorchte Jayda. Amber war nicht wirklich eine angenehme Gesellschaft und anscheinend war sie nicht daran interessiert, mit ihr gemeinsam einen Plan zu entwickeln. 

Seufzend erhob Jayda sich und ging zurück zu ihrem Sofa. Hunter hatte sich während der letzten Minuten nicht gerührt und sein Atem ging regelmäßig. Sicherlich könnte sie ihn noch eine Weile schlafen lassen, aber in spätestens einer halben Stunde würde sie ihn wecken, damit sie gemeinsam überlegen konnten, wie sie Alastor mithilfe der Kette verbannen konnten. Denn auch wenn sie nicht direkt betroffen war und Alastor kein Interesse an ihr zu haben schien, wollte sie Hunter nicht im Stich lassen. Er hatte so viel für sie getan und ihr in ihrer misslichen Lage so sehr geholfen, dass sie es einfach nicht übers Herz brachte. Abgesehen davon war er inzwischen so etwas wie ein Freund für sie geworden. 

Unwillkürlich musste sie daran denken, wie es wohl weitergehen würde, sollte ihnen die Flucht gelingen. Würde Hunter sie links liegen lassen und allein seiner Wege gehen? Würde er weiterhin vor der Polizei flüchten? 

Jayda bemerkte, wie sie anfing, auf ihrer Unterlippe zu kauen. Sie wusste nun, was für ein Verbrechen Hunter begangen hatte. Würde sie damit leben können, ihn nicht der Polizei ausgeliefert zu haben? Kopfschüttelnd vertrieb sie ihre moralischen Bedenken, denn darüber würde sie nachdenken können, wenn sie das dringendere Problem gelöst hatten. Nämlich wie es ihnen gelingen würde, einen Dämon auszutricksen. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt