Gefühlte Stunden später und nicht wirklich schlauer gingen Hunter und Jayda zurück ins Wohnzimmer. Jayda war ganz begeistert von den alten Büchern und den Informationen darin gewesen, während er selbst eher skeptisch war. Klar, hier waren Dinge geschehen, die nicht erklärbar waren, zum Beispiel diese dämlichen Kränze, die noch immer im Flur hingen, aber ein Geist?
Seufzend ließ er sich auf sein Sofa fallen und richtete den Blick an die Decke. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Jayda sich ebenfalls auf ihr Sofa setzte.
„Ich glaube wirklich, dass Amber ein Geist ist und sie uns irgendetwas sagen will. Ich bin dafür, dass wir versuchen, sie zu kontaktieren", sagte sie fest entschlossen. Hunter drehte den Kopf zu ihr und sah sie einen Moment lang an. Sie wirkte, als meinte sie das alles vollkommen ernst. Aber was hatten sie auch für eine andere Möglichkeit, wenn sie aus diesem Haus herauswollten? Sie mussten wohl oder übel herausfinden, was hier vor sich ging.
Plötzlich durchzuckte es Hunter wie ein Blitz. Er schlug sich die Hand vor die Stirn und setzte sich so schnell auf, dass er für einige Sekunden lang Sternchen sah.
„Zu aller erst sollten wir noch einmal versuchen, ob sich die Tür oder die Fenster öffnen lassen", sagte er und sprang auf.
„Okay, aber...", setzte Jayda an, doch Hunter hörte sie schon nicht mehr, so schnell war er in den Flur gestürzt. Er spürte, dass Jayda ihm folgte. Noch einmal atmete er tief durch, dann drückte er die Türklinke nach unten Ein Knarzen ertönte, so als würde eine eingerostete Feder nachgeben und langsam öffnete sich die Tür.
Hunter lachte und er kam sich irgendwie ein Stück näher dem Wahnsinn vor. Als er zu Jayda über die Schulter sah, stand sie mit offenem Mund da.
„Nichts wie weg hier!" rief Hunter freudig, öffnete die Tür so weit es ging und rannte zurück ins Wohnzimmer, um seinen noch immer gepackten Rucksack zu holen. Jayda kam ihm hinterher, allerdings warf sie immer wieder Blicke zurück zur Tür, so als wäre sie skeptisch, dass sie auch wirklich noch geöffnet war, wenn sie wieder zurück in den Flur gingen. Dennoch schulterte auch sie ihren Rucksack und folgte ihm zurück in den Flur. Allerdings bog er noch kurz in die Küche ab, um ihr restliches Essen mitzunehmen. Als er wieder zurückkam, stand Jayda unschlüssig auf der Türschwelle, so als wollte sie nun doch nicht mehr das Haus verlassen.
„Worauf wartest du?", fragte er ungeduldig, woraufhin sie ihm einen Blick über die Schulter zuwarf.
„Das ist irgendwie zu einfach. Noch vor wenigen Stunden konnten wir noch nicht einmal durch die Fenster fliehen und nun lässt sich die Tür einfach öffnen?"
Hunter hielt inne. Diese Sache mit dem Fenstern hatte er schon ganz verdrängt, aber irgendwie hatte sie schon recht. Dennoch machte er eine wegwerfende Handbewegung.
„Verschwinden wir hier", sagte er und drängte sich an ihr vorbei. Ein wenig nervös wurde er nun doch, als er über die Schwelle trat, aber nichts geschah. Er wurde nicht zurückgezerrt oder landete wieder im Innern des Hauses, er konnte ganz normal auf die Veranda treten. Der Wind pfiff ihm um die Ohren und als er zu Jayda zurücksah, erkannte er, dass auch sie vorsichtig einen Fuß nach draußen setzte. Nichts geschah.
Hunter lachte wieder, bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie mit ihm kommen sollte und steuerte geradewegs auf das Tor zu, durch das sie dieses Anwesen auch betreten hatten. Seine Schritte federten auf dem weichen Boden, was ihm ein merkwürdiges beschwingtes Gefühl gab.
Schon nach wenigen Augenblicken erreichten sie das Tor. Hunter legte zuversichtlich die Hand auf die Klinke und drückte. Allerdings rührte dich das Tor nicht. Er zog und zerrte, aber es ließ sich einfach nicht öffnen.
„Hilf mir mal", bat er und sofort legte Jady die Hände um die Gitterstäbe und rüttelte mit ihm im gleichen Rhythmus an dem Tor. Nach einigen Sekunden gab sie auf. Sie seufzte herzzerreißend.
„Ich habe mir schon gedacht, dass wir hier nicht so einfach wieder herauskommen", sagte sie und klang dabei vollkommen mutlos. Hunter überlegte, was er nun tun sollte. Sein Blick wanderte an dem Tor hinauf.
Sicherlich wäre es nicht leicht, daran hinaufzuklettern, da zwischen den Gittern keine Querstreben vorhanden waren, aber einen Versuch war es wert. Er griff nach den Gitterstäben und setzte all seine Kraft ein, um an dem Metall hinaufzuklettern. Glücklicherweise war er nie besonders schwer gewesen, sodass es ihm trotz seiner eher schmächtigen Figur gelang, an dem Tor hochzuklettern.
Seine Augen waren nach oben gerichtet und recht schnell bemerkte er, dass er anfing zu keuchen. Kein Wunder, immerhin hatte er noch immer seinen Rucksack auf dem Rücken. Er verfluchte sich, dass er ihn nicht abgelegt hatte, aber nun war es zu spät, um wieder nach unten zu klettern.
Mühsam zog er sich immer weiter nach oben, als er auf einmal etwas bemerkte. Mit jedem Stück, das er nach oben kletterte, schien das Tor in die Höhe zu wachsen. Unsicher sah er für eine Sekunde nach unten zu Jayda, die wirkte, als wäre sie knapp zehn Meter unter ihm. Sie hielt die Hand schützend über die Augen, um ihm zu beobachten.
Eilig riss er den Blick wieder hoch. Das konnte doch nicht sein! Er spürte, wie ihn allmählich seine Kräfte verließen, aber er wollte noch nicht aufgeben. Er kletterte weiter, langsam aber sicher, aber er kam einfach nicht näher an das Ende der Gitterstäbe heran. Inzwischen ging sein Atem stoßweise und seine Muskeln zitterten. Noch einmal sah er zu Jayda, die noch kleiner wirkte.
„Hunter! Komm wieder runter! Bitte!", rief sie und tatsächlich musste er zugeben, dass das hier sinnlos war. Wütend presste er die Kiefer aufeinander, denn das hier ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu! Wie war so etwas möglich? Er richtete den Blick wieder auf seine Hände, um sich möglichst langsam wieder nach unten zu begeben, als er auf einmal eine schreckliche Fratze vor seinem Gesicht sah. Er schrie, sein Herzschlag raste und seine Hände verloren den Halt. Der Wind peitschte um ihn, als er in die Tiefe stürzte.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...