Kapitel 31 - Jayda

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Alastor verschwand, aber Jaydas Angst blieb. Was war da gerade passiert? Sie begriff es nicht, denn zunächst hatte sie eindeutig gesehen, dass Hunter sich auf sie gestürzt und sie gewürgt hatte, bis auf einmal dieses Mädchen erschienen war. 

Jayda nahm die Hände von ihrem Hals und stützte sich auf die Ellbogen, damit sie einen Blick über die Schulter werfen konnte. Ihr Herz raste, denn wenn sie nicht in einem Fiebertraum gefangen war, würde dort, am Kopfende ihres Sofas noch das Mädchen stehen, das ihr womöglich das Leben gerettet hatte. 

Sie spürte, wie ihr Atem stoßweise ging, als sie umgeben von dem Flackern des Feuers im Kamin eine Gestalt ausmachen konnte. Es war mehr ein Schatten, bis diese Gestalt sich in Bewegung setzte und sich neben sie stellte. Jayda keuchte erschrocken auf und sah sich panisch nach Hunter um. Sie entdeckte ihn hinten in einer Ecke des Raumes stehen, die Arme um den Körper geschlungen und die Augen schreckgeweitet. 

„Hunter", krächzte Jayda, bevor sie den Blick wieder auf das Mädchen richtete. Als hätte Hunter nur darauf gewartet, dass sie ihn rief, setzte er sich langsam, beinahe mechanisch in Bewegung und ließ sich wie in Zeitlupe auf dem Fußende ihres Sofas nieder. Erst da löste er die Arme aus ihrer starren Haltung und legte eine Hand schützend auf Jaydas Wade. 

„Entschuldige. Das war nicht ich. Ich würde dir so etwas niemals antun", murmelte er leise und klang dabei, als erwartete er, dass sie ihn von sich stoßen würde. Jayda schluckte schwer, nickte dann aber. Sie wusste, dass es dieser Alastor-Dämon gewesen war, der sie hatte täuschen wollen. Hunter war nicht böse. Zumindest nicht ihr gegenüber. 

Jayda richtete den Blick wieder zu dem Mädchen, das noch immer in der gleichen Position dastand. Sie hatte die Hände vor dem Bauch zusammengeführt, so als wäre sich unsicher. Sie war klein, noch kleiner als sie selbst und sie schätzte sie auf etwa fünfzehn Jahre. Allerdings war ihr Gesicht weiß und irgendwie fahl, beinahe kränklich. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu zwei langen Zöpfen gebunden und sie trug ein schwarzes, hochgeschlossenes Kleid mit kurzen Puffärmeln. Um ihren Hals glitzerte eine lange, silberne Kette mit einem kleinen, runden Anhänger daran. 

„Du bist Amber", platzte Jayda heraus, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Ambers Lippen zuckten zu einem kleinen Lächeln, bevor sie nickte. Noch immer stand sie stocksteif da, während sie Jayda unentwegt ansah. Diese warf einen einen fragenden Blick zu Hunter, denn auch wenn sie geplant hatten, irgendwie mit Amber in Kontakt zu treten, wusste sie nun nicht so recht, was sie sagen sollte. 

Endlich schien auch Hunter aus seiner Trance zu erwachen, er räusperte sich und setzte sich etwas aufrechter hin. Eilig nahm er die Hand von ihrem Bein, als wäre ihm plötzlich klar geworden, dass das eine unangemessene Berührung war. Auch Jayda setzte sich auf und zog die Beine an, die sie mit den Armen umklammerte. 

„Eure Namen sind Jayda und Hunter", sagte Amber und obwohl sie direkt vor ihr stand, hörte sich ihre Stimme irgendwie merkwürdig an. So als würde sie nicht aus ihrem Mund, sondern aus dem ganzen Raum kommen. 

„Ja. Kannst du uns sagen, was hier vor sich geht?", meldete sich Hunter zu Wort. Amber neigte den Kopf, um ihn anzusehen. Sie war so vollkommen ruhig, dass es beinahe unheimlich war. Jayda grinste in sich hinein. Natürlich war das unheimlich, immerhin redeten sie mit einem Geist. 

„Das könnte ich", erwiderte sie und verstummte. Offensichtlich wollte sie nicht wirklich mit der Sprache herausrücken. Jayda betrachtete sie eindringlich. Bevor sie herausfanden, was für ein Geheimnis sich in diesem Haus verbarg, musste sie wissen, ob Amber wirklich ein Geist war. 

„Amber, bist du... bist du ein Geist?", fragte sie, woraufhin Amber den Blick auf ihre Hände senkte. Sofort bekam Jayda ein schlechtes Gewissen, denn anscheinend war das für sie ein unangenehmes Thema. Bevor sie antwortete, wandte sie sich um und ging die wenigen Schritte zu Hunters Sofa, wo sie sich mit einem Seufzen niederließ. Jayda beobachtete, wie sie sich äußerst adrett hinsetzte, die Beine eng nebeneinander gestellt und die Hände im Schoß aufeinander gelegt. Sie sah so jung und unschuldig aus, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, dass sie diejenige war, die ihnen schon den ein oder anderen Schrecken eingejagt hatte. 

„Nein, ich bin nicht gestorben. Aber dennoch verweile ich schon viele Jahrzehnte in diesem Haus, ohne zu altern. Ich kann Dinge geschehen lassen und ich kann bestimmen, wann mich Menschen sehen können", erklärte sie. Jayda warf einen schnellen Blick zu Hunter. 

„Wie lange bist du schon hier?", fragte er und für einen Moment lang wanderten Ambers Augen nach oben, so als müsste sie nachdenken. 

„Dreiundfünfzig Jahre", antwortete sie schließlich. Jayda lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Würde ihnen womöglich das gleiche Schicksal blühen wie ihr? Nun, wo sie in diesem Haus gefangen waren? 

„Und... warum bist du hier?", bohrte Hunter weiter, was Amber leicht lächeln ließ, allerdings war es alles andere als freudig. Aber sie schwieg. Hunter räusperte sich. 

„Amber, bitte. Wir müssen wissen, was hier vor sich geht. Immerhin scheint Alastor es auf mich abgesehen zu haben. Bitte", flehte Hunter eindringlich, allerdings rührte sich Amber keinen Millimeter. Verzweifelt stöhnte Hunter auf und warf die Arme in die Luft. Jayda warf ihm einen bitterbösen Blick zu, denn vermutlich war das nicht die richtige Taktik, um Amber zum Reden zu bringen. 

„Amber, bitte erzähle uns deine Geschichte. Es ist wichtig für uns, da wir nun einmal auch hier in diesem Haus gefangen zu sein scheinen und Alastor uns etwas antun will", sagte sie sanfter. Tatsächlich hob Amber den Blick und sah sie mit ihren schwarzen Augen an. 

„Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, da Alastor noch nie von mir ablassen wollte. Hunter ist der erste Mensch, der ihm als ein würdiges neues Opfer erscheint. Ich denke, zunächst sollte Hunter seine Geschichte erzählen, bevor ich euch von meiner berichte", sagte sie und für eine Sekunde huschten ihre Augen zu Hunter. 

Jayda spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog, als sie zu Hunter sah. Dieser atmete auf einmal heftig und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Sofort spürte sie, dass Hunter ein ziemlich großes Geheimnis mit sich herumtrug. Zwar hatte sie schon einen Verdacht gehabt, dass er etwas wirklich Schlimmes getan haben musste, aber nun hatte sie keine Zweifel mehr. Hunter hatte ein schreckliches Verbrechen begangen und er musste nun endlich zugeben, was er getan hatte, damit sie in diesem wirren Rätsel weiterkamen. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt