Kapitel 12 - Hunter

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Hunter lag im kniehohen Gras, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Sein Blick war in den Himmel gerichtet, doch seine Sicht schwand mehr und mehr. Es dämmerte und die Luft sah aus, als flimmerte sie, warf dunkle Schatten und tauchte die Welt in ein unheimliches Licht. Die Sonne war schon längst hinter den Baumwipfeln verschwunden und es wurde sicherlich bald so kalt, dass er es hier nicht mehr aushielt, aber noch genoss er die angenehme frische Luft. 

Neben ihm lag Jayda, die sich inzwischen in ihre dicke Fleecejacke gewickelt hatte und leicht zitterte. Offensichtlich war ihr bereits kalt. 

„Möchtest du rein gehen?", fragte er und drehte den Kopf zur Seite, sodass er ihr Profil ansehen konnte. Wortlos nickte sie und setzte sich überraschend schnell auf. Hunter tat es ihr gleich, wenn auch widerwillig. 

Sie hatten den Nachmittag gemeinsam hier verbracht, hatten sich über dies und das unterhalten und Wolkenbilder gesucht. Es war ein schöner, sorgloser Geburtstag gewesen und Hunter war tatsächlich so etwas wie glücklich. 

Wäre das nun sein Leben? Womöglich sogar hier in diesem Haus, gemeinsam mit Jayda? Er schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken, denn irgendwann würde sein Geld aufgebraucht sein und er würde sich wohl oder übel eine Arbeit suchen müssen. Vielleicht als Tagelöhner, denn sicherlich musste man dort keine Adresse angeben und auch sonst nicht wirklich viel über sich verraten. 

„Kommst du?", riss Jayda ihn aus seinen Gedanken und eilig sprang er auf. Allerdings wurde ihm ein wenig schwindelig und er presste sich die Finger an die Schläfen, bis sich nicht mehr alles um ihn herum drehte. Vermutlich hatte auch der halbe Kuchen, den er vor wenigen Stunden gegessen hatte, seinen Teil dazu beigetragen, dass er sich irgendwie benommen fühlte, aber er hatte wirklich wunderbar geschmeckt. 

„Ja, ich komme", murmelte er, ohne Jayda anzusehen und setzte sich in Bewegung. Das hohe Gras bog sich unter seinen Füßen zur Seite und es fühlte sich an, als würde er auf einem Kissen laufen. Sicherlich war es hier im Sommer wunderschön. 

Hunter erreichte das Haus und bemerkte, dass Jayda schon hinein gegangen war und die Tür offen stehen gelassen hatte. Er folgte ihr nach drinnen, schloss die schwere Tür mit einem endgültigen Geräusch und wurde sogleich von Stille umhüllt. Es fühlte sich an, als hätte sich ein schweres Tuch auf seine Ohren gelegt, das alles verschluckte. 

Allerdings wurde er schon nach wenigen Sekunden von einem genüsslichen Seufzer von Jayda aus dieser Stille gezogen. Anscheinend ließ sie sich auf ihr Sofa fallen, denn er hörte das Rascheln des Schlafsacks. 

Hunter schüttelte den Kopf und ging ebenfalls ins Wohnzimmer, wo Jayda alle Viere von sich gestreckt auf dem Sofa lag, den Schlafsack halb über ihren Oberkörper gezogen. 

„Ich glaube, ich nutze noch einmal aus, dass wir eine funktionierende Badewanne haben", sagte sie und auch Hunter erschien das als eine ziemlich gute Idee. 

„Da sagst du was! Geh du ruhig zuerst, ich mache in der Zwischenzeit das Feuer im Kamin wieder an", sagte er und sah zur Feuerstelle, in der jedoch nur verkohlte Reste lagen. Missmutig seufzte er. 

„Nachdem ich Feuerholz gesammelt habe."

Jayda erhob sich und sah ihn ängstlich an, aber sie nickte. 

„Oder möchtest du, dass ich dich nicht allein im Haus lasse?", fragte er, woraufhin sie so schnell den Kopf schüttelte, dass ihm klar wurde, dass sie tatsächlich ein wenig Angst hatte. 

„Ich bin nur vor dem Haus, ich verlasse das Grundstück nicht", versicherte er ihr und lächelte. Sie erwiderte es, nickte mehr zu sich selbst als zu ihm und bückte sich nach ihrem Rucksack. 

„Ich werde nicht lange trödeln", versprach sie, doch Hunter winkte ab.

„Ach was, lass dir ruhig Zeit. Wer weiß schon, wie lange wir noch den Genuss einer Badewanne haben", sagte er. Jayda senkte auf einmal den Blick auf den Boden, so als wäre ihr etwas unangenehm. Hatte sie womöglich den gleichen Gedanken wie er vorhin? Dass sie eine Weile hierblieben? 

„Hast recht. Ich... ich geh dann mal", murmelte sie und verschwand eilig aus dem Zimmer. Hunter sah ihr nach, bis er oben die Badezimmertür ins Schloss fallen hörte und machte sich anschließend auf den Weg zurück zur Haustür. Besser, er beeilte sich, immerhin wurde es ziemlich bald dunkel. 

Kaum dass er nach draußen trat, fing er an zu frösteln. In den letzten Minuten war es wirklich kühl geworden und mit schnellen Schritten ging in den bewaldeten Bereich. Er hielt sich stets in Sichtweite des Hauses, denn zwischen den Bäumen schien auch des letzte Licht hängen zu bleiben und nicht bis zu ihm zu dringen. 

Suchend sah er sich nach Ästen auf dem Boden um, die sich für den Kamin eigneten und recht schnell fand er einige. Er klemmte sie sich unter den Arm und hetzte zurück zum Haus. Sein Herzschlag beschleunigte sich unter der schweren Last in seinen Armen und er sah, wie sich sein Atem in kleinen weißen Wölkchen vor seinem Gesicht verflüchtigte. 

Mit dem Ellbogen drückte er die Türklinke herunter, schubste die Tür mit der Hüfte auf und schlüpfte hinein. Er stieß sie mit dem Fuß zu, sodass sie krachend ins Schloss fiel. 

Mit schnellen Schritten ging er ins Wohnzimmer und ließ die gesammelten Äste vor dem Kamin auf den Boden fallen. Mit einem dumpfen Geräusch purzelten sie auf den Teppich und er ließ sich davor auf die Knie fallen. Suchend sah er sich um und entdeckte neben dem Kamin eine schmiedeeiserne Schaufel mit langem Griff und einen dazugehörigen Besen. Er griff nach beidem, den Besen in der rechten und die Schaufel in der linken Hand und wollte gerade die Reste der alten Holzscheite aus dem Kamin befördern, als er innehielt. 

Ungläubig starrte er in die Asche. Konnte das wirklich sein? Oder spielte seine Fantasie ihm einen Streich? Er beugte sich näher heran, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Tatsächlich! Augenblicklich stellten sich die Härchen auf seinen Armen auf. Auch wenn es dunkel im Innern des Kamins war, konnte er es doch ganz deutlich erkennen. 

Jemand hatte in die Asche ein Wort geschrieben, so wie man mit dem Finger ein Wort oder ein Herz in den Sand malte. Er versuchte, die Buchstaben zu etwas Sinnvollem zusammenzubringen und als er begriff, dass es ein Name war, wich er erschrocken zurück. 

Seine Herz raste, denn ganz sicherlich war das nicht Jayda gewesen, oder? Hatte sie sich einen Scherz erlaubt und wollte ihm einen Schrecken einjagen? Hunter glaubte es nicht, dafür hatte sie eben selbst viel zu verängstigt gewirkt. 

Er beugte sich noch einmal näher heran, in der wahnwitzigen Hoffnung, die Buchstaben wären wie durch Geisterhand verschwunden, aber natürlich waren sie noch da.

Amber. 

Ein einfacher Name, mit dem Finger in die Asche geschrieben. Panisch griff Hunter nach dem Besen und verwischte die Buchstaben. Seine Hände zitterten wie verrückt, dennoch zwang er sich, den Kamin zu reinigen und die neuen Äste hineinzulegen. 

Sicherlich hatte er sich das nur eingebildet. Es war ja auch recht dunkel hier im Zimmer, da spielte die Fantasie einem schon einmal Streiche. Kopfschüttelnd entzündete er das Feuer und betrachtete einen Moment lang die kleine, lodernde Flamme. 

Er beschloss, Jayda erst einmal nichts davon zu erzählen, er musste ihr ja nicht unnötig Angst machen. Allmählich beruhigte sich sein Herzschlag wieder und auf seine Härchen standen nicht mehr zu Berge. Ein kleines, tadelndes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er war wirklich ein Angsthase, bildete sich schon Dinge ein, die gar nicht da waren. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt