Unsanft landete Hunter auf dem Boden. Verwirrt sah er sich um und es dauerte einen Moment lang, bis er begriff, dass dieses graue Schlangenwesen ihn und Amber nicht mehr gefangen hielt. Sein Herz raste noch immer wie verrückt und panisch sah er zu Amber, die regungslos neben ihm lag.
„Amber!", rief er aus und krabbelte zu ihr. Sie durfte nicht tot sein, denn wenn sie es war, bedeutete das doch, dass Alastor jeden Moment auf ihn überspringen würde.
„Nein, du kriegst mich nicht!", schrie er, ließ von der regungslosen Amber ab und sprang auf die Beine, die Fäuste kampfbereit erhoben. Allerdings konnte er ihn in dem schwachen Licht der Taschenlampe, die noch immer auf dem Boden lag, nicht mehr ausmachen. Hektisch wirbelte er herum, allerdings konnte er den Dämon nirgends entdecken. Resignierend hielt er inne, denn Alastor war mächtig und konnte sich durchaus nicht zeigen, wenn er es nicht wollte.
Auf einmal bemerkte er eine Bewegung im Augenwinkel und er befürchtete schon das Schlimmste, als er erkannte, dass es Jayda war. Sie löste sich aus den Schatten, ihr Haar vollkommen zerzaust und Dreck zierte ihre Wangen. Tatsächlich hatte Hunter gar nicht mitbekommen, dass sie ihnen in den Keller gefolgt war und im Eifer des Gefechts hatte er nicht mehr wirklich an sie gedacht. Sofort fühlte er sich schlecht.
„Es ist vorbei. Wir haben es geschafft", sagte sie außer Atem und er sah, wie ihr Blick auf den Boden wanderte, genau an die Stelle, wo eben noch Alastor gewesen war. Allerdings war von ihm noch immer nichts sehen, stattdessen lagen dort große, braune Holzperlen in einer merkwürdigen Anordnung auf dem Boden. Was hatte das zu bedeuten? Bevor er die Puzzleteile in seinem Kopf ordnen und zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen konnte, regte Amber sich neben ihm. Sie stöhnte und setzte sich sichtlich mühsam auf.
„Alles in Ordnung?", fragte Jayda, bevor er selbst auch nur ein Wort hatte herausbringen können. Amber lebte? Hatte Alastor sie doch nicht umgebracht, um auf ihn überspringen zu können?
„Amber, befreie mich vollständig", erklang auf einmal eine Stimme, die Hunter erschrocken zusammenfahren ließ. Sie gehörte weder zu Amber noch zu Jayda und als er sich in die Richtung drehte, aus der sie zu kommen schien, erstarrte er. Da saß ein kleines Mädchen, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und wiegte sich selbst hin und her.
„Rachel, was...", stammelte Amber, schaffte es aber, sich aufzurichten und die wenigen Schritte zu dem Mädchen zu gehen.
„Jayda hat mich befreit und Alastor verbannt. Jetzt kannst du mich befreien und wir finden alle unseren Frieden", sagte das Mädchen in einem Ton, der eher zu einer erwachsenen Frau passte. Amber stieß einen erstickten Laut aus und sah vollkommen überrascht zu Jayda, die nur verlegen die Schultern zuckte.
Eilig wandte Amber sich wieder Rachel zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sogleich geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Hunter sah fassungslos zu, wie sich die Welt anscheinend wieder normalisierte und sich weiterdrehte.
Rachel löste sich wie eine kleine Nebelschwade, die vom Wind davongetragen wird auf und verschwand. Amber sackte in sich zusammen und fiel auf den Boden, allerdings geschah noch etwas mit ihr. Hunter trat einen Schritt näher, denn er konnte nicht wirklich glauben, was er da sah. Das Mädchen, das Amber bis vor wenigen Sekunden noch gewesen war, alterte. Innerhalb eines Wimpernschlages schienen dreiundfünfzig Jahre zu vergehen und auf einmal saß vor ihnen eine Frau Ende sechzig. Ihr Haar, das noch immer in zwei Zöpfen zusammengebunden war, wirkte nicht mehr so kraftvoll und war ergraut, ein kleiner Witwenbuckel zeichnete sich unter dem Kleid ab und Fältchen hatten sich auf ihr Gesicht gelegt. Fassungslos starrte Hunter sie an, auch wenn es mehr als unhöflich war.
„Amber, es ist vorbei", flüsterte Jayda und Hunter sah, wie sie zu der Frau ging und sich neben sie hockte. Ein wenig verwirrt sah Amber sie an, bevor sich nach und nach ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. Amber beugte sich über das noch immer geöffnete Grab und sah für einen Moment lang hinein.
„Wir sollten ihr ein anständiges Begräbnis ermöglichen, findet ihr nicht?", sagte sie und sofort nickte Jayda. Hunter wagte nicht, auf die Überreste des Mädchens zu sehen, viel zu aufgewühlt fühlte er sich noch. Auch wenn nur wenige Minuten vergangen waren, seit sie den Keller betreten hatten, schien sich die ganze Welt verändert zu haben. Kopfschüttelnd stand er da, vollkommen überfordert mit allem.
„Bedeutet das, du hast es geschafft, Alastor zu verbannen?", fragte er ungläubig und starrte Jayda an. Diese grinste verlegen und nickte.
„Naja, Rachel hat mich quasi angeleitet. Es war eigentlich ganz einfach", sagte sie und ihr entschlüpfte tatsächlich ein kleines Lachen. Hunter schnaubte.
„Ha, ganz einfach, sagt sie", stieß er aus, konnte anschließend aber nicht anders, als in ihr Lachen einzustimmen.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...