Hunter spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten, als Jayda von dem Namen auf dem Spiegel berichtete. Er musste sie anstarren wie ein Verrückter, sein Mund war leicht geöffnet, wie er bemerkte. Eilig schloss er ihn wieder und suchte ihren ängstlichen Blick.
Ihm war klar, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging, denn selbst wenn sich die Buchstaben auf dem Spiegel durchaus rational erklären ließen, waren sie ihm gestern nicht aufgefallen. Klar, er hätte es auch übersehen können, aber normalerweise war er aufmerksam und bemerkte solche Dinge.
Jayda saß auf ihrem Sofa, warf in diesem Moment das Kissen, das sie die ganze Zeit umklammert hatte, beiseite und lachte unsicher auf.
„Ganz sicher hat der vorherige kurzzeitige Bewohner seinen Namen auf den beschlagenen Spiegel geschrieben und ihn nicht weggewischt. So muss es sein", sagte sie, wirkte aber ganz und gar nicht so überzeugt davon, wie sie es verkaufen wollte. Hunter schluckte, denn ihm wurde bewusst, dass er Jayda von dem Namen im Kamin berichten musste. Womöglich waren sie hier nicht allein und sie sollte es wissen.
„Du, ich... ich will dich nicht beunruhigen, aber...", setzte er an, unterbrach sich jedoch. Jaydas angedeutetes Grinsen verschwand sofort und sie sah ihn panisch an.
„Was denn?"
Hunter holte noch einmal tief Luft, bevor er von seiner Entdeckung in der Asche berichtete. Es war der gleiche Name gewesen und auch wenn er die Buchstaben auf dem Spiegel nicht gesehen hatte, war er sich sicher, dass es auch die gleiche Handschrift war. Erschrocken sog Jayda die Luft ein und zog die Beine an, so als hätte sie auf einmal Angst, dass jemand unter dem Sofa hockte und mit glitschigen, schwarzen Fingern nach ihren Knöcheln greifen könnte. Hunter verstand ihre Angst, ihm selbst war das alles ja auch nicht geheuer, aber was sollten sie nun tun?
„Es gibt sicherlich eine logische Erklärung für all das. Mach dich nicht zu verrückt, es wird schon nichts sein", sagte er, mehr um sich selbst zu beruhigen als Jayda. Allerdings brachten seine Worte rein gar nichts. Jaydas Augen waren vor Angst geweitet und sie malte sich eindeutig schlimme Dinge aus.
„Und wenn Amber ein Geist ist?", platzte es aus ihr heraus, allerdings wandte sie sofort den Blick auf ihre Hände und Hunter glaubte im Schein des Kaminfeuers einen rötlichen Schimmer auf ihren Wangen zu erkennen.
„Ich meine, vorausgesetzt, man glaubt an so etwas", setzte sie nach, gefolgt von einem unsicheren Kichern. Hunter spürte, wie sich ein festes Band um seine Brust legte. Nein, er glaubte nicht an Geister, Spukerscheinungen und solche Dinge. An was er aber schon glaubte, war die Fantasie des Menschen, die einem ordentlich einen Streich spielen konnte. Er versuchte Jaydas Blick zu deuten, ob sie das ernst meinte oder nicht. Hunter schüttelte den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Wahrscheinlich haben wir noch einen Zuckerschock vom Kuchen und waren gestern einfach nur zu müde und unaufmerksam, um diese Dinge zu bemerken. Es ist sicherlich alles in Ordnung", versicherte er ihr, allerdings spürte er genau in diesem Moment so etwas wie einen kalten Lufthauch in seinem Nacken. Wie schon gesagt, die Fantasie konnte einen ganz schön aufs Korn nehmen. Jayda nickte zwar, sah ihn aber weiterhin unsicher an.
„Wir sollten schlafen, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus", sagte er und spürte, dass dieser Satz wohl sein allabendliches Mantra werden würde. Morgen würde es besser werden, wobei, heute war eigentlich ein wirklich schöner Tag gewesen. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu dem Kranz über dem Kamin, den Jayda für ihn gebastelt hatte. Das Dunkelgrün der Tannennadeln leuchtete im Schein des Feuers und die Zweige warfen einen flimmernden Schatten an die Wand.
„Du hast recht", riss Jayda ihn zurück ins Hier uns Jetzt und ein wenig verwirrt sah er sie an. Sie zog ihre Strickjacke aus, die sie über ihrem Schlafanzug getragen hatte und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Anschließend krabbelte sie in ihren Schlafsack und zog ihn bis unters Kinn.
Erst da bemerkte Hunter, dass er noch gar nicht baden gewesen war, aber nun hatte er eigentlich auch keine Lust mehr, noch einmal nach oben zu gehen. Oder vielleicht, ganz vielleicht wollte er nicht noch einmal diesen Namen im Spiegel sehen.
Leise vor sich hin grummelnd erhob er sich und ging zu seinem Rucksack. Er entledigte sich seiner Jeans und krabbelte zurück auf sein Sofa, wo er sich ebenfalls in seinen Schlafsack legte. Er drehte sich auf die Seite, sodass er zu Jayda sah und als er bemerkte, dass sie ihn ebenfalls ansah, lächelte er.
„Danke, dass du mir so einen schönen Geburtstagskranz gemacht hast", sagte er und schielte noch einmal zu dem Kranz.
„Habe ich gern gemacht", erwiderte sie, gefolgt von einem Gähnen.
„Schlaf schön", murmelte sie, rutschte ein wenig hin und her und seufzte genüsslich.
„Du auch".
Einen Moment lang lauschte Hunter dem Knistern des Feuers, das eine angenehme Wärme ausstrahlte. Auch er schloss die Augen und versuchte, die Gedanken schweifen zu lassen.
Allerdings musste er an Jaydas Worte denken, dass sie Angst gehabt hatte, er würde sie verlassen. Ihm war gar nicht so bewusst gewesen, dass ihre Angst durchaus berechtigt war, wenn er genau wie sie ein ganz normaler Junge gewesen wäre, der von zu Hause abgehauen war. Aber das war er nicht, ganz und gar nicht, allerdings durfte Jayda das niemals erfahren. Denn dann wäre sie bestimmt nicht mehr gern in seiner Nähe, womöglich hätte sie sogar Angst vor ihm. Hunter könnte das nur allzu gut verstehen, er selbst hatte eine Zeitlang Angst vor sich gehabt, bis ihm klar geworden war, dass in seiner Situation vermutlich jeder so gehandelt hätte.
Wie Blitze schossen ihm Bilder in den Kopf, die er vermutlich nie wieder in seinem Leben vergessen würde. Bilder von seinem Vater, wie er ihn anschrie. Wie er um sich schlug, Hunter im Gesicht traf, bevor er zurückwich und aus seiner Reichweite verschwand. Panisch kniff Hunter die Augen zusammen. Schluss damit! Er wollte nicht an seinen Vater denken.
Mühsam konzentrierte er sich auf das Knistern im Kamin, spürte die Wärme des Feuers in seinem Gesicht und roch den holzigen Geruch. Nur langsam beruhigte sich sein Herzschlag, wurde regelmäßig, bis Hunter einschlief.
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Amber
HorrorJayda und Hunter, zwei siebzehnjährige Ausreißer, finden Zuflucht in einem verlassenen Herrenhaus. Blackwood Manor, ein im Wald gelegenes, beeindruckendes Anwesen ohne Strom und Wasser wird bald ihr Zufluchtsort. Allerdings dauert es nicht lange, bi...