Kapitel 49 - Jayda

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Betreten standen Jayda, Hunter und Amber vor dem Grab, das sie gemeinsam für Rachel im Wald geschaufelt hatten. Amber selbst wollte ihre Knochen, respektvoll eingewickelt in einem dicken Baumwolltuch, hineinlegen. Jayda fand es immer noch mehr als verrückt, dass sie hier mitten in der Nacht in einem Wald standen und die Überreste einer Leiche begruben, gleichzeitig fühlte es sich mehr als richtig an. Mit etwas schwerfälligen Bewegungen und einem deutlich hörbaren Knacken ihrer Knie legte Amber die Überreste in das Erdloch. Jayda trat vor und legte einen der Graskreise hinein, anschließend warf Hunter ein klein wenig Erde hinein, die noch aufgetürmt neben dem Grab lag. 

„Es tut mir leid. Ich wollte das alles nicht", sagte Amber so leise, dass der Wind ihre Worte beinahe ungehört davongetragen hätte. Sie senkte den Kopf und trat langsam einige Schritte zurück, bevor sie sich umdrehte und zurück in Richtung des Hauses lief. Zögernd sah Jayda Hunter an, der die Hände in die Jackentaschen geschoben hatte. 

„Wir sollten das Grab schließen", murmelte er und griff nach einer der beiden Schaufeln, die in dem Erdhügel steckte. Jayda nickte stumm als Geste der Zustimmung und nahm sich die zweite Schaufel. Andächtig schlossen sie das Grab und gaben Rachel endlich den Frieden, den sie verdient hatte. Unschlüssig, was sie nun tun sollte, blieb sie stehen und sah fragend zu Hunter. 

„Wie geht es nun weiter?", fragte er und klang dabei genau so ratlos, wie sie sich fühlte. 

„Ich denke, wir sollten erst einmal schlafen und...", setzte sie an, doch Hunter unterbrach sie jäh. 

„Oh nein! Ich werde keine weitere Nacht in diesem Haus verbringen, auch wenn es nur eine halbe ist!", rief er aus, was Jayda merkwürdigerweise kichern ließ. Einerseits konnte sie ihn verstehen, andererseits war es knapp drei Uhr morgens in einer windigen Herbstnacht. Jayda überlegte einen Moment lang, doch als der Wind ihr um die Ohren pfiff und sie ihre Jacke enger um sich zog, nickte sie. 

„Gut, wie du möchtest. Aber wir sollten uns von Amber verabschieden und... bevor du deiner Wege gehst möchte ich, dass du weißt, dass dein Geheimnis bei dir sicher ist", sagte sie. Es war klar, dass Hunter weiterhin vor der Polizei fliehen würde, wobei sie ihm wahrscheinlich nur behindern würde. Für einen Moment lang herrschte Stille, bis Hunter sie durch ein Räuspern unterbrach. 

„Ehm, Jayda? Ich dachte, wir könnten... ich meine... ich will nicht allein meiner Wege gehen. Beziehungsweise den einen Weg. Ich werde mich der Polizei stellen und meine gerechte Strafe entgegennehmen", sagte Hunter. Jayda riss die Augenbrauen hoch, denn damit hatte sie in keiner Weise gerechnet. 

„Du... du willst dich ausliefern?", fragte sie, woraufhin er bestimmt nickte. 

„Ja, ich will meine Schuld loswerden, damit ich kein Angriffspunkt mehr für Alastor bin. Zwar ist er verbannt, aber er ist noch immer existent", erklärte er, was Jayda mehr als verstehen konnte. Allerdings glaubte sie, dass Hunter nicht nur wegen der Gefahr, die von Alastor ausging, sich von seiner Schuld befreien wollte. Er war einfach ein ehrlicher und anständiger Mensch, der für seine Taten büßte. Ohne lang darüber nachzudenken schlang sie einen Arm um seine Taille und führte ihn zurück in Richtung Haus. 

„Holen wir unser Zeug, sagen Amber Lebewohl und suchen die nächste Polizeistation", sagte sie und auch wenn sie damit Hunters Leben vollkommen verändern würde, war sie froh, hinter all dem Schlechten einen Schlussstrich ziehen zu können. 

Komischerweise verspürte sie auf einmal eine Hoffnung, die sie schon seit Jahren nicht mehr kannte. In wenigen Wochen würde sie volljährig werden und könnte sich einen Job suchen und irgendwo ganz weit weg von ihrem Vater ein neues Leben beginnen. Genau das, was sie eigentlich die ganze Zeit vorgehabt hatte. Nur war sie auf dem Weg dahin von einem Dämon aufgehalten worden. 

Sie grinste in sich hinein und betrat noch ein letztes Mal das Haus. Vielleicht lag es an ihrer neu gewonnen Hoffnung, vielleicht aber auch daran, dass dieses Haus nun nicht mehr von einem Dämonen heimgesucht wurde, aber erst in diesem Moment wurde ihr die Schönheit dieses Anwesens bewusst. Es wirkte ganz und gar nicht mehr unheimlich, eher herrschaftlich. 

Amber erschien im Türrahmen zum Wohnzimmer und verschränkte die Arme vor der Brust. 

„Ich bin euch für immer dankbar", sagte sie und auch wenn Jayda ihr noch immer nicht zu einhundert Prozent traute, war doch eine Veränderung in ihrem Wesen deutlich spürbar. Sie winkte ab, ging stattdessen zu ihr und nahm sie in den Arm. Amber erwiderte die Umarmung und seufzte ergeben. 

„Ihr werdet gehen und nicht wiederkommen", stellte sie fest und dieses Mal war es Hunter der ihr antwortete. 

„Ja, ich habe eine Gefängnisstrafe abzusitzen", sagte er, was Amber jedoch unkommentiert ließ. Sie löste sich von Jayda und hielt Hunter die Hand hin. Zögernd nahm er sie und drückte für einen Moment zu. 

„Ich werde wahrscheinlich ziemlich viel Zeit haben, um über euch beide nachzudenken", sagte Hunter und ließ ihre Hand wieder los. Jayda bekam auf einmal so ein Gefühl, dass ihm der Abschied doch nicht so leicht fiel, wie er es versuchte aussehen zu lassen. 

„Meine Tür steht euch immer offen. Falls ihr mal in der Nähe seid, kommt doch auf einen Tee vorbei", schlug Amber vor uns sofort nickte Jayda. Sie wusste nicht wieso, aber in diesem Moment sah sie nur die alte, einsame Frau, die Amber in Wirklichkeit war. 

„Das werden wir", versprach sie, anschließend ging sie an Amber vorbei und raffte ihr Zeug zusammen. Es war merkwürdig, dass sie dieses Haus tatsächlich verlassen würden, denn auch wenn sie nicht lange hier gewesen waren, hatte es ihr Leben für immer verändert. 

Dämonen, Geister und andere Wesen existierten. Auch wenn ihr niemand ihre Geschichte glauben würde, wusste sie, dass es so war. Und Amber und Hunter ging es genau so. Dieses Erlebnis würde sie drei für immer miteinander verbinden. 

AmberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt