KAPITEL EINS

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„Sofia Martinez." 

Die Stimme des Professors schnitt wie ein Messer durch die Luft, als ich gerade die Tür zum Hörsaal aufstoßen wollte. Ich spürte, wie ein unangenehmes Prickeln über meinen Nacken kroch, ein unwillkürliches Frösteln, das mir den Rücken hinunterlief. Abrupt blieb ich stehen und spürte, wie sich meine Finger fester um die Tasche schlossen. Ein dumpfer Schmerz begann sich in meiner Brust auszubreiten – ein Gefühl, das ich nicht recht einordnen konnte.

Hinter mir hatte Lucas meine Bewegung bemerkt. „Alles in Ordnung?"

Seine Stimme klang besorgt, aber dennoch vertraut, als seine Finger zärtlich meinen Arm streiften. Ich drehte mich zu ihm um, zwang mich zu einem Lächeln. „Geh schon vor",

sagte ich leise, doch das Zittern in meiner Stimme war nicht zu überhören.

Lucas musterte mich einen Moment lang. Seine dunklen Augen funkelten unter seinen dichten Wimpern, und ich konnte das Misstrauen in seinem Blick spüren.

Er neigte sich zu mir, sein warmer Atem strich über meine Haut. „Bis später",

flüsterte er und hinterließ einen sanften Kuss auf meiner Wange. Seine Lippen berührten mich kaum, und doch hinterließen sie eine Spur von Wärme, die schnell verblasste, als er sich abwandte und den Saal verließ.

Ich atmete tief durch und drehte mich dann zu Professor Jonathan Hayes um.

Er stand hinter seinem Pult, seine Augen fest auf mich gerichtet. Sie waren kalt, dunkel, und doch glitzerten sie, als hätte er mich in einer Falle gefangen. Sein Lächeln war schmal, kaum sichtbar, aber da war etwas in seiner Haltung, das mich beunruhigte. Vielleicht war es die Art, wie er mich ansah, als ob er mehr wusste, als er zugab.

„Frau Martinez", begann er, und ich konnte den Unterton von Befriedigung in seiner Stimme spüren, „Ihre Facharbeit... sie hat mich beeindruckt. Wirklich bemerkenswert." Er machte eine Pause, seine Augen ließen mich nicht los. „Es kam mir vor, als hätten Sie es selbst durchlebt, so... lebendig. So voller Schmerz und Emotionen."

Es war etwas an seinen Worten, das mir Unbehagen bereitete, als ob er mehr über mich wusste, als er sollte. „Aber..." Seine Stimme wurde leiser, ein Hauch von Spott schwang darin mit, als er das schwarze Buch aus seiner Tasche zog. Die goldenen Buchstaben auf dem Einband schimmerten im trüben Licht des Raumes: „Der Einfluss traumatischer Erlebnisse auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen: Eine Fallstudie von San Almenda."

Langsam, quälend langsam, schlug er das Buch auf und blätterte durch die Seiten, bis er auf eine bestimmte Stelle stieß. Meine Atmung beschleunigte sich, als er die Seite mit einem Finger markierte und es mir hinhielt. Mein Blick fiel auf die Worte – meinen Namen. Doch es war nicht mein Name. Es war jemand anderes. „Isabella Diaz", stand da, in klaren, schwarzen Buchstaben.

„Wer", fragte er mit einer sanften Stimme. „ist Isabella Diaz?"

Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Mein Herz begann zu rasen, als mein Blick auf den fremden Namen starrte. Das war unmöglich. Ich hatte die Arbeit selbst geschrieben. Jede Seite, jedes Wort war von mir. Wie konnte das sein? Meine Gedanken überschlugen sich, während ich versuchte, irgendeinen Sinn in dieser Situation zu finden.

„Was...?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Das muss ein Fehler sein... ich..." Ich starrte ihn fassungslos an. Das konnte nicht wahr sein. Irgendjemand musste meinen Namen geändert haben, das war die einzige Erklärung. Aber wer? Und warum?

Er sah mich weiterhin an, seine Augen schienen mich zu durchbohren. „Ein Fehler, sagen Sie?" Seine Stimme blieb ruhig, fast beiläufig, doch die Schärfe darunter war nicht zu überhören. Es war, als würde er mir eine Falle stellen, darauf wartend, dass ich hineintrat. „Haben Sie diese Arbeit... kopiert?"

„Nein!" entfuhr es mir, schneller und heftiger, als ich beabsichtigt hatte. „Das... das muss ein Missverständnis sein. Ich habe sie selbst geschrieben." Ich versuchte, die Kontrolle über meine Atmung wiederzuerlangen, doch mein Herzschlag pochte wild in meiner Brust. Ich hatte keine Erklärung für das, was gerade passierte, aber das Gefühl der Unruhe ließ mich nicht los.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. „Ein Missverständnis?" Er ließ das Wort in der Luft hängen. „Nun gut, Frau Martinez." Er schloss das Buch und reichte es mir zurück. „Ich erwarte, dass Sie den Fehler bis morgen korrigieren. 12:00 Uhr, in meinem Büro. Und bringen Sie keine Ausreden."

Ich zögerte einen Moment, bevor ich das Buch mit zittrigen Fingern nahm. Es fühlte sich schwer und fremd an, als hätte es plötzlich an Bedeutung gewonnen, die ich nicht verstand. „Ja, natürlich", sagte ich, obwohl ich mich kaum daran erinnern konnte, die Worte zu sprechen. „Ich werde es bis morgen in Ordnung bringen."

Seine Augen blieben auf mir, zu lange, als wäre da noch mehr, was er sagen wollte, doch stattdessen nickte er nur. „Gut", sagte er schließlich, „ich freue mich darauf."

Ich stolperte fast über meine eigenen Füße, als ich mich umdrehte und eilig den Hörsaal verließ. Das Buch fest gegen meine Brust gedrückt, eilte ich durch die Korridore, mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Die Welt um mich herum schien zu verschwimmen. Studenten strömten in die Hallen, ihre Stimmen mischten sich zu einem einzigen, undurchdringlichen Rauschen. Doch ich hörte sie kaum. Alles, was ich fühlte, war das stetige Pochen meines Herzens und die ständige Frage in meinem Kopf: Wer hat den Namen Geändert?.

Als ich schließlich nach draußen trat, spürte ich die kalte Luft auf meiner Haut und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch das beklemmende Gefühl in meiner Brust ließ nicht nach. Die Wolken über mir waren dunkel und drohten, den Himmel mit Regen zu bedecken. Ein Zeichen? Vielleicht. Doch was es auch war, es fühlte sich wie ein Omen an, ein Vorbote von etwas Dunklerem, das ich nicht greifen konnte.

Meine Schritte führten mich über den Campus, vorbei an Studenten, die in Gruppen lachten und sich unterhielten, als ob die Welt in Ordnung wäre. Doch für mich schien sich die Welt um mich herum zu verengen. Die Unruhe in meinem Inneren ließ mich nicht los. Ich zwang mich, tiefer zu atmen, aber es fühlte sich an, als ob die Luft um mich herum dichter wurde, schwerer.

In der Ferne sah ich schließlich Emilia. Sie saß auf einer Bank unter einem großen Baum. Als sie mich sah, hob sie die Hand und winkte mir zu, ein Lächeln auf ihren Lippen. Doch ich konnte es nicht erwidern. Mein Geist war zu sehr in das Geschehene verstrickt. Die Gedanken an Isabella Diaz ließen mich nicht los. War es real? Oder war es eine Schöpfung meines eigenen Geistes? Ein Fehler? Ein Zufall? Nichts davon schien mir plausibel.

„Sofia!" rief Emilia, als ich näher kam. Ihr Lächeln verblasste, als sie mein Gesicht genauer betrachtete. „Was ist los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen."

Ich setzte mich neben sie, die Facharbeit immer noch fest in meinen Händen. „Es ist... nichts", murmelte ich, obwohl ich wusste, dass das eine Lüge war. „Nur ein kleiner Fehler in meiner Arbeit. Ich muss es bis morgen beheben."

Emilia runzelte die Stirn. „Ein Fehler? Du machst doch nie Fehler."

„Es passiert", sagte ich, und versuchte, meine Stimme ruhig zu halten. Doch in meinem Inneren tobte ein Sturm. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, aber ich konnte es nicht erklären.

Wir schwiegen eine Weile, während der Wind durch die Bäume rauschte und die Blätter über uns raschelten. Die Dunkelheit, die sich am Himmel zusammenbraute, spiegelte das wider, was ich in meinem Inneren fühlte – eine Vorahnung, die ich nicht abschütteln konnte.

Black Rose: The Bloom |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt