Kapitel 26

12 1 2
                                    

Die Nacht hatte längst den Tag abgelöst, als ich auf der Veranda meines Hauses saß und in die Dunkelheit starrte. Die Geräusche der Stadt schienen weit weg, wie ein ferner, undeutlicher Lärmteppich, der nicht bis hierher drang. San Almenda war immer laut und lebendig, aber in dieser späten Stunde schien es, als hätte sich die Stadt für einen Moment beruhigt. Die Zigarette in meiner Hand glomm schwach in der Dunkelheit. Ich zog einen tiefen Zug, spürte den Rauch in meinen Lungen und ließ ihn dann langsam entweichen. Es war fast beruhigend – diese wenigen Sekunden, in denen alles still und ruhig war. Aber die Gedanken in meinem Kopf wollten nicht zur Ruhe kommen.

Der Brief von , den ich in der Bank gefunden hatte, brannte sich tief in mein Gedächtnis. Seine Worte waren wie ein Rätsel, das sich nur langsam vor mir entfaltete – und ich wusste, dass ich in etwas hineingezogen worden war, das größer war, als ich jemals geahnt hatte.

Die Tür hinter mir öffnete sich leise, und ich zuckte zusammen. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und für einen Moment überlegte ich, ob ich nach der Pistole greifen sollte, die ich aus dem Schließfach geholt hatte. Doch dann erkannte ich die Silhouette im schwachen Licht und ließ meine Hand sinken.

„Izzy", sagte eine vertraute Stimme, und ich entspannte mich sofort. Es war Manuel, ein altes Mitglied unserer Gang und jemand, dem ich tatsächlich noch vertrauen konnte – oder zumindest hoffte ich das.

„Manuel", antwortete ich leise und lächelte schwach. „Was machst du hier so spät?"

Er trat auf die Veranda hinaus und setzte sich neben mich. Der Geruch von Leder und Tabak wehte in meine Richtung, und ich konnte spüren, dass er bereits einige Drinks intus hatte. Er musterte mich mit einem durchdringenden Blick, als wolle er sicherstellen, dass ich auch wirklich in Ordnung war.

„Ich hab gehört, du bist wieder in der Stadt", sagte er schließlich und zündete sich selbst eine Zigarette an. „Ich musste sehen, ob das stimmt."

Ich lachte leise. „Ja, ich bin wieder da. Scheint, als hätte sich in meiner Abwesenheit einiges verändert."

Er nickte und blies den Rauch aus. „Mehr, als du dir vorstellen kannst", murmelte er. „Die Dinge laufen aus dem Ruder, Izzy. Seit dein Bruder Tod ist, haben sich alle um die Macht gestritten. Jeder will der nächste große Boss sein, aber niemand hat die Eier dazu, die Verantwortung zu übernehmen. Jetzt, wo du wieder da bist..." Er machte eine Pause und sah mich an. „Die Spannung ist überall zu spüren. Die Leute sind nervös. Und du... du bist mitten in diesem Schlamassel."

Ich starrte in die Nacht hinaus und zog noch einmal an meiner Zigarette. „Ich weiß", sagte ich leise. „Aber ich hatte keine Wahl. Dan hat mich zurückgeholt, und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich in etwas verwickelt wurde, das schon lange vor mir begonnen hat."

„Es geht um deinen Bruder, oder?" fragte er vorsichtig.

Ich nickte, unfähig, den Kloß in meinem Hals zu ignorieren. „Ja. Und um viel mehr als das.... er hat mir Dinge hinterlassen. Hinweise, die ich verfolgen muss. Aber er hat mich auch gewarnt – vor den Leuten, die mich vielleicht betrügen könnten. Und das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, wem ich trauen kann."

Manuel schwieg eine Weile, als ob er über meine Worte nachdachte. Dann legte er seine Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht. „Du kannst mir vertrauen, Izzy. Das weißt du doch."

Ich sah ihn an, in seine dunklen Augen, die von all den Jahren in den Straßen von San Almenda gezeichnet waren. Er hatte immer an meiner Seite gestanden, durch dick und dünn. Aber nach allem, was Rivera mir erzählt hatte, war das Vertrauen ein Luxus, den ich mir nicht mehr leisten konnte. Trotzdem wollte ich ihm glauben. Wollte glauben, dass er auf meiner Seite stand.

„Ich hoffe es, Manuel ", sagte ich schließlich. „Ich hoffe es wirklich."

Er nickte nur und zog wieder an seiner Zigarette. Die Stille kehrte zurück, aber es war eine trügerische Stille. Ich wusste, dass es nur die Ruhe vor dem Sturm war.

„Weißt du, Izzy", begann er nach einer Weile, „es gibt eine Menge, was du über deinen Bruder nicht weißt. Eine Menge, was nie an die Oberfläche gekommen ist."

Ich drehte mich zu ihm und sah ihn neugierig an. „Was meinst du damit?"

Er lehnte sich zurück und seufzte schwer. „Dein Bruder war... er war tief in etwas verwickelt, von dem nur wenige wussten. Selbst ich habe erst kurz vor seinem Tod davon erfahren. Es gab da einen alten Bekannten – jemand, mit dem er früher gearbeitet hat. Sie hatten gemeinsame Geschäfte, und diese Geschäfte haben ihn letztendlich das Leben gekostet."

Mein Herz begann schneller zu schlagen. „Was für Geschäfte?"

Manuel drückte seine Zigarette aus und sah mich ernst an. „Sein Name war Delano. Michael Delano. Er war nicht nur irgendein Geschäftspartner. Er war tief mit den Drogenkartellen verstrickt, die San Almenda im Griff haben. Dein Bruder hat versucht, sich aus dem Geschäft rauszuhalten, aber Delano hatte andere Pläne. Und als dein Bruder versuchte, ihm die Stirn zu bieten, war es vorbei."

Die Information traf mich wie ein Schlag.
Ich wusste bereits wer er war und das er mein Vater war. Aber diese Information behielt ich für mich. Aber ich hatte keine Ahnung gehabt, wie tief diese Verstrickungen reichten.

„Also war Delano verantwortlich für den Tod meines Bruders?" fragte ich und spürte, wie die Wut in mir aufstieg.

Er schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht sicher. Aber ich weiß, dass Delano nach seinem Tod plötzlich mehr Macht in der Stadt hatte. Es gibt Gerüchte, dass er mehr Kontrolle übernommen hat, als dein Bruder weg war. Aber es war nie bewiesen. Es war alles nur... Gerede."

„Verdammtes Gerede", murmelte ich und stand auf. Ich fühlte mich rastlos, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. „Also muss ich Delano finden."

„Izzy, hör zu", sagte Manuel und stand ebenfalls auf. „Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast. Delano ist gefährlich. Sehr gefährlich. Wenn du dich mit ihm anlegst, spielst du mit deinem Leben."

„Das ist mir egal", sagte ich trotzig und sah ihn entschlossen an. „mein Bruder hat mir Hinweise hinterlassen, und ich werde sie verfolgen. Egal, wohin sie führen."

Er starrte mich einen Moment lang an, als wollte er prüfen, ob ich es ernst meinte. Dann nickte er langsam. „Wenn du diesen Weg gehst, musst du vorbereitet sein. Ich kann dir helfen, aber du musst vorsichtig sein, Izzy. Delano hat überall seine Augen und Ohren. Du darfst keinen Fehler machen."

„Ich werde vorsichtig sein", versprach ich und spürte, wie die Wut und der Schmerz in mir langsam zu einem klaren Ziel wurden. „Aber ich werde auch nicht aufgeben."

Manuel legte seine Hand auf meinen Arm und drückte ihn leicht. „Gut. Aber wenn es hart auf hart kommt, ruf mich an. Ich werde da sein."

Ich nickte, und er ließ meine Hand los. „Danke", sagte ich leise. „Ich werde es mir merken."

Er nickte nur, drehte sich um und ging zurück insHaus, ließ mich allein auf der Veranda stehen. Die Nacht war stiller geworden,fast gespenstisch ruhig.

Black Rose: The Bloom |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt