Ich sitze auf meinem alten Bett, die Matratze ist durchgesessen, und der Staub, der in der Luft hängt, kratzt in meiner Kehle. Das Zimmer sieht fast genauso aus wie damals, als ich es verlassen habe. Ein paar verblasste Poster hängen immer noch an den Wänden, und die Bücher in den Regalen, die ich als Jugendliche verschlungen habe, sind längst zerlesen und vergessen. Trotzdem fühlt sich nichts mehr richtig an. Das Zimmer, das einmal Zuflucht und Heimat war, ist jetzt ein Museum vergangener Zeiten – ein Schrein für eine Version von mir, die ich längst verloren habe.Meine Finger streichen über die Bettdecke, und plötzlich ist alles wieder da. Die Nächte, in denen Rivera und ich uns hier heimlich getroffen haben. Die flüchtigen Küsse, die wir im Dunkeln geteilt haben, in der ständigen Angst, dass mein Bruder uns erwischen könnte. Die Nervosität, das Herzrasen, und die Hoffnung, dass diese Momente für immer anhalten würden. Jetzt weiß ich, dass sie nie wirklich dauerhaft hätten sein können. Aber damals, in diesem Zimmer, fühlte es sich so echt an. So unvermeidlich.
Meine Gedanken fliegen zurück zu dem ersten Mal, als ich Rivera geküsst habe. Es war an einem späten Abend, und wir hatten uns in der Ecke des Zimmers versteckt, das Licht war gedimmt, und die Welt draußen schien so weit weg. Meine Hände zitterten vor Nervosität, als ich seine Nähe spürte, und dann – fast ohne zu wissen, wie es passiert war – berührten sich unsere Lippen. Ein kurzer Moment, der die Luft zwischen uns knisternd machte. Ich erinnere mich, wie mein Herz schneller schlug, wie meine Welt sich an diesem Abend verändert hatte.
Aber jetzt, so viele Jahre später, fühlt sich alles anders an. Die Erinnerungen, die mir einst Trost gespendet haben, quälen mich jetzt. Sie fühlen sich wie Fesseln an, die mich an eine Vergangenheit binden, die ich nicht loslassen kann.
Jeder Gedanke an Rivera und an meinen Bruder, der uns nie hätte zusammen sehen dürfen, wirft mich tiefer in eine Spirale der Verzweiflung. Mein Atem geht schneller, flacher, als ob die Luft in diesem Raum plötzlich nicht mehr ausreichen würde. Die Wände scheinen sich auf mich zuzubewegen, und mein Kopf wird schwer, meine Brust eng. Panik kriecht wie ein dunkler Schatten durch meinen Körper.
Mein Atem stockt. Die Panikattacke trifft mich unerwartet und brutal. Ich versuche, tief einzuatmen, aber meine Lungen verweigern den Dienst, als würden sie die Luft nicht mehr annehmen wollen. Alles verschwimmt vor meinen Augen, die Möbel in meinem Zimmer verlieren ihre Konturen, die Geräusche verschwinden, und alles, was bleibt, ist die unendliche Stille in meinem Kopf. Ich will schreien, aber kein Ton kommt über meine Lippen. Ich bin gefangen in diesem Moment, gefangen in meiner eigenen Angst.
Und dann, durch den Nebel der Panik, höre ich es – das leise Knarren der Tür.
Eine Gestalt steht im Türrahmen. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich erkenne, wer es ist.
Rivera. Natürlich.
Sein Gesicht ist angespannt, seine Augen durchdringen mich mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann – Sorge, vielleicht Bedauern. Oder ist es Angst? Er tritt langsam näher, als hätte er Angst, mich zu erschrecken. Aber ich bin nicht erschrocken.
Ich bin... gefangen. In meinen eigenen Gedanken, in meiner Panik.
„Izzy", sagt er leise. Seine Stimme klingt, als würde sie von weit her kommen. „Atme, Izzy. Tief ein- und ausatmen. Du schaffst das."
Ich will ihm glauben, aber es fühlt sich unmöglich an. Meine Brust fühlt sich an, als würde sie gleich zerbersten. Ich schüttele den Kopf, Tränen brennen in meinen Augen. „Ich... kann nicht", bringe ich mit Mühe hervor. Es ist, als ob ich unter Wasser wäre, unfähig, an die Oberfläche zu gelangen.
Rivera kniet sich vor mich, seine Hände umklammern meine Schultern, fest, aber nicht bedrängend. Seine Stimme ist jetzt näher, ruhiger, tiefer. „Atme mit mir", sagt er und beginnt, demonstrativ tief einzuatmen. „Ein... und aus. Langsam."
Ich versuche, ihm zu folgen, mich an seinen Atem zu klammern wie an einen Anker. Es ist schwierig. Jeder Atemzug fühlt sich an, als müsste ich gegen ein unsichtbares Gewicht kämpfen. Doch langsam, sehr langsam, beginnt die Panik nachzulassen.
Die Welt um mich herum wird klarer. Ich spüre den Boden unter meinen Füßen, die Kühle der Luft auf meiner Haut. Ich bin wieder hier.
Als meine Atmung sich beruhigt, setze ich mich zurück auf das Bett und starre schweigend auf den Boden. Rivera lässt mich los und setzt sich neben mich. Ich spüre seine Nähe, aber sie fühlt sich nicht beruhigend an. Sie fühlt sich wie eine Erinnerung an alles an, was ich verloren habe.
„Es tut mir leid", flüstere ich schließlich, obwohl ich nicht weiß, ob ich mich bei ihm oder bei mir selbst entschuldige.
„Es muss dir nicht leid tun", antwortet Rivera sanft. „Ich weiß, dass ich... dass ich Dinge verkompliziert habe."
Ich will ihm sagen, dass er recht hat, dass alles, was zwischen uns passiert ist, mich innerlich zerreißt. Aber die Worte bleiben in meiner Kehle stecken. Ich bin zu müde, um zu streiten, zu müde, um zu kämpfen. Alles, was ich fühle, ist eine tiefe Erschöpfung, die sich in meinen Knochen festgesetzt hat.
„Warum bist du wirklich hier, Rivera?" frage ich leise. „Warum jetzt, nach all dieser Zeit?"
Er atmet tief ein und starrt in die Ferne, als suche er nach einer Antwort, die er nicht finden kann. „Es gibt Dinge, die du wissen musst, Izzy", sagt er schließlich. „Dinge, die mit deinem Bruder zu tun haben. Ich bin nicht nur wegen dir zurückgekommen. Es geht um... mehr als das."
Mein Herz setzt einen Schlag aus, als er meinen Bruder erwähnt. Die Wunde, die sein Tod hinterlassen hat, ist noch immer frisch, auch wenn ich versucht habe, sie zu vergraben. „Was meinst du damit?" Meine Stimme klingt schärfer, als ich beabsichtigt hatte. „Was weißt du über seinen Tod?"
Rivera sieht mich an, und in seinen Augen liegt eine Schwere, die mir Angst macht. „Es war kein Unfall, Izzy", sagt er leise. „Dein Bruder... er wurde in etwas hineingezogen, das größer war als er. Etwas Dunkles, Gefährliches."
Die Worte treffen mich wie ein Schlag. Ich hatte immer geahnt, dass es mehr hinter dem Tod meines Bruders gab, aber jetzt, da Rivera es ausspricht, fühlt es sich an, als würde der Boden unter meinen Füßen wegbrechen.
„Wer hat ihn getötet?" frage ich, meine Stimme bricht. „Wer war es?"
Rivera schüttelt den Kopf. „Ich weiß es nicht genau. Aber es waren Leute... mächtige Leute. Leute, die dafür sorgen wollten, dass er schweigt."
Ich spüre, wie die Wut in mir aufsteigt, heiß und unkontrollierbar. „Und du hast nichts gesagt? Du hast uns alle im Dunkeln gelassen?" Die Worte kommen lauter und schärfer heraus, als ich wollte.
„Ich konnte nicht", sagt Rivera. „Ich musste gehen, um euch zu schützen. Um dich zu schützen. Aber jetzt... jetzt kann ich nicht länger weglaufen."
Seine Worte verwirren mich nur noch mehr. Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll, ob ich ihm glauben kann. Aber in diesem Moment, als ich in seine Augen sehe, ist da etwas – eine Verzweiflung, die ich nur zu gut kenne. Ich will ihm glauben, ich will, dass es einen Grund für all das gibt, was passiert ist. Einen Grund, der das Chaos in meinem Kopf ordnet.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, beugt sich Rivera vor und küsst mich. Es ist ein sanfter, verzweifelter Kuss, voller unausgesprochener Worte und gebrochener Versprechen. Für einen Moment fühle ich nichts außer ihm – seine Wärme, seine Vertrautheit. Es ist, als wäre die Zeit für diesen kurzen Augenblick stehen geblieben.
Doch als wir uns voneinander lösen, spüre ich, wie die Realität wieder in mich hineinsickert. Die Verwirrung, die Wut, der Schmerz. Nichts davon ist verschwunden. Aber für diesen einen Moment war es egal. Rivera sieht mich an, seine Augen suchend, aber ich weiß, dass er die Antwort, die er sucht, nicht in mir finden wird.
„Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann", flüstere ich, meine Stimme kaum hörbar.
Er nickt langsam. „Ich verstehe. Aber ich werde alles tun, um es wieder gut zu machen."
Wir sitzen schweigend nebeneinander, und obwohl wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, fühle ich mich, als läge ein unüberwindbarer Abgrund zwischen uns. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll, aber eines ist sicher – die Schatten der Vergangenheit haben mich eingeholt, und ich kann ihnen nicht länger entkommen.
Ohne etwas zu sagen stehe ich auf und verschwinde aus meinem Zimmer.
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Black Rose: The Bloom |
RomanceSofia Martinez hat alles hinter sich gelassen, um an der Universität ein neues Leben zu beginnen. Doch als ein alter Bekannter plötzlich auftaucht, scheint ihre sorgfältig aufgebaute Tarnung zu bröckeln. Sie wird unerwartet mit ihrer düsteren Vergan...