Kapitel 27

12 1 1
                                    

____Dan's sicht____

Ich lehnte mich gegen den alten, rostigen Zaun des Friedhofs und ließ meinen Blick über die verwitterten Grabsteine schweifen. Der Himmel war düster, schwer wie Blei, als wollte er das kommende Unvermeidliche widerspiegeln. Bald würde die Beerdigung beginnen, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, mich zu bewegen. Die Kälte des Metalls drang durch meine Jacke, doch es war nicht die äußere Kälte, die mich lähmte. Es waren die Gedanken, die in meinem Kopf kreisten und mich festhielten.

Seit Tagen hatte ich gehofft, Izzy vor der Beerdigung zu sehen. Ich brauchte diese Begegnung. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, in ihre Nähe zu kommen, war Rivera dort. Immer war er da, immer stand er ihr bei, und es machte mich wahnsinnig. Ein unterschwelliger Zorn glühte in mir, brannte wie Feuer. Es war nicht bloß Eifersucht. Es war das Gefühl, machtlos zu sein – das Gefühl, dass sie sich immer weiter von mir entfernte und ich nichts dagegen tun konnte.

Ich holte tief Luft, versuchte die Frustration herunterzuschlucken, die sich in meinem Brustkorb ausbreitete. Seit Jahren war Izzy ein Teil meines Lebens, und ich hatte immer gehofft, dass wir irgendwann mehr als nur Freunde sein könnten. Aber jetzt? Jetzt schien alles anders. Ihr Bruder, die Geheimnisse, die sich in letzter Zeit häuften, und dann auch noch Rivera – er war wie ein Schatten, immer da, immer zu nah. Ich war kein Idiot. Ich konnte die Blicke sehen, die er ihr zuwarf, und das brachte mich an den Rand des Wahnsinns.

Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich langsam um. Da stand sie. Izzy. Ihr Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern, aber sie sah erschöpft aus. Ihre Augen hatten diesen müden Ausdruck, als hätte sie in den letzten Tagen kaum geschlafen. Trotzdem schaffte sie es, mir ein kleines, trauriges Lächeln zu schenken, als sich unsere Blicke trafen.

„Dan," sagte sie leise, während sie langsam auf mich zukam. Ihre Stimme klang rau, als hätte sie vor kurzem geweint.

„Izzy," erwiderte ich, meine Stimme kontrollierter, als ich mich in dem Moment fühlte. Doch sie musste meine innere Anspannung gespürt haben, denn sie blieb einen Augenblick zögernd stehen, bevor sie wieder einen Schritt auf mich zumachte.

Wir standen uns gegenüber, nur ein paar Schritte voneinander entfernt, doch die Distanz zwischen uns fühlte sich unendlich an. Es war, als würde uns etwas Unsichtbares auseinanderhalten – die Dinge, die ungesagt blieben, die Geheimnisse, die uns trennten.

„Ich... wollte dich sehen," sagte ich schließlich, aber die Worte klangen hohl. Sie erfassten nicht im Geringsten das, was ich wirklich sagen wollte. Ich wollte ihr so viel mehr sagen. Ich wollte sie fragen, was zum Teufel mit Rivera los war, wollte ihr klar machen, wie sehr es mich innerlich zerriss, sie immer weiter von mir abrücken zu sehen, selbst wenn sie nur einen Atemzug entfernt stand.

Izzy sah zu Boden, und als sie wieder aufsah, lagen so viele Emotionen in ihrem Blick, dass ich sie kaum lesen konnte. „Es tut mir leid, Dan. Ich weiß, ich war in letzter Zeit... abwesend. Aber es ist so viel passiert."

„Du musst dich nicht entschuldigen," murmelte ich. Doch tief in mir wünschte ich mir, dass sie es täte. Dass sie erkennen würde, wie sehr sie mich ignoriert hatte, dass sie vielleicht sogar zugeben würde, dass sie mich brauchte. Aber das war wohl zu viel verlangt.

Sie holte tief Luft, ihre Stimme zitterte, als sie weitersprach. „Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll... aber es geht um das Schließfach. Ich habe... etwas über meinen Vater erfahren. Er war... Delano."

Ich starrte sie ungläubig an. „Was?" fragte ich, noch immer versucht, die Bedeutung ihrer Worte zu erfassen.

„Ja," antwortete sie und zwang sich zu einem bitteren Lächeln. „Delano. Der Delano. Mein Vater." Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es selbst kaum glauben. „Rivera hat mir alles erzählt. Mein Bruder ... hat mein ganzes Leben lang versucht, mich von dieser Welt fernzuhalten. Aber jetzt, wo er tot ist, habe ich keine Wahl mehr."

Ein schwerer Knoten bildete sich in meinem Magen. Delano? Der Name war in der Unterwelt gefürchtet, beinahe eine Legende. Und jetzt erzählte Izzy mir, dass dieser Mann ihr Vater war? Ich konnte kaum begreifen, was sie durchmachte, aber ich sah die Last in ihren Augen. Trotz all meiner Frustration spürte ich den unaufhaltsamen Drang, sie zu beschützen – so wie ich es immer getan hatte.

„Izzy," sagte ich sanft und trat näher an sie heran. Ich legte meine Hände auf ihre Schultern und sah ihr in die Augen. „Es tut mir leid. Ich weiß, das muss für dich schwer sein. Aber du bist nicht allein. Ich bin hier. Ich werde immer hier sein."

Für einen Moment schien sie zu zögern, dann trat sie einen Schritt nach vorn und legte ihre Arme um mich.

Die plötzliche Nähe überraschte mich, und für einen kurzen Augenblick erstarrte ich. Aber dann entspannte ich mich, ließ meine Arme um sie gleiten und hielt sie fest. Sie zitterte leicht, und ich konnte spüren, wie sehr sie am Rand eines Zusammenbruchs stand.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll," flüsterte sie gegen meine Brust. „Alles um mich herum bricht zusammen, und ich habe keine Kontrolle."

Ich hielt sie noch fester und strich ihr sanft über den Rücken. „Du wirst einen Weg finden, Izzy. Du bist die stärkste Person, die ich kenne."

Ein schwaches Lachen entkam ihr, doch es klang mehr wie ein leises Schluchzen. „Das sagst du immer."

„Weil es wahr ist," sagte ich mit fester Stimme. „Du hast schon so viel durchgemacht und trotzdem stehst du hier und kämpfst weiter. Das zeigt, wie stark du bist."

Für einen Moment schien die Welt um uns herum stillzustehen. In dieser Umarmung fand ich ein wenig Frieden, und ich hoffte, dass sie denselben Trost spürte. Aber tief in mir wusste ich, dass das nicht genug war. So sehr ich sie in diesem Moment halten wollte, so sehr ich sie auch in mein Leben lassen wollte, verstand ich, dass sie mich jetzt nicht auf die Weise brauchte, wie ich es mir wünschte. Sie hatte ihre eigenen Kämpfe, und was sie jetzt brauchte, war ein Freund – kein Liebhaber.

Als sie sich schließlich von mir löste, sah sie mich an. Ihre Augen waren rot und geschwollen, aber da war auch etwas Neues in ihrem Blick – eine Entschlossenheit, die ich bewunderte. Sie war noch nicht bereit, aufzugeben. Und das gab auch mir Hoffnung.

„Danke, Dan," sagte sie leise und schenkte mir ein kleines, erschöpftes Lächeln. „Ich weiß das wirklich zu schätzen."

„Immer," erwiderte ich und zwang mich ebenfalls zu einem Lächeln, auch wenn es mich innerlich zerriss, sie so zu sehen. „Ich werde immer da sein, wenn du mich brauchst."

„Ich weiß." Sie atmete tief durch und nickte leicht. „Aber jetzt... jetzt muss ich einen Weg finden, damit umzugehen. Es gibt so viele Geheimnisse, die ans Licht kommen, und ich weiß nicht, wem ich wirklich vertrauen kann."

Ein weiterer Knoten bildete sich in meinem Magen, aber ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. „Du kannst mir vertrauen, Izzy," sagte ich leise. „Das weißt du, oder?"

Sie sah mich an, und ich hatte das Gefühl, dass sie mir etwas sagen wollte. Doch statt zu sprechen, nickte sie nur leicht. „Ja, ich weiß."

Das war alles, was sie sagte, bevor sie sich umdrehte und langsam wegging. Ich blieb stehen und sah ihr nach, bis sie in der Ferne verschwand. Dann atmete ich tief durch und vergrub meine Hände in den Taschen. Alles, was ich tun konnte, war zu warten – zu hoffen, dass Izzy irgendwann den Weg zu mir zurückfinden würde, wenn die Last der Welt nicht mehr so schwer auf ihren Schultern lag.

Black Rose: The Bloom |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt