Kapitel 21

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Ich sitze auf der kleinen Terrasse, die von Unkraut überwuchert und von der Zeit gezeichnet ist. Der Stuhl unter mir quietscht bei jeder Bewegung, als würde er unter meinem Gewicht ächzen, aber das ist mir egal. In meiner Hand glimmt eine Zigarette, der Rauch kräuselt sich in der kühlen Abendluft, während ich daran ziehe und den Rauch langsam ausblase. Es fühlt sich gut an, den Rauch in meinen Lungen zu spüren, auch wenn ich weiß, dass es nur eine Flucht ist – eine kleine Ablenkung von dem Sturm, der in mir tobt.

Die Nacht ist still, abgesehen von den entfernten Geräuschen der Stadt – hupende Autos, das gelegentliche Sirenengeheul, das Lachen und Schreien von Leuten, die durch die Straßen streifen. Hier draußen, auf dieser Terrasse, scheint die Welt stehen geblieben zu sein. Ein Moment der Ruhe inmitten des Chaos. Aber es ist eine trügerische Ruhe. Ich spüre, dass sich die Dinge ändern, dass sich etwas zusammenbraut, das uns alle mitreißen wird.

Ich ziehe noch einmal an der Zigarette, schließe die Augen und lasse den Rauch durch meine Nase entweichen.

Meine Gedanken schweifen ab, wandern zu den Erinnerungen, die ich so verzweifelt zu unterdrücken versuche – die gemeinsamen Nächte mit Rivera, die gestohlenen Augenblicke in diesem Haus, das sich jetzt so fremd anfühlt. Und natürlich mein Bruder. Immer wieder kehren meine Gedanken zu ihm zurück, wie ein Mantra, das ich nicht abschalten kann. Sein Tod hat ein Loch in mir hinterlassen, das ich nicht füllen kann. Zu viele unbeantwortete Fragen. Zu viele Dinge, die ungesagt blieben.

Die Tür hinter mir öffnet sich mit einem leisen Knarren, und ich höre Schritte, die sich mir nähern. Für einen Moment denke ich, es könnte Rivera sein, aber die Schritte sind zu schwer, zu fest. Als ich meinen Kopf drehe, sehe ich, wie jemand aus dem Halbdunkel der Türschwelle tritt.

„Izzy?" Die Stimme ist tief, vertraut, aber sie reißt mich trotzdem aus meinen Gedanken.

Es ist Pablo, ein altes Mitglied unserer Gang. Sein Gesicht ist vom Wetter gegerbt, und er hat immer diesen schiefen Grinser auf den Lippen, als ob er ständig über irgendetwas Witziges nachdenkt, das er nicht mit uns teilt.

Ich schaffe ein schwaches Lächeln und nicke ihm zu. „Pablo", sage ich, während ich die Zigarette ausdrücke. „Lange nicht gesehen."

Er schlendert zu mir herüber und setzt sich auf den Stuhl neben mir, seine massigen Arme ruhen lässig auf den Lehnen. Er mustert mich kurz, bevor er ein Lachen ausstößt. „Scheiße, Izzy, ich hätte nie gedacht, dass ich dich hier wiedersehe."

„Tja, Überraschungen gibt's immer wieder", erwidere ich trocken und lehne mich zurück. Obwohl ich ihn lange nicht gesehen habe, beruhigt mich seine Anwesenheit irgendwie. Pablo war immer einer von denen, die man in der Nähe haben wollte, wenn es brenzlig wurde. Ein Mann, der sich auf den ersten Blick wie ein unbeschwertes Großmaul gibt, aber unter der Oberfläche ein unerschütterliches Vertrauen ausstrahlt.

„Weißt du", beginnt er und zieht eine eigene Zigarette heraus, „du hast hier einiges verpasst." Er zündet sie an, sein Blick dabei nachdenklich. „Die Stadt ist nicht mehr das, was sie mal war. Und deine Rückkehr hat für ordentlich Wirbel gesorgt."

Ich sehe ihn an und spüre, wie mein Magen sich zusammenzieht. „Was meinst du damit?"

Pablo bläst den Rauch langsam in die Nachtluft, als würde er überlegen, wie er es am besten formulieren soll. „Seit dein Bruder weg ist..." Er hält inne, seine Stirn runzelt sich leicht. „Die Dinge sind hier außer Kontrolle geraten. Du weißt schon, die Machtverhältnisse, die Deals. Es gibt Leute, die sich daran gewöhnt haben, dass es kein starkes Oberhaupt mehr gibt. Ein paar Idioten dachten, sie könnten sich alles unter den Nagel reißen."

„Das hab ich mitbekommen", sage ich knapp und starre auf meine Hände. „Dan hat mich gewarnt."

„Dan? Ja, er hat die Stellung gehalten", sagt Pablo, und für einen Moment schleicht sich ein Ausdruck von Respekt in seine Stimme. „Aber... Rivera ist wieder aufgetaucht, oder?"

Der Name trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich nicke, vermeide aber Pablos Blick.

„Das hat alle aufgeschreckt", fährt er fort, als hätte ich nichts gesagt. „Vor allem die Leute, die sich sicher wähnten, dass er nicht mehr zurückkommt. Rivera war immer... na ja, er war ein schwer einzuschätzender Bastard. Die einen haben ihn geliebt, die anderen... nun ja, du kennst die Geschichten."

Ich beiße mir auf die Lippe und nicke wieder, während die Erinnerungen an Rivera erneut in mir aufsteigen. Ich versuche, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, aber es ist schwer, die Gedanken an ihn beiseitezuschieben.

„Aber es geht nicht nur um Rivera", sagt Pablo plötzlich und seine Stimme wird ernst. „Es geht auch um deinen Bruder."

Das lässt mich aufhorchen. „Was meinst du?"

Pablo lehnt sich zurück, seine Augen fixieren einen Punkt in der Ferne. „Es gibt Gerüchte. Alte Gerüchte. Geschichten, die die Runde machen. Die sagen, dass dein Bruder... dass sein Tod kein Unfall war."

Mein Herz setzt einen Schlag aus, als er das sagt. Rivera hatte es erwähnt, aber es aus Pablos Mund zu hören, macht es plötzlich so real, so greifbar. „Was... was hast du gehört?"

Er schweigt einen Moment und zieht noch einmal an seiner Zigarette, bevor er weiterspricht. „Dein Bruder hatte mächtige Feinde, Izzy. Leute, die nicht wollten, dass er lebt. Und Leute, die sicherstellen wollten, dass er... na ja, zum Schweigen gebracht wird."

Ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt, während ich versuche, die Bedeutung seiner Worte zu begreifen. „Wer?" Meine Stimme klingt brüchig, als hätte sie sich auf dem Weg nach draußen überschlagen.

Pablo sieht mich an, seine Augen voller Mitgefühl, aber auch Vorsicht. „Ich weiß es nicht genau", gibt er zu. „Aber es sind dieselben Leute, die jetzt das Sagen haben wollen. Die die Kontrolle über San Almenda übernehmen wollen. Und sie sind gefährlich, Izzy. Sehr gefährlich."

Mein Herz rast, während ich versuche, die Informationen zu verarbeiten. Dass mein Bruder Feinde hatte, wusste ich – aber dass sie möglicherweise für seinen Tod verantwortlich sind, macht die ganze Sache noch schlimmer. Plötzlich fühlt es sich an, als wäre alles, was ich über die Vergangenheit dachte zu wissen, eine Lüge.

„Izzy, du musst vorsichtig sein", sagt Pablo leise und seine Stimme klingt fast eindringlich. „Du bist wieder da, und die Leute werden genau hinschauen. Du bist nicht mehr das Mädchen von damals. Du bist ein Symbol. Und Symbole... werden oft zum Ziel."

Ich schaudere unwillkürlich, während seine Worte in mir nachhallen. Ein Teil von mir will es nicht glauben, will sich weigern, die Wahrheit zu akzeptieren. Aber ein anderer Teil weiß, dass ich mich der Realität stellen muss. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Kein Entkommen vor dem, was kommt.

„Danke, Pablo", sage ich schließlich und meine Stimme ist ruhiger, als ich es erwartet habe. „Ich werde auf mich aufpassen."

Er nickt und legt eine Hand auf meine Schulter. „Du weißt, dass wir hinter dir stehen, oder? Die meisten von uns jedenfalls. Es gibt immer welche, die sich in die falsche Richtung schlagen, aber du bist nicht allein."

Seine Worte spenden mir ein wenig Trost, auch wenn ich weiß, dass der Weg, der vor mir liegt, voller Gefahren ist. „Danke", flüstere ich und drücke leicht seine Hand. „Das bedeutet mir viel."

Er lächelt kurz, dann drückt er seine Zigarette aus und steht auf. „Gut, dann pass auf dich auf, Izzy. Wenn du mich brauchst, weißt du, wo du mich findest."

„Ja, weiß ich", sage ich und sehe ihm nach, als er zurück ins Haus geht. Die Tür schließt sich hinter ihm, und ich bin wieder allein auf der Terrasse.

Ich zünde mir noch eine Zigarette an und lasse den Rauch tief in meine Lungen strömen. Meine Gedanken rasen, und ich weiß, dass die nächsten Tage entscheidend sein werden. Es gibt so viel, was ich noch nicht weiß. So viele Fragen, die unbeantwortet bleiben. Aber eines ist klar: Ich muss herausfinden, was wirklich mit meinem Bruder passiert ist. Und ich muss stark genug sein, um mich der Wahrheit zu stellen – egal, wie dunkel sie sein mag.

Der Rauch der Zigarette mischt sich mit der kühlen Nachtluft, und ich starre in den Himmel, der jetzt klar und voller Sterne ist. Eine seltsame Ruhe legt sich über mich, aber ich weiß, dass es die Ruhe vor dem Sturm ist. Es gibt keinen Weg zurück mehr

– nur den Weg nach vorn.

Black Rose: The Bloom |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt