Kapitel 19

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Es war, als gäbe es mehr als einen Finley.

Da war der Finley, der immer mit einem spöttischen Unterton sprach und auf dessen Lippen immer ein spöttisches Lächeln lag. Der vor Selbstbewusstsein strotzte, dem es egal zu sein schien, was andere über ihn dachten. Der Finley, der mich provozierte, sich über mich lustig machte.

Ein anderer Finley war zum Vorschein gekommen, als ich ihn auf dem Piratenschiff zur Rede gestellt hatte. Ein Finley, der zu seinen Fehlern stand und versucht war, sie wieder gutzumachen. Dieser Finley hatte sich heute Abend neben mich gesetzt, mir Gesellschaft geleistet und mir Kekse und Schokolade gebracht.

Es gab den Finley, der mich einfach nur intensiv ansah und damit Dinge in meinem Körper auslöste, die ich nicht kannte. Der sagte, dass er mich verstand und sich auch manchmal unsichtbar fühlte.

Dann war da noch der Finley, von dem Brianna mir erzählt hatte. Der sie verletzt hatte, mit Worten und Taten, die mir im einzelnen nicht bekannt waren.

Doch der Finley, der nun neben mir her ging, dorthin, wo die Bäume dicht beieinander standen, der war in meinen Augen das größte aller Fragezeichen. Er hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, die Lippen zu einer geraden Linie zusammen gepresst und richtete seinen grimmigen Blick auf den Boden unter seinen Füßen. Wer bist du, wollte ich ihn fragen, wer bist du wirklich?

Dass ich ausgerechnet diesem Finley ohne jegliches Misstrauen in Richtung Waldrand folgte, war vermutlich nicht die klügste Entscheidung. Als wir die ersten Bäume erreichten und das ohnehin spärliche Mondlicht nur noch vereinzelt durch die Äste drang, wurde ich doch etwas nervös.

„Was möchtest du mir denn zeigen?", fragte ich und hoffte, dass Finley mir meine Nervosität nicht allzu deutlich anhörte. „Und vor allem wo?"

„Ist nicht mehr weit", murmelte er, was mir nicht gerade ein besseres Gefühl gab. Denn von den zwei Fragen, die ich gestellt hatte, beantwortete er damit keine einzige. Trotzdem lief ich weiter neben ihm her, weil ich anscheinend von allen guten Geistern verlassen war. Eine andere Erklärung fiel mir beim besten Willen nicht ein.

Finley blieb so plötzlich stehen, dass ich zunächst ein paar Schritte ohne ihn weiter lief. Sobald ich meinen Fehler bemerkt, drehte ich mich zu ihm um. Ich konnte nur noch seine Umrisse erkennen, so dunkel war es hier. Die Musik und das Lachen der anderen waren einer fast schon gespenstischen Stille gewichen.

Ich wusste im Prinzip nichts über diesen Kerl, außer seinem Namen, seinem ungefähren Wohnort und der Tatsache, dass meine beste Freundin, der ich mein Leben anvertrauen würde, ihn nicht mochte. Wenn er jetzt seine Axt rausholte, durfte mich das eigentlich nicht überraschen. Ich mochte keine Horrorfilme, und das Gefühl, mich mitten in einem zu befinden, mochte ich noch weniger, wie ich in diesem Augenblick registrierte.

Vermutlich waren nur wenige Sekunden verstrichen, während ich mir verschiedene Szenarien ausmalte, wie mein Leben enden könnte. Finley bewegte sich und ich erkannte, dass er sich umdrehte und dann... dann stieg er langsam in die Luft.

Moment. Was?

Er konnte mir nichts in Glas geschüttet haben, weil ich nichts getrunken hatte, aber die Kekse... die Schokolade... Panik wallte in mir auf und drohte mich zu erdrücken. Doch dann hörte ich ein leises Geräusch, das mir irgendwie bekannt vorkam. Es erinnerte mich an früher. An Spielplätze und Kletterparks. Und nun erkannte ich auch, dass Finley nicht schwebte, dazu bewegte er sich zu stockend. Nein, er kletterte eine Leiter hinauf, die durch seine Bewegungen leicht vor und zurück schwang. Die Erkenntnis, dass ich nicht halluzinierte, erleichterte mich so sehr, dass ich fast laut aufgelacht hätte.

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