Kapitel 36

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Es war allein der herausragenden Qualität des Essens zu verdanken, dass dieses Frühstück nicht auf dem ersten Platz der schlimmsten Mahlzeiten meines Lebens landete. Aber unter die Top 5 kam es definitiv. Jasper und Finn ignorierten sich weitestgehend und sprachen – wenn überhaupt – nur mit mir. Sobald wir alle gesättigt waren, rannte ich mit den Tellern förmlich in die Küche.

Irgendjemand folgte mir, ich hörte die Schritte, als ich an der Spüle stand. Anstatt mich umzudrehen, wartete ich, bis die Person neben mich trat und den Rest des Geschirrs abstellte. Selbst aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass es Finn war. Obwohl ich mir insgeheim gewünscht hatte, dass es seine Schritte waren, die sich mir von hinten näherten, traute ich mir selbst in seiner Anwesenheit nicht, weshalb ich mir nun beinahe wünschte, Jasper würde auch noch in die Küche kommen. Aber es sah nicht danach aus.

Reden. Ich musste reden. Denn wenn ich redete, waren meine Gedanken nicht mehr nur noch darauf fokussiert, wie sehr ich mich nach Finns Berührungen sehnte. „Habe ich mich gestern eigentlich verhört?", fragte ich und begann, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen.

„Wann genau?" Eine berechtigte Frage, immerhin hatten wir über sehr viele verschiedene Dinge gesprochen.

„Ich meine gehört zu haben wie du gesagt hast, dass Jasper die wichtigste Person in deinem Leben ist."

Unsere Blicke trafen sich über den geöffneten Geschirrspüler hinweg. Finns Adamsapfel bewegte sich als er schluckte.

„Du hast dich nicht verhört."

„Aber ich sprecht nicht miteinander", teilte ich meine Beobachtung mit ihm.

Finn wandte den Blick ab und musterte das Glas, das er gerade in der Hand hielt. „Ich habe dir auch gesagt, dass es kompliziert ist."

Ich schnaubte. „Stimmt. Alles ist kompliziert." So langsam konnte ich das Wort wirklich nicht mehr hören.

„Bist du sauer?" Er schaute mich wieder an, die Stirn in Falten gelegt.

War ich sauer? Hatte ich überhaupt einen Grund, sauer zu sein? Eigentlich nicht. Schon gar nicht auf Finn. Er war nur hier, weil ich ihn eingeladen hatte und konnte nicht dafür, dass sein Bruder ebenfalls anwesend war. Ich klappte die Tür der Spülmaschine hoch und lehnte mich gegen die Arbeitsplatte.

„Nein, ich bin nicht sauer", antwortete ich ihm. „Für mich sind Situationen, in denen die ganze Konversation an mir hängt, nervlich sehr anstrengend. Außerdem komme ich nicht gut damit klar, wenn sich Menschen um mich herum nicht vertragen. Deshalb bin ich gerade etwas angespannt."

Finn lehnte sich neben mir gegen die nun geschlossene Spülmaschine. „Sind deine Eltern getrennt?"

Irritiert sah ich zu ihm hinüber. „Was? Wie kommst du denn jetzt darauf?"

„Naja, das würde dein Bedürfnis nach Harmonie erklären. Kinder, die mit sich streitenden Eltern aufwachsen, haben damit meist ein Leben lang zu kämpfen."

Ich runzelte die Stirn. „Du sagst das so, als hättest du damit Erfahrung. Aber deine Eltern sich doch noch verheiratet."

„Das schließt nicht aus, dass sie sich streiten", sagte Finn zurecht. „Aber nein, ich habe damit zum Glück keine Erfahrung gemacht. Meine Eltern streiten sich nur hinter geschlossenen Türen, alles andere wäre schlecht für's Image. Mein Mitbewohner hat die volle Ladung abbekommen. Seine ganze Kindheit über haben seine Eltern sich angeschrien und niedergemacht, und ihre Ehe erst für gescheitert erklärt, als er ausgezogen war."

Mitbewohner. Hätte der das nicht direkt deutlich machen können, als er erwähnt hatte, dass er nicht allein wohnte? Das hätte mir die peinliche Episode mit seiner vermeintlichen Freundin erspart.

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