Kapitel 55

60 8 1
                                    

Ich wollte wieder von hier verschwinden, noch bevor ich aus dem Auto ausgestiegen war. Zu sagen, dass Brianna und ich uns ausgesprochen hatten, wäre schlichtweg eine Übertreibung. Ja, sie hatte sich dafür entschuldigt, ihre Aufmerksamkeit am Vorabend wieder einmal fast ausschließlich Felix geschenkt zu haben, allerdings war das nicht die Entschuldigung, die ich mir wünschte. Natürlich war es absolut daneben, dass sie mich ständig links liegen ließ, aber viel mehr störte mich ihre Annahme, sie hätte irgendein Recht, mir vorzuschreiben, mit wem ich Zeit verbrachte. Doch diese Diskussion würde kein Ende finden, mit dem wir beide zufrieden waren, weshalb ich sie gar nicht erst begonnen hatte. Stattdessen hatte ich Brianna ausgeredet, dass sie diese Nacht mit mir verbrachte. Es wäre nur ein weiteres Versprechen, das sie nicht einhielt, eine weitere Enttäuschung, auf die ich gerne verzichtete. Davon abgesehen hielt sich meine Lust, Zeit mir ihr zu verbringen, aktuell stark in Grenzen. Langsam aber sicher begann ich zu bereuen, sie nach Morson Hills begleitet zu haben. War es möglich, dass manche Freundschaft nur in bestimmten Umgebungen funktionierten? Das hier war Briannas Welt und ich gehörte hier nicht hin, das war eindeutig. Aber jetzt abzureisen und unsere Freundschaft damit womöglich vor einem richtigen Bruch zu bewahren, war keine Option, die ich in Betracht ziehen wollte. Und der Grund dafür lehnte an der Wand neben dem Eingang der Schule, als Brianna und ich aus dem Auto stiegen.

Obwohl sie ihn garantiert gesehen hatte, schenkte Brianna Finn keinerlei Beachtung sondern ging geradewegs an ihm vorbei. Erst als ich demonstrativ vor der Tür stehen blieb, war auch sie gezwungen, inne zu halten. Wir lieferten uns ein stummes Blickduell, das ich schließlich gewann. Brianna verdrehte sichtlich genervt die Augen und setzte ihren Weg ins Schulgebäude fort. Ich schaute ihr unglücklich hinterher, bevor ich mich zu Finn umdrehte und mit aller Macht versuchte, meine Sorgen, was die Freundschaft mit Brianna betraf, vorerst auszublenden.

Er breitete seine Arme aus und ich ließ mich regelrecht gegen ihn fallen. „Alles gut?", fragte er und musterte mich mit besorgter Miene.

„Nein, aber ich möchte jetzt nicht darüber reden", entgegnete ich. „Ist das okay?"

„Klar. Solltest du deine Meinung ändern, sag Bescheid."

Ich nickte. „Mach ich."

Finn gab mir einen raschen Kuss und fragte dann: „Bereit, dir einen Schlafplatz zu suchen?"

Ich blickte über meine Schulter in Richtung des Eingangs, durch den Brianna eben verschwunden war. Ja, eine Übernachtungsparty in einer Schule war ein einmaliges Erlebnis und mit Sicherheit hatten Jasper und seine Freunde mal wieder ein beeindruckendes Event geplant und organisiert. Leider war ich weder in Feierlaune, noch legte ich besonders viel Wert auf die Gesellschaft irgendeiner anwesenden Person, abgesehen von Finn.

„Gibt es hier auch irgendeinen Turm, auf dem wir uns verstecken können?", fragte ich mit einem gezwungenen Lächeln, in Anspielung auf unseren Abend in der Burgruine. Der Abend, der alles verändert hatte.

„Einen Turm vermutlich nicht, aber wir könnten uns irgendeine Besenkammer suchen", sagte Finn, dessen Vorfreude sich auch in Grenzen zu halten schien, wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deutete.

„Eine Nacht in einer Besenkammer? Klingt romantisch", murmelte ich, woraufhin Finn grinste. „Oder", sagte er, „wir fahren zu mir."

„Zu dir?" Meine Neugier war geweckt.

Finn zuckte mit den Schultern. „Jasper ist hier, meine Eltern sind nicht da, wir hätten das Haus also für uns alleine."

„Von all euren Bediensteten abgesehen, meinst du."

Er verzog das Gesicht zu einer unglücklichen Grimasse. „Ich bin damit aufgewachsen und trotzdem werde ich mich niemals daran gewöhnen. Welche Privatperson braucht denn bitte einen Koch? Das ist so absurd. Aber wenn ich Gabriel sage, dass ich mir mein Essen selber zubereiten kann, ist er regelrecht beleidigt. Und eine Haushälterin, die nicht nur sauber macht und sich um die Wäsche kümmert, sondern auch Gästen die Tür öffnet? Warum kann man das nicht selber machen?"

Trust FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt