Kapitel 1

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Ein Blick auf meine Uhr ließ mich aufstöhnen. Wir waren erst vor einer halben Stunde hier angekommen und schon jetzt wünschte ich mir nichts mehr, als diesen Ort wieder verlassen zu können. Brianna hatte ich natürlich schon aus den Augen verloren, was nicht gerade dazu beitrug, dass ich mich hier wohler fühlte. Obwohl sie mir versprochen hatte, mich nicht zwischen all den fremden Menschen alleine zu lassen, konnte ich ihr nicht einmal böse sein, dass sie es doch getan hatte. Meine beste Freundin war in vielerlei Hinsicht mein Gegenpol. Als wir uns vor fast drei Jahren zum ersten Mal begegnet waren, hätte ich niemals gedacht, dass dieser selbstbewusste, laute, extrovertierte Wirbelwind zu meiner besten Freundin werden würde und nun konnte ich mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Schlimm genug, dass wir nach diesem Sommer in unser letztes gemeinsames Jahr am College starten würden. Ich wusste nicht, wie ich in der echten Welt ohne sie überleben sollte und das meinte ich - leider - wirklich ernst. Während Brianna das Paradebeispiel für einen extrovertierten Menschen war, verkörperte ich all das, was einem in den Sinn kam, wenn man an das Wort introvertiert dachte. In großen Gruppen ging ich meistens unter, meine Abende verbrachte ich lieber mit einem guten Buch in meinem Zimmer als auf einer der unzähligen Partys, die jedes Wochenende auf dem Campus stattfanden, und wenn ich doch einmal etwas mit anderen Leuten unternahm, brauchte ich im Anschluss einige Stunden für mich selbst, um wieder Energie zu schöpfen. Es war nicht so, als würde ich Menschen grundsätzlich nicht mögen. Ich hatte tolle Freunde, mit denen ich gerne Zeit verbrachte und ich hatte auch nichts dagegen, neue Leute kennenzulernen. Das Problem war nur, dass ich verdammt schlecht darin war. Anscheinend strahlte ich, im Gegensatz zu Brianna, nichts aus, was Menschen dazu verleitete, mich anzusprechen. Die wenigen Male, in denen ich versuchte hatte, die Initiative zu ergreifen und andere Menschen anzusprechen, war das immer in die Hose gegangen. Aus Angst mich zu blamieren, dachte ich über jedes Wort dreimal nach, bevor ich es aussprach, was oft zu unangenehmen Momenten der Stille führte, die meine Nervosität wiederum ins Unermessliche steigerten. Niemand, der in den Genuss gekommen war, Smalltalk mit mir zu führen, hatte jemals versucht, ein weiteres Gespräch mit mir zu führen. Ich wusste, dass ich nicht langweilig war, aber ich brauchte nun einmal Zeit, bis ich genug Vertrauen zu Menschen fasste und ich selbst sein konnte.

Kurz gesagt: jetzt gerade befand ich mich in meiner persönlichen Hölle.

Ich war alleine inmitten von Menschen, die ich nicht kannte, auf einer Party, in einer fremden Umgebung. Die Musik war laut, die Menschen waren betrunken und alles in diesem Haus wirkte, als könnte es auch in einem Museum stehen, weshalb mich eine gewisse Angst verfolgte, irgendetwas kaputt zu machen und damit unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.

Aber in einer guten Freundschaft musste man seine eigenen Bedürfnisse manchmal hinten an stellen. Als Brianna vor einigen Wochen vorgeschlagen hatte, dass ich sie in den Sommerferien in ihrem Heimatort begleitete, hatte meine Begeisterung sich zunächst in Grenzen gehalten. Doch je mehr ich darüber nachgedacht hatte, desto verlockender war die Vorstellung geworden, den Sommer mit meiner besten Freundin zu verbringen, am Pool ihrer Eltern zu entspannen und endlich die Erdbeertörtchen zu probieren, von denen Brianna mir seit drei Jahren vorschwärmte.

Ich war ganz bestimmt nicht in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, aber Briannas Familie war reich. Richtig reich. Das Haus ihrer Eltern war riesig, tadellos gepflegt und umgeben von einem atemberaubenden Garten, der eher einem Park ähnelte. Dennoch war Brianna einer der bodenständigsten Menschen, die ich kannte. Selbstlos, hilfsbereit und zuverlässig. Sie ruhte sich nicht auf dem Geld ihrer Eltern aus, sie war zielstrebig und fleißig, wofür sie in den letzten Jahren immer wieder mit sehr guten Noten belohnt worden war. Und über all dem war sie eine verdammt gute Freundin. Deshalb hatte ich auch nur kurz gezögert, als sie mich gefragt hatte, ob ich sie zu dieser Party begleiten würde. Wir waren erst seit zwei Tagen in Morson Hills und bisher hatte ich abgesehen von ihren Eltern noch niemanden aus ihrem Umfeld kennengelernt. Natürlich konnte ich nachvollziehen, dass sie ihre Freunde wiedersehen wollte. Anscheinend veranstaltete ihr Cousin jedes Jahr zum Sommerbeginn eine Party, zu der - wenn ich mich hier so umschaute - jeder eingeladen war, der im Umkreis von zwanzig Kilometern wohnte.

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