Kapitel 23

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Kapitel 23

Das Gegenwärtige

Cora saß in ihrem Bett und beobachtete den jungen Pfleger dabei, wie er ein Tablett mit dem schlechten Krankenhausessen auf ihren kleinen Tisch stellte. Noch während er dieser Tätigkeit nachkam, wendete er sein Augenmerk auf Golds schlafende Gestalt und redete auf ihn ein.

„Hey, du kannst nach dem Essen schlafen. Würde dir ohnehin nicht schaden, etwas mehr auf den Rippen zu haben." Er platzierte eine Tasse und eine kleine Kanne Tee neben Coras Essen und bemerkte kaum, dass die Frau mit den kastanienbraunen Haaren, ihn mit tiefer Befriedigung beobachtete. Mit einem hauchzarten Lächeln auf den blassen Lippen, gab sie falsches Mitgefühl preis.

„Stell sein Essen einfach hin. Er braucht Schlaf mehr als Essen. Sein alter Rücken macht ihm Probleme. Randall hat ihm was gegeben.", log sie den jungen Mann mit den blonden Haaren an. Im Schein des Neonlichtes, konnte er seine Jugend nicht verstecken und seine Jugend war genau das, worauf die einstige Herzkönigin vertraute.

Ihre Worte fanden Gehör bei dem anderen Mann. Er ließ Rumpelstilzchen in Ruhe und belud den kleinen Tisch mit dem Abendessen des Dunklen.

Coras Augen hafteten weiterhin auf den Pfleger, der seine Arbeit lustlos nachkam. Sie füllte die Tasse mit Tee und schüttete in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet fühlte, ein helles Pulver in die Tasse. Gemächlich, als habe sie alle Zeit der Welt, rührte sie mit dem Löffel in der warmen Flüssigkeit und genoss die Genugtuung, die sich in ihren Verstand fraß und sich in diesem festkrallte. Bereits am Nachmittag hatte sie den Dunklen ruhig gestellt. Hatte einen Teil ihres Pillenvorrats zerbröselt und in Wasser aufgelöst, ehe sie das Gemisch in die benutzte Spritze packte, die sie vom Medikamentenwagen stibitzt hatte. Es war eine Frage von Sekunden bis sie die Spritze in sein altes, sehniges Fleisch gerammt hatte und ihn mit dem Medikamentengemisch außer Gefecht gesetzt hatte. Auf diesen Augenblick hatte sie lange hingearbeitet. Hatte sich verrückter gestellt, als sie war, um ihnen allen weiszumachen, dass sie mit dem Gewinn ihres Herzens, ihr kaltes Kalkül verloren hätte. Sie hatte sie getäuscht und ihnen das Gefühl der Gefahr genommen, die noch immer von ihr ausging. Für den schwarzen Mann war sie nichts weiter als eine alternde, verrückte Frau, die mehr und mehr ihren Verstand einbüßte.

Sie hatte die Zeit in dieser Gefangenschaft genutzt, um ihre Kerkermeister zu beobachten, um ihr Verhalten zu studieren und war nicht im Geringsten überrascht, dass sie schon bald ein Muster entdecken konnte. Viel wusste sie nicht über ihren Gegner, wusste nur ein paar Fabeln und Legenden, ein paar Kindergeschichten, über den schwarzen Mann, der sich die Kinder holte,wenn sie nicht Acht gaben, aber ihre Gefangenschaft, hatte ihr ein Bild vermittelt, von dessen Erkenntnis sie sich bedienen konnte. Irgendwo in seinem Innern, steckte ein Teil, der dem einer Kinderseele gleichkam. Der Teil eines Kindes, das sich wohlfühlte, wenn alles seinen gewohnten Ablauf nahm.

Die einstige Herzkönigin wusste, wann welcher Pfleger zu ihnen kam, wusste, wer dafür zuständig war, die Betten neu zu beziehen oder ihren Waschgang zu beaufsichtigen. Wusste, wer von den Drein, nicht nur der Schmächtigste, sondern auch der Ungeduldigste war. Manchmal versuchte ihr Verstand zu ergründen, warum Randall Mitwisser zuließ, warum er sich nicht allein um seine beiden Gefangenen kümmerte, doch genauso schnell wie dieser Gedanke auftauchte, verschwand er auch wieder.

„Der Tee schmeckt nicht!", machte sie trotzig wie ein Kind, als der Pfleger zur Tür schritt. Sie konnte sein Seufzen nicht hören, doch sie konnte das Fallen seiner Schultern sehen und freute sich diebisch über diese Reaktion.

„Du trinkst den jeden Abend. Ich hab sogar dafür gesorgt, dass man dir Kamillentee bringt und keinen Früchtetee. Also trink die Plörre!"

Cora verschränkte ihre Arme vor die Brust und funkelte den Mann mit kalten Augen an.

UnvollkommenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt