Kapitel 4

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Kapitel 04

Das Gegenwärtige

Er lag in dem Bett, seinen schmächtigen Körper in einer dünnen Decke gehüllt und starrte an die Decke. Das grelle Neonlicht flutete aus den Röhren direkt über seinem Bett und verwandelte das Zimmer in einen sterilen Käfig. Seufzend wandte er seinen Blick zur Seite und schaute auf das andere Bett. Nur ein kurzes Stück, ein kleiner Durchgang, trennte ihn von ihr, doch es waren Welten. Seine dunklen Augen hafteten sich auf ihren Körper, der unter einer Decke verborgen war. Die vertraute Gestalt zeichnete sich unter dem Stück Stoff ab. Die Wölbung ihrer Brust bewegte sich gleichmäßig auf und ab, zeugte von den Welten, die sie in diesem Moment getrennt waren.

Mr. Gold seufzte leise, ließ seinen Blick weiter über die Frau gleiten und fand sein Ziel an ihrem Kopf. Das kastanienfarbende Haar umrahmte in wirren Locken ihre blasses Gesicht. Die vollen Lippen, sonst perfekt geschminkt, wirkten blutleer, beinahe leblos. Abermals seufzte der Mann und wandte seinen Blick wieder ab, um ihn erneut an die Decke zu richten. Sein Zeitgefühl verriet ihm, dass auch auf ihn der Schlaf wartete, wenn auch forciert.
Ein knappes Klopfen erklang an der Tür, drang durch das Zimmer mit den zugezogenen Vorhängen und gleich darauf betrat ein weiterer Mann den Raum. Das Grün seiner Kleidung schluckte das Neonlicht. Lächelnd entblößte er eine Reihe strahlend weißer Zähne, während er die Patienten freundlich begrüßte.

„Ich wünsche meinen Lieblingsgästen einen guten Abend“, erklang die tiefe Stimme des Pflegers. Mit eben diesem Lächeln schob er den kleinen Wagen hinein und begann eineSpritze aus der Schublade herauszuholen und zu entpacken. Dabei richtete er weiterhin das Wort an die beiden, ungeachtet dessen, dass die Frau zu schlafen schien.

„Ihr habt euer Essen heute unberührt zurückgehen lassen. Mal schauen, ob ich für morgen etwas besseres bekomme...der Fraß hier ist wirklich niemandem zuzumuten.

„Ist es schon wieder Zeit“, bemerkte Mr. Gold resigniert, ohne auf die Worte des Pflegers einzugehen. Er schaute dem Mann ins Gesicht. Die Haut war dunkel wie Schokolade. Sein kahlgeschorener Kopf, reflektierte das kalte Licht der Kunststoffröhren.

„Ja und wie ich sehe, komme ich gerade richtig“

Das Weiß seiner Zähne standen im Kontrast zu dem Dunkel seiner Lippen, als der Pfleger ein weiteres, fast schon freundliches Lächeln zur Schau stellte. Er griff nach einer Phiole und steckte die Spitze der Spritze in den Behälter, um sie zu füllen.

Rumpelstilzchen verlor sich in dem Anblick und verstand die Worte des Mannes. Die gnädige Ohnmacht, die Trägheit, die sich seines Verstandes bemächtigte, ließ nach und schaffte Raum für den Schmerz und die unruhigen Gedanken, die ihn quälten. Er wusste, dass er bei Bewusstsein bleiben sollte, wusste, dass er seinen Verstand gebrauchen, ja sogar versuchen sollte zu schärfen, doch er war des Kämpfens müde.

Als er hier erwacht war, hatte er nur den Bruchteil einer Sekunde gebraucht, um zu wissen, was von statten ging. Seine Erinnerungen waren lebendig und intakt. Er hatte sich gewehrt, hatte dagegen angekämpft hier gefangen zu sein, doch schon nach seinem ersten Ausbruch, seinem ersten Tobsuchtsanfall kam Randall und hatte nicht nur ihn, sondern auch seine Bettnachbarin ruhig gestellt. Die Watte in seinem Kopf entpuppte sich als Segen, doch wenn die Flamme seines Bewusstseins neu entfachte, so war das gnädige Gefühl der Watte, jedes Mal mehr verhasst.

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