Kapitel 48

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Ich hab es selbst nicht mehr für möglich gehalten, aber es geht doch noch weiter. Rechtzeitig zur Weihnachtszeit gibt es ein neues Kapitel. Ich hoffe es gefällt =)

Kapitel 48

Sonnenlicht brach sich in den Fensterscheiben und malte tanzende Schatten auf Wände und Boden. Regina saß an ihrem Schminktisch und verlor sich im Anblick ihres Spiegelbild. Ihre Gedanken nahmen sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Sie sah sich selbst als junge Frau, fast noch ein Mädchen, mit verweinten Augen und viel zu roten Lippen. Der Gedanke an ihre erste Hochzeit versuchte, gleich einem Samen in fruchtbarerer Erde, zu sprießen, doch bevor Regina der Vergangenheit mehr Raum geben konnte, lockte sie eine vertraute Stimme zurück ins Hier und Jetzt zurück. Die einstige verängstigte und unwillige Braut verblasste vor ihrem inneren Auge und verwandelte sich in die Braut, die es kaum erwarten konnte, endlich vor den Traualtar zu treten.

„Hey Schätzchen, du hast heute keinen Grund zur Traurigkeit.", erklang es liebevoll aus Baileys Lippen, doch nicht ohne einen Hauch Mahnung in der Stimme. Sie hielt mit dem Bürsten Reginas Haare inne und legte eine Hand auf ihre Schulter. Regina blickte die alte Frau durch den Spiegel an und legte ihre eigene Hand auf die Baileys. Lächelnd erwiderte sie: „Ich weiß und das bin ich nicht, ganz im Gegenteil."
Aufrichtigkeit strahlte in dem Dunkeln ihrer Augen, während die Alte ihre Arbeit wieder aufnahm und Regina sie beobachtete. Es juckte ihr in den Fingern, sich selbst die Haare zu frisieren, doch Bailey hatte darauf bestanden, regelrecht darauf beharrt, dass Trotz der Welten, die sie von ihrem Zu Hause trennten, die Traditionen doch gewahrt bleiben mussten. Die Zärtlichkeit, mit der Bailey Reginas Haare kämmte und es zur Seite flocht, um es kaskadengleich über ihre Schulter zu legen, stand im Kontrast zu dem lieblosen Verhalten ihrer Mutter, als diese sie zu ihrer ersten Hochzeit hergerichtet hatte.

„Es ist schon wieder ganz schön lang geworden", bemerkte Bailey und lachte leise auf, als Regina und grinsend erklärte:
„Ich habe ein bisschen nachgeholfen."

„So, jetzt noch...", Bailey hielt Regina auffordernd die Hand hin und steckte ihr dann den angereichten Blumenschmuck ins Haar.

„Fast perfekt.", lächelte die alte Frau und griff an Regina vorbei nach dem goldenen Pfeil, der auf dem Tisch lag. Behutsam setzte sie das edle Kleinod in das Haar und besah sich ihr Werk mit zufriedenem Blick.

„Und? Meinst du, ich kann dich heute so vor dem Traualtar treten lassen?", während Bailey sprach hielt sie einen Handspiegel hinter Regina und bewegte ihn leicht hin und her, damit sich die Braut das Ergebnis anschauen konnte. Regina zupfte eine Strähne zurück und verengte in einem kritischen Ausdruck die Augen, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge und ein breites Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Wundervoll...", Regina erhob sich von dem Stuhl, wandte sich ihrer Vertrauten zu und schloss sie in die Arme.
„Danke!", brachte sie flüsternd heraus und löste sich von Bailey, bevor die aufkommenden Tränen ihren Weg nach draußen bahnten. Es war ihr Hochzeitstag und sie hatte nicht vor Cora so viel Macht zu geben, ihr auch diesen Tag zu ruinieren, doch Baileys liebevoll Art, erinnerte sie daran, wie schlimm es damals wirklich für sie gewesen war. Um das aufkommende Schweigen zu überspielen, ging sie zum Bett und griff nach den weißen Nylonstrümpfen, um sich dann wieder auf den Stuhl zu setzen. Noch bevor sie einen der Strümpfe aufstülpen konnte, entwand Bailey ihr das Stück Stoff und ging vor ihr in die Hocke. Reginas Augen weiteten sich und sie schüttelte ihren Kopf. Scham klang in ihrer Stimme mit, als sie sich erklärte:

„Ich kann mich alleine anziehen..." Ihr Protest ging unter. Baileys schenkte ihrem Schützling ein Schmunzeln.

„Gin, ich hab deinen Sohn entbunden, dann werde ich dich wohl anziehen können." Sie bewegte ruckartig ihre Hände samt Strumpf, damit Regina endlich ihren Fuß in die Öffnung steckte. Als diese jedoch weiter zögerte, führte Bailey an:
„Und außerdem ... keine Braut sollte sich an ihrem Hochzeitstag alleine herrichten müssen, also komm, tu einer alten Frau den gefallen und lass mich dir helfen." Regina schloss die Augen und atmete tief durch. Die Worte der Alten bedeuteten viel, doch noch eine größere Bedeutung lag zwischen den Zeilen versteckt. Es war Tradition, dass die Mütter ihre Töchter herrichteten, doch ihre Mutter saß in der Irrenanstalt. Ein gnädiges Gefängnis, für das was Cora ihrer Tochter in all den Jahren angetan hatte.
Regina öffnete ihre Augen. Ihre Mundwinkel zuckten und bewegten sich zu einem tränenverhangenden Lächeln, als sie endlich Baileys Aufforderung nach kam und ihren Fuß der alten Frau hinstreckte. Reginas Blick verwässerte sich. Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste, dass ihr die Stimme versagen würde. Einer Urgewalt gleich, brach es über sie herein. Freude und Leid vermischten sich und spiegelten sich in den schwarzen Untiefen ihrer Augen wieder. Schweigend beobachtete sie Bailey, die langsam den Strumpf über ihr Bein zog und die Spitze an ihrem Schenkel glatt strich, ehe sie die Prozedur an ihrem anderen Bein wiederholte. Reginas Gedanken rasten und lösten sich in wirre Stränge auf. Noch immer war sie nicht im Stande etwas zu sagen. Ihre Konzentration galt ganz den Tränen, die sich ihr aufdrängten und die sie mit aller Macht zurück zu drängen versuchte. Als Bailey sanft über ihren Unterschenkel streichelte und ihr ein liebevolles Lächeln schenkte, brach der Damm und einzelne Tränen rannen stumm über ihre Wange. Bailey schwieg und streichelte Regina einfach weiter. Sie gab ihr die Zeit, die sie brauchte, ehe sie das Wort an sie richtete:
„Gin, alles ist gut." Regina nickte und kämpfte gegen die Tränen an. Linkisch wischte sie sich über die Augen und war froh, dass sie noch kein Make up aufgelegt hatte. Sie wollte ihren Blick von der alten Frau abwenden, doch die keusche Zärtlichkeit und ihre Stimme zwangen sie, in ihr Gesicht zu sehen. Für einen Augenblick glaubte sie, dass ihre Tränen Bailey enttäuscht hätten, doch ihr Glaube wurde der Lüge überführt, als sie in das vertraute und verständnisvolle Gesicht der Alten blickte.

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