Kapitel 35

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Das Verlorene


Robingaloppierte mit Regina im Arm die Straßeentlang. Dunkelheit verwandelte die Bäume am Wegesrand in dunkleSchatten, tanzende Ungeheuer, die zu einer imaginären Melodie imWind ihren schaurigen Reigen vollführten. Auf ihrem schnellen Rittkam Regina immer wieder zu Bewusstsein und wimmerte, von Schmerzengeplagt. Robins Herz krampfte bei diesen Lauten. Sein Blick fiel aufihr geschundenes Gesicht, die geschwollenen Wangen, die Verfärbungenum ihre Augen und die aufgesprungenen Lippen. Das Bild brannte sichin seinen Verstand ein und lockte den Wahnsinn hervor, der ihn vorkurzen überfallen hatte, doch dieses Mal kämpfte Robin dagegen an.Er musste einen kühlen Kopf bewahren und Regina zu einem Heilerbringen, damit er sich um sie kümmern konnte. Zu gern hätte er siesofort nach Hause gebracht, doch der Ritt wäre nicht nur zu weit,sondern auch viel zu anstrengend für die verletzte Frau. Nun hoffteer, dass er in König Georges Reich die Hilfe finden würde, die siebenötigte.

DieBäumelichteten sich und wurden mehr und mehr von kleinen Häusern ersetzt,bis sie zur Gänze verschwanden und Robin sich inmitteneines Dorfeswiederfand. Ohne zu überlegen,führte er sein Pferd zum Dorfplatz und hielt direkt vor einemWirtshaus. Ein junger Mann, fast noch ein Junge, stand vor der Türund schien nach jemandem Ausschau zu halten. Robin fühlte ein ganzesBergmassiv von seinem Herzen fallen, als er ihn sah und sprach ihnan:
„Duda, ich brauche Hilfe." Der Angesprochene wandte sein Augenmerk aufden Neuankömmling, nickte heftige und eilte zu ihm hin. Vorsichtigließ Robin seine kostbare Fracht in die Arme des Jungen gleiten,sprang vom Pferd und nahm Regina wieder auf seine eigenen Arme. Dabeibedankte er sich und machte einen Kopfdeut in Richtung des Umhangs,den der Fremde trug.
„Kannstdu ihn mir geben? Du bekommst ihn gleich wieder, versprochen."

Derjunge Mann zögerteeinen Moment und starrte verwirrt auf die verletzte Frau, deren Kleidmehr entblößte, als es sollte, doch dann zuckte er zusammen, lösteden Umhang von sich und reichte ihn Robin.

„Was istgeschehen, Sir?"

„Überfall. Ichbrauche einen Heiler und ein Zimmer."

Sofortbedeckte er seine Gefährtinmit dem Stoff und wandte sich bereits zur Tür, als der andereantwortete:

„Hier im Wirtshauswerden sie ein Zimmer finden. Ich hole Heiler Nicols."

Robinschaute dem jungen Mann nicht hinter her, sondern stießdie Tür auf. Stimmgewirr und Gepolter, all die Geräusche eines gutgefüllten Wirtshaus bei Nacht, drangen in sein Gehör, doch RobinsAufmerksamkeit war einzig und alleine auf den Mann hinter dem Tresengerichtet. Schnellen Schrittes bahnte er ich seinen Weg durch dieMenschenmenge. Ein betrunkener Gast rempelte ihn an, so dass erbeinahe das Gleichgewicht verlor. Schlagartig blitze eine unbändigeWut in seinen Augen auf, doch er bezwang den Impuls, diesen Mann zuverprügeln. Zielstrebig ging er weiter zum Tresen und sprach denWirt an.

„Wirsind überfallen worden. Ich brauch ein Zimmer, es geht ihr nichtgut." Wie zur Untermalung seiner Worte, ächzte Regina auf undversuchte ihre Hand auf ihre Seite zu legen, doch ihr fehlte dieKraft. Im nächsten Augenblick verfiel sie wieder in ihrenbewusstlosen Zustand.

„Allesgut, Liebes, gleich kommt Hilfe.", redete Robin auf seine Gefährtinein und konnte nur mit Mühe und Not, den Tränen Einhalt gebieten,die sich ihm aufdrängten. Er versuchte sein Denken so weitauszuschalten, damit er das letzte bisschen Verstand, das er nachdiesem Tag noch besaß, nicht auch noch verlor. Angestachelt vonihren Ächzen, drängte er den Wirt.
„BitteSir, SOFORT!"

DerWirt stellte den Becher, den er gerade noch mit Bier gefüllthatte, auf den Tresen ab und rief eine junge Frau mit blonden Lockenherbei.

„Rufdeine Mutter und dann kümmer dich um die Gäste, Louise!" Diejunge Frau verschwand und der Wirt wandte sich nun endlich Robinzu.
„Kommensie mit, Sir. Wir sind ausgebucht, aber ich hab noch eine Kammerfrei. Nicht groß, aber ein Bett steht drin."

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