Kapitel 25

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Kapitel 25

Das Verlorene

Henry saß in der Taverne, starrte auf ein Stück Pergament und glaubte, dass seit dem Vormittag die Welt dunkler und kühler geworden war. In seinem Magen brodelten die verschiedensten Emotionen, welche er versuchte zu sortieren. Als er am Vormittag das Haus verließ, hatte er den Brief im Briefkasten gefunden und hatte sich im ersten Moment gewundert, wer ihm schrieb. Doch kaum hatte er ihn geöffnet, verwandelte sich die Verwunderung in das seltsame Gefühlswirrwarr in seinem Bauch, während ihn das Gefühl überkam, er würde in ein schattiges Zwielicht gezogen. Die ganze Zeit am Fluss konnte er nicht abschalten, konnte er sich nicht auf die Freude einlassen, die ihn sonst beim Fischen mit den anderen Kindern überfiel, denn seine Gedanken kreisten um die Einladung, die Neal ihm ausgesprochen hatte. Er sollte ihn besuchen, doch der Junge störte sich an etwas von dem Geschriebenem. Es fiel ihm schwer mit dem Finger auf diesen Unmut zu deuten und so ergab er sich dem Chaos seiner Gedanken. Sein Erzeuger hatte ihn mit der Begründung eingeladen, dass es nun im Haus mit einem neuen Baby viel zu stressig und laut wäre und sie beide die Zeit zusammen nutzen konnten. Henry wollte ihm den Vorschlag nicht ablehnen, weil er ihm nicht vor den Kopf stoßen wollte, doch gleichzeitig wollte er auch nicht so schnell für ein paar Tage weg, nachdem sein Bruder erst vor kurzem geboren war. So sicher er sich der Liebe seiner Mutter war, so gab es diesen winzigen, kindlichen Teil, der seine Position behaupten wollte. Der in der neuen Situation hineinwachsen wollte.

Henry saß noch immer, auf das Pergament starrend, auf einer der Bänke, als eine vertraute Stimme in das Durcheinander seines Verstandes drang und ihn ansprach.

„Hey, mein Junge. Schon genügend erbeutet? Oder warum bist du nicht am Fluss?"

Robin lächelte seinen Ziehsohn an und setzte sich zu ihm. Der Dunkelhaarige versuchte sich in einem Lächeln, doch wirkte gequält. Erst recht, als er seinen Stiefvater gähnen sah.

Er sieht erledigt aus, ich sollte ihn nicht mit meinen Problemen belasten...ja aber zu wem soll ich sonst gehen...er hat mich immer mit offenen Ohren empfangen...

Er haderte mit sich selbst, ob er von seinem Dilemma berichten sollte, doch dann entschied er sich dagegen, obwohl die Gedanken drückten, als stemmte sie ein hartes Eisen an die Oberfläche.

„Wir haben mehr als genug gefangen, ich warte jetzt auf Eddy und Jeff, die nehmen sie gerade aus und wollen mir etwas davon einpacken. Aber warum treibst du dich hier rum? Solltest du nicht bei Mom sein?"

Robin grinste leicht und wuschelte dem Jungen durch das Haar.

„Ja und ich verschwinde auch gleich, aber ich war in der Ratshalle und dachte mir, ich spring kurz hier rein, damit ich die Rechnung von gestern bezahlen kann. Ich weiß, Bailey will das Geld nicht annehmen, deswegen gebe ich es Ruth, damit sie es in die Kasse packt."

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da erschien die Kellnerin. Sie schenkte dem einstigen Räuber ein freizügiges Lächeln und fragte danach, was er trinken wolle.

„Nichts, ich bin nur hier, um meine Schulden zu bezahlen.", sagte er und reichte ihr einige Goldstücke. Dabei unterhielt er sich mit der jungen Frau:

„Wo warst du gestern?"

Ruths Lächeln wurde falsch, um es nicht zu verlieren.

„Hat Bailey dich wieder extra Arbeiten lassen?", scherzte er, doch die Angesprochene nickte nur. Sie wäre nicht zum Fest dieses Kindes erschienen, wenn man ihr Gold dafür geboten hätte. Sie hatte nicht gewusst, warum sie etwas feiern sollte, was in ihren Augen so falsch war. Robin hatte etwas anderes als die böse Königin verdient, etwas besseres und der Tag würde kommen, an dem auch er es endlich verstehen würde.

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