Kapitel 39

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Kapitel 39


Das Verlorene



Reginasaßmit Daniel im Arm in der Küche und starrte auf ihren schlafendenSohn. Ihre Augen waren noch immer mit Tränengefüllt, doch sie spürte die Ahnung einer Erleichterung in ihrerBrust aufsteigen, als der Junge im Schlaf lächelte. Ihr Kopf dröhnteund ihre Schläfen pochten auf Grund des Weinens, doch sie schobdiese Schmerzen zur Seite. Es war nur ein dumpfer Abklatsch der Pein,die sie bis zu ihrem Zusammenbruch und Robins Beistehen befallenhatte und so sog sie die Luft ein paar Mal tief in ihre Lungen undlöste sich vom Anblick des Babys. Sie schaute aus dem Fenster, wodie Sonne ihren Untergang, in einem goldenen Licht ankündigte undwischte sich mit der freien Hand über das Gesicht.

„Ichbring dich ins Bett.", sagte sie leise zu ihrem Sohn, erhob sichund verließ die Küche. Unterwegs wanderten ihre Gedanken zu Robinund der Frage, warum er so plötzlich verschwand, doch derKopfschmerz half ihr nicht dabei, diese zu vertiefen. Sie legte denWeg zum Treppenaufgang zurück, als die Tür zum Wohnzimmeraufschwang und Snow, zusammen mit Roland, im Eingangsbereicherschien. Snow und Roland blieben abrupt stehen. Ihre Blickerichteten sich, im Unglauben geweitet, auf Regina, während auchdieseinnehielt, als würdeeine unsichtbare Barriere sie aufhalten. Ihre unruhigen Augen fielenauf Roland. Sein Gesicht war blass. An seiner Kehle zog sich einerote, noch nicht ganz verheilte Wunde und katapultierte Reginaschlagartig zurück in die Taverne. Vor ihrem innerem Auge sah sieden verängstigten Jungen und glaubte noch jetzt sein Weinen hörenzu können. Für einen winzigen Augenblick erlaubte sie dasEintauchen in diese Erinnerung, doch dann verscheuchte siedie Bilder mit einem bestimmten Kopfschüttelnund versuchte sich in einem Lächeln für die beiden.

„Dubist endlich aufgestanden.", sagte Snow und ließ Rolands Hand los,um ihre Arme unschlüssig in Reginas Richtung auszustrecken.Reginakonntedie Anspannung sehen und spüren,mit der Snow sich verbot, ihrer einstigen Stiefmutter einfach um denHals zu fallen. Regina nickte, ohne den Blick von Roland abzuwenden.Ihr Herz schmerzte beim Anblick des Jungen, der auf seiner Unterlippekaute und auf den Boden schaute, als traute er sich nicht, ihr insGesicht zu sehen.

„Kannst... Kannst du Daniel ins Bett bringen?", Regina wandte ihreAufmerksamkeit Snow zu und reichte ihr das Baby. Snow schenkte ihrnoch ein aufmunterndes Lächeln und stieg die Treppe empor. Rolandschaute ihr nach, nestelte am Saum seines Hemdes herum und wirktetodunglücklich. Schweigen füllte den Raum, das in Reginas Kopf zuschreien begann. Ihr Innerstes verzehrte sich danach Roland an sichzudrücken, doch der kleine Junge tat langsam einen Schritt zurück.Ihre Augen verwässerten sich, als Regina den Kampf in seinen Körpererkannte. Einen Kampf, der ihr viel zu vertraut war, als dass sienicht wissen konnte, welche Gedanken sich in seinem Kopfüberschlugen. Behutsam beugte sie sich vor, um ihm auf Augenhöhe zubegegnen.

„Wiegeht es dir?"


Wiesoll es ihm schon gehen?Er wurde überfallen und beinahe umgebracht, was fragst du so blöd


Rolandbegann zu schniefen und hielt sich am Geländerder Treppe fest. Sein Blick huschteüberdas polierte Holz, währendseine Finger nervös darüber strichen. Noch immer wich er ihr ausund traute sich nicht, sie anzusehen. Regina stand unverändert daund wartete darauf, dass er endlich die Mauern einriss, die er umsich erbaut hatte; wartete darauf, dass er seine verwirrten Gedankenoffenbaren würde, die sie in seinem Gesicht lesen konnte. Ohne seinAugenmerk auf Regina zu richten, flüsterte er:
„Gin?"

Reginabrach das Herz beim Klang ihres Namens. Sie schloss die Augen undließdie Erkenntnis zu, wie sehr der Junge gelitten hatte und noch immerlitt.

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