Prolog

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Ich fuhr weg.

Weg von Wien. Weg von seiner Wohnung. Weg von ihm.

Ich wusste nicht einmal in welche Richtung ich fuhr. Geschweige denn, wohin ich wollte.

Auf der Fahrt zerbrach ich meinen Kopf. Was war an diesem Abend falsch gelaufen? Hätte alles anders verlaufen können?

Tränen rollten über meine Wangen. Ich konnte gerade noch das gelb-orange Straßenlicht erkennen, dass entlang der Autobahn angebracht war. Das Licht blendete jedes Mal, als ich meine Augen schloss oder meine Augen sich mit noch mehr Tränen füllten, die eine nach der anderen von der Schwerkraft angezogen wurden und sich lösten.

Ich verlangsamte mein Tempo bei einer Kurve. Zudem konnte ich nicht mehr viel von der Straße erkennen und fuhr anstatt der erlaubten 100 km/h nur 70. Stören tat es niemanden, da es niemanden gab, den es stören konnte. Die Straße war wie leer gefegt und auch an Gegenverkehr mangelte es. Ab und zu blendete mich ein Auto, aber das war schnell vorbei.

Mit einem Mal riss es mich aus meinen Gedanken. Ich trat abrupt auf die Bremse, so fest ich konnte. Das Auto fing zu quietschen an und es rutschte immer langsamer hin und her. Doch als mein Fahrzeug endlich zum Stillstand gekommen war, erkannte ich erst, dass ich mit dem frühzeitigen langsam fahren und anhalten richtig gehandelt hatte. Ich stand nun vor einem Unfallort.

Ein roter BMW stand auf dem Kopf und ihn umgab eine dunkle Flüssigkeit. Scheiße.

Ich schnappte mir meine Warnweste und verließ meinen Wagen. Ich musste jetzt richtig handeln und keine Zeit verschwenden. Das hatte höchste Priorität.

Schnell lief ich zu dem roten Auto und stellte fest, dass die Flüssigkeit tatsächlich Blut war.

"Hallo?", fragte ich und bekam - natürlich - keine Antwort. Verdammt.

Da erkannte ich, dass ein junger Mann ein paar Meter entfernt auf den Boden lag. Neben ihm noch ein Motorrad. Aber der junge Mann hatte keinen Motorradhelm auf. Entweder war er ein leichtsinniger Fahrer oder gar keiner.

In diesem Moment wünschte ich mir, dass so spät in der Nacht doch irgendwer unterwegs war. Oh mein Gott! Wie konnte ich das vergessen!

Ich tippte schnell die Nummer der Rettung in mein Telefon ein und teilte der Frau am anderen Ende der Leitung mit, wo ich war und was passiert war beziehungsweise was das Resultat des Geschehnisses war.

"Beruhigen Sie sich", meinte sie. "Suchen Sie Verletzte und kümmern Sie sich um sie. Versuchen sie ein Leben zu retten."

Ein Leben retten. Falls noch jemand lebte.

Ich lief zu den jungen Mann. Er hatte außergewöhnliches Haar, doch ich durfte mich jetzt nicht ablenken lassen. Das letzte Mal, als ich einen Erste-Hilfe-Kurs abgeschlossen hatte, war ewig her. Konzentriere dich! Lass dich nicht von deinen Gedanken ablenken!

Ich versuchte ihn anzusprechen. Keine Reaktion.

Ich versuchte seinen Puls am Hals zu spüren und seien Atem. Keines von beiden vorhanden. Scheiße.

Ich weinte noch mehr. Ich hatte mich vor eine Leiche gekniet. Der junge Mann vor mir war tot.

Da erblickte ich ihn. Den Motorradfahrer.

Ich lief zu ihm hin, noch schneller als zuvor, nahm ihm vorsichtig seinen Helm ab und war erleichtert. Seine Brust hob sich. Er atmete noch.

"Halte durch!", befahl ich ihm, als ob er mich hören konnte. "Ich werde dich retten!"

Ich hielt ihm die Nase zu, stemmte seinen Kopf zurück und öffnete seinen Mund. Ich holte tief Luft und presste meine Lippen über seine. Dafür, dass ich noch nie Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht hatte, schlug ich mich gut, dachte ich mir. Danach kam die Herz-Massage.

Gefühlte dreißig Minuten machte ich das.

Doch als ich kurz aufblickte, um zu sehen, ob ich mich verhört hatte, sah ich es. Das Blaulicht.

In meinen Armen rührte sich etwas. Nein, nicht etwas, sondern jemand. Der Motorradfahrer.

Noch mehr Tränen kullerten mir die Wangen herunter. Ich hatte ein Menschenleben gerettet. ICH.

Erleichterung füllte meinen Körper.

Der Verletzte öffnete auch schließlich seine Augen, blickte mich verwunderlich an und sah sich um.

"Alles ist okay!", versicherte ich und lächelte ihn an. "Ich habe dich gerettet!"

Die Rettung war soeben eingetroffen und Sanitäter stürmten aus den Rettungswagen.

Der junge Motorradfahrer öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen. Vielleicht wollte er sich bei mir bedanken.

"Du... du hast den Falschen gerettet."

Der FalscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt