Der Falsche

Kapitel 17

Einige Nachbarn hatten sich bereits angesammelt, um zu wissen was vorgeschehen war. Es waren Schaulustige. Sie hatten keine Ahnung, wie ich mich fühlte.

Schrecklich. So fühlte ich mich.

"Seunghyun", sagte Daesung, der immer noch in meiner Nähe blieb auch als ich angeschrien hatte, er möge verschwinden. Er war geblieben.

Aber ich beachtete ihn nicht, sondern blieb mit dem Rücken zu ihm gedreht stehen und beobachtete die Einsatzkräfte, wie sie zusammen packten. Der Letzte von ihnen stieg gerade in das Rettungsauto ein und sie fuhren samt meiner Mutter mit Blaulicht davon.

Ich konnte nicht mehr. Ich hielt es nicht aus. Ich war zu schwach. Und ich brach zusammen.

Mitten auf der Straße verlor ich den Halt und sackte in mich zusammen und fing an zu weinen. Ich kam mir vor wie ein Kleinkind, aber das war jetzt mein kleinstes Problem.

Meine Mutter hatte einen ernsthaften Versuch durchgeführt sich umzubringen, und ich war nicht anwesend gewesen und hätte sie retten können. Ich war nicht da gewesen, um sie daran zu hindern sich Schlaftabletten reinzuhauen. Ich hatte versagt.

Von hinten wurde es warm und die Wärme breitete sich aus.

Daesung...

Er sagte nichts, sondern umarmte mich weiter. Und dafür war ich ihm dankbar. Sehr dankbar.

Für die schaulustigen Nachbarn musste die Szene vollkommen verwirrend wirken. Die Mutter wurde wegen eines versuchten Selbstmordes ins Krankenhaus gebracht und kurz darauf flennt der Sohn wie ein Baby und kuschelt mit seinem besten Freund. Ich hätte auch schief geschaut.

"Komm", sagte Daesung und wagte einen Versuch mit mir aufzustehen.

"Nein", protestierte ich und merkte, wie schwach und gebrechlich meine Stimme klang. Ich schlang seine Arme um mich und zwang ihn sich wieder auf die Straße zu setzen und er plumpste auch wieder hin.

"Seunghyun", fing er an.

"Warte noch eine Minute", ging ich dazwischen. Es tat mir gut seine Nähe zu spüren oder einfach nur zu wissen, dass er da war. Für mich.

"Seunghyun, die Nachbarn denken schon wir wären ein Paar", sagte er und ich konnte ein kleines Kichern heraushören.

Ich nickte langsam und stand auf. Mir war schwindelig und Daesung musste mir in mein eigenes Haus helfen. Er machte hinter uns zu. Etwas fühlte ich mich sicherer, dennoch hatte ich ein mulmiges Gefühl in mir. Hier irgendwo muss sie gelegen und meine Hilfe gebraucht haben.

"Nettes Haus", sagte Daesung.

"Tsk", gab ich zurück und bewegte mich in Richtung Küche. "Möchtest du einen Tee?"

"Grünen, bitte", antwortete er. "Warum hat sie das eigentlich gemacht?"

Ich hätte beinah die Tasse fallen gelassen. Die Krankheit meiner Mutter war meine schwache Stelle.

Tränen kamen augenblicklich zurück und ich drehte mich zu ihm um. "Glaubst du das ist lustig? Machst du dich jetzt über mich oder sie lustig? Nur weil sie krank ist? Du bist das Letzte!"

"Yah!", ermahnte er mich. "Ich hab nichts dergleichen gesagt! Und lustig mache ich mich schon gar nicht! Du reagierst vollkommen über!"

"Und du gerade nicht!?", fauchte ich zurück.

"Es tut mir leid", seufzte ich und hoffte er würde es verstehen. "Es ist nur..."

"Es ist okay."

Wieder fand ich mich in Daesungs Armen.

"Bitte erzähle es keinem."

"Versprochen!"

Langsam wand ich mich aus seiner Umarmung und leerte das bereits kalt werdende Wasser in die jeweiligen Tassen.

Auf der Küchentheke fand ich dann etwas komisches. Ein offener Brief. Ich nahm in zu mir und sah, dass der Brief an mich addressiert war. Warum war er offen? Hatte Mum ihn geöffnet?

Der Brief war von meinem Vater und es war eine Einladung zu seiner Hochzeit. Als Beilage war noch ein aktuelles Foto auf dem er und seine neue Verlobte über beide Backen strahlten. Was mir auch noch auffiel war ihr Bauch, den sie mit einer Hand festhielt. Sie war anscheinend schwanger und eines dieser Sachen musste der Auslöser gewesen sein, warum meine Mutter so gehandelt hat.