Nimm eine von den Pillen, die macht dich größer

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Ich entschuldige mich schonmal im vornherein für die kommenden Geschehnisse, die etwas traumatisierend sein können.

POV Timi

Ich war seit ein paar Stunden wach und starrte die kleine, bunte Pille an, die direkt vor meinen Augen lag. Ich selber lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht, und berührte die Pille mit meinem Daumen und Zeigefinger.

„Nimm eine von den Pillen, die macht dich kleiner; nimm eine von den Pillen, die macht dich größer...", murmelte ich. Heute war einer der schlechten Tage, der schlimmste einer Reihe von schlechten Tagen. Ich hatte seit drei Tagen nicht geduscht, hing nur zuhause ab und beantwortete keine Anrufe oder Nachrichten. Die vermissten Nachrichten wurden am Ende so viele, dass ich mein Handy ausschaltete. Eigentlich hatte ich nichts zu tun. Mein Album war vor längerem released worden, meine Tour war vorbei, in der Band hatten wir keine Pläne für was neues gehabt. Es gab nichts, was mich von der ganzen Sache ablenken könnte. Mich wunderte es, dass ich es überhaupt mit mir selber aushielt. Obwohl ich das ja eigentlich nicht tat, da ich mich gehen ließ und mich dafür hasste.

Ich setzte mich auf, rollte mir einen Joint, den ich dann genüsslich rauchte. Ich liebte dieses Gefühl, den ersten Zug, wie alles in mir ruhiger wurde, wie ich mich entspannte. Ich legte mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Warum ich immer wieder in diese leicht depressiven Phasen fiel, wusste ich nicht. Wahrscheinlich lag es an den Drogen, die ich nahm, oder an einer Mischung dessen sowie anderen Aspekte meines Lebens – der Tod meines Großvaters, dem ich sehr nahe stand, die Trennung meiner Eltern, dass ich die Schule nie geschafft hatte, Lukas.

Mein Bett stank. Nach Zigaretten, Marijuana, Schweiß. Nichtmal meine Haustiere wollten bei mir sein, zumindest nicht wenn ich mich in einem solchen Zustand befand. Ich entschied mich, mein Handy anzuschalten, obwohl mir bewusst war, was mir bevorstehen würde. Ich setzte mir meine Brille auf, legte mich auf den Bauch und starrte den Bildschirm an, während das Handy hochfuhr und eine Nachricht nach der anderen einging. Fünfzehnmal Lukas, Zwölfmal Basti, Achtmal Igor, Dreimal Sudden. Ich zwängte den Joint zwischen meine Lippen und las mir die Nachrichten sorgfältig durch – alle beinhalteten Ähnliches:

B: Wo zum Fick bist du? Wenn du auf irgendeinem Trip bist,komm ich vorbei und schlag ihn dir persönlich raus.

S: Du Arsch, geh endlich mal an dein Handy!

I: Tim, du solltest echt mal an dein Handy gehen, Basti rastet aus und Lukas heult in der Ecke.

L: Wo bist du, Tim? Es tut mir so leid. Ich muss mit dir reden. Ich vermisse dich!

Ich strich über die letzte Nachricht, über Lukas' Namen. Er war immer so besorgt, kümmerte sich immer um alles und jeden, bis auf an dem einen Tag, den ich am liebsten vergessen würde. Mein Drogenkonsum machte ihn fertig. Und doch war er immer für mich da. Ich schaltete das Handy aus und legte mich auf die Seite, die Brille auf den Nachttisch legend. Ich konnte mir mein eigenes Benehmen nicht wirklich erklären. Lukas hatte vor einer Woche mit irgendeinem Mädchen geschlafen; warum, wusste ich nicht mehr. Wahrscheinlich weil sie gerade da war, weil er und ich einen Streit hatten, weil ich ihn grundlos angeschrien hatte und er mir zeigen wollte, dass auch er brutal sein könnte, mich eifersüchtig machen könnte. Mich hatte das Ganze mehr mitgenomen, als ich dachte. Und deshalb starrte ich diese Pille neben mir an, ich drehte sie immer wieder zwischen meinen Fingern. Mir liefen mal wieder Tränen das Gesicht herunter. Das war nicht das erste mal in den letzten Tagen. Lukas hatte mir so wehgetan, ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, und er wusste es anscheinend auch nicht, sonst wäre er hier und nicht bei sich zuhause, in Berlin. Ich legte mir die Pille auf die Zunge, schluckte sie mit etwas Wasser runter, legte den Joint in den Aschenbecher und zog mir die Decke über den Kopf. Ich schlief dann ein.

„Tim." War das Lukas? Ich wollte nicht nachschauen und blieb unter der Decke, egal wie lächerlich mein Benehmen war. Ich spürte wie ein Gewicht eine Seite meines Bettes nach unten drückte und jemand über die Decke strich. Doch ich reagierte nicht. Wollte nicht rauskommen.

„Tim, es tut mir so leid, ich wollte dir das nicht antun. Bitte, komm raus, ich mach mir echt Sorgen um dich." Ich zog mir die Decke noch enger drüber und drückte die Augen zusammen.

POV Lukas

Ich fühlte mich elendig. Warum hatte ich ihm das angetan? Aus Rache dafür, dass er aus Trotz vor mir sich abgeschossen hatte, als ich ihm sagte, dass ich das nicht wolle? Weil wir uns gegenseitig angeschrien hatten, keinen Konflikt erwachsen beheben konnten?

Ich schob meine Hand unter die Decke und tastete blind herum bis ich Tim's Hand erwischte. Sie war eiskalt. Ich hob die Decke vorsichtig hoch und schlüpfte darunter: Tim trug einen Hoodie, dessen Kapuze er sich übergezogen hatten und worin er sich vollkommen verkrochen hatte. Ich rückter näher an ihn ran und holte sein Gesicht zu mir aus der Kapuze hervor – er war vollkommen verheult und rot. Ich strich ihm über die Wangen.

„Wieso bist du hier drunten?" Er zuckte die Schultern.

„Ist es ruhiger hier?"

„Ja." Tim klang heiser.

„Soll ich gehen?" Er starrte mich einige Sekunden lang an.

„Nein." Dann brach er wieder in Tränen aus. Ich legte mich auf die Seite und zog ihn an mich, wo er seine Nase in meinem Schlüsselbein vergrub. Ich strich ihm über den Kopf und küsste seinen Scheitel.

„Ich bin ja da."
„Lukas?"

„Ja?"

„Warum hast du das gemacht?" Ich schwieg.

„Sag es." Ich schaute Tim traurig an.

„Weil ich so sauer auf dich war. Du hast mich so angekotzt, mit den Drogen, mit deinen Stimmungsschwankungen, wir hatten schon so lange nicht mehr miteinander geschlafen, uns noch nicht mal Gute Nacht gesagt und irgendwie...Ich dachte, dass du mich nicht mehr liebst. Tim, ich weiß echt nicht mehr weiter. Ich war so frustriert, ich hab nichts gefühlt als ich sie...Ich konnte die ganze Zeit nur an dich denken."

„Warum hast du dann weitergemacht?"

„Hab ich nicht."

„Du lügst." Tim wand sich aus meinem Griff.

„Tim. Ich konnte nicht weitermachen, wegen dir. Ich dachte die ganze Zeit nur an dich, sodass ich nicht kommen konnte... Verdammte Scheisse, ich liebe dich! Nur dich!" Jetzt fing auch ich an zu weinen. Tim starrte mich wieder an, einige Sekunden lang, bis er die Decke wegzog und wir beide endlich etwas Luft bekommen konnten. Wir schwiegen uns an, ohne jeglichen Körperkontakt, die Wand anstarrend. Plötzlich erhob sich Tim. Er zog mir den Pulli und die Hose, samt Boxer, aus und drehte mich auf den Bauch. Ich sagte nichts, blieb nur so liegen. Ich hörte, wie er den Reßverschluss öffnete und meine Hüften anpackte, um mich auf die Knie und näher zu sich zu ziehen. Ich versuchte mich mental auf das Bevorstehende vorzubereiten und doch war der Schmerz fast unerträglich, als er in mich stieß, einmal, zweimal, irgendwann konnte ich nicht mehr zählen.

„Tim, bitte..." Sofort stoppte er; er hielt kurz inne, bevor sich aus mir rauszog und sich neben mich fallen ließ. Ich rollte mich auf der Seite zusammen, mit dem Rücken zu ihm, Fäuste ballend.

„Tut mir leid." Ich spürte seinen warmen Körper an meinem Hintern, wie er seine Hand über meine Rippen gleiten ließ, den anderen Arm unter meinen Kopf schiebend. Obwohl mir seine Berührungen nach den Geschehnissen unangenehm waren, ließ ich ihn machen. Er zog mich näher an ihn, drückte mich sehr nah an seinen Körper, seine Knie in meinen Kniekehlen und küsste meinen Nacken. Ich glaube, wir waren beide traumatisiert von dieser Nacht.

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