Ich kann dich nicht mehr leiden sehen

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POV Lukas

Ich stand an meiner Haustür und wischte mir über meine nassen Augen.

„Wie lange wirst du weg sein?"

„Ich weiß es nicht, ich muss einfach mal weg."

„Warum?"

„Ach, Lukas."

„Warum?"

„Weil ich das nicht anders schaff."

„Warum?"

„Weil ich hier zu schnell an Kokain und Heroin komme."

„Aber doch nicht wenn du bei mir bist!"

„Schatz, das weiß ich doch. Ich will nur nicht, dass die anderen mich da wieder reinziehen."

„Aber musst du dann gleich wegfahren?"

„Ja." Mir liefen die Tränen wieder runter und ich wischte sie aggressiv weg. Tim trat zu mir hin und wischte mit dem Daumen über meine Wange.

„Ich komm doch wieder."

„WANN?" schrie ich ihn an. Er trat einen Schritt zurück.

„Das...das wollte ich nicht. Tut mir leid!" Ich ging auf ihn zu und nahm seine Hand.

„Das weiß ich doch. Lukas. Ich will dir das nicht antun, aber ich geh an den Drogen kaputt und selbst du kannst mir da nicht helfen. Je mehr Zeit ich in dieser Stadt verbringe, desto mehr vergifte ich meinen Körper. Und ich weiß, dass du mir zuliebe mit dem Rauchen aufgehört hast und den ganzen Alkohol weggeschüttet hast, aber das ist mir nicht genug. Das hilft mir nicht." Ich trat an die Wand und sank auf den Boden, bevor ich richtig anfing zu weinen. Ich wollte nicht, dass er ging. Und ich wollte nicht, dass er Drogen nahm.

„Tim, ich will dich nicht leiden sehen."

„Wenn ich für kurze Zeit weggeh, dann wird es mir besser gehen." Er hockte sich vor mich hin und legte seine Hand auf mein Knie. Ich schaute hoch in sein Gesicht. Tim hatte in letzter Zeit sehr abgenommen, er war blass geworden, er musste sich täglich übergeben, woraufhin er immer die nächstbeste Tablette – in Form von Ecstasy unter anderem - nahm. Mich wunderte es, dass sich die Drogen überhaupt in seinem System ausbreiten konnten, so oft wie er kotzen musste. Es ging ihm nicht gut, und das war nicht meine Schuld. Jede Nacht wachte er schweißgebadet und zitternd auf. Immer wenn er neben mir schlief, weckte er mich mit seinen konstanten Beinzuckungen auf. Wenn etwas nicht klappte, sei es etwas wichtiges, wie ein abgesagter Termin oder etwas banales wie ein verschüttetes Getränk, wurde er aggressiv. Er begann dann rumzubrüllen, das nächstbeste Objekt zu zerschmettern und er wurde auch mir gegenüber aggressiv. Ich schaute auf meinen linken Arm, wo immernoch der Abdruck von Tim's Fingern war, als er mich vor ein paar Tagen gepackt hatte und gegen eine Wand gedrückt hatte und anschrie. Er war eigentlich überhaupt kein agressiver Typ, was sich ziemlich schnell in ziemlich kurzer Zeit verändert hatte.

„Ich muss los." Tim stand auf und zog mich mit ihm hoch. Er schaute mich an, bevor er mir einen langen Kuss gab.

„Ich bin bald wieder da." Dann drehte er sich um und ging.

Sechs Monate später

Ich war so alleine in diesen sechs, langen Monaten. Tim durfte mir zwar schreiben, während er im Rehabilitationsprogramm war, doch das war mir nicht genug. Ich war es so gewohnt, ihn jeden Tag zu sehen, zu riechen, zu fühlen. In den ersten Wochen kam ich kaum aus dem Bett. Ich verließ es nur um die nötigsten Sachen zu tun. Ich hatte mir haufenweise Fertiggerichte gekauft, für die ich das Bett verließ, doch nur um sie aufzuwärmen, manchmal aß ich sie kalt. Ich aß an manchen Tagen gar nichts, an anderen mehrere Gerichte auf einmal, deren Packungen ich dann auch nicht wegräumte sondern einfach auf den Boden fallen ließ. Ich ignorierte Basti's, Igor's und Sudden's Anrufe, bis Basti mich eines Tages wortwörtlich überfiel (da er in meine Wohnung einbrach, weil ich die Tür nicht öffnen wollte) und einen solchen Terror veranstaltete, dass ich mich irgendwann aufrappelte. Das war nach drei Monaten. Er schrie mich an, meinte, ich solle mich zusammenreißen und schubste mich ins Bad, wo er mir Wasser einließ und seltsamerweise mich auch wusch. Das war Basti's Art – abrupt, direkt und doch liebevoll. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Es war Basti, und nicht Tim, der das hier machte. Das Ganze war so intim und ich war so verletzlich. Und irgendwann ging es mir dann besser. Und zwar als ich einen Anruf der Klinik bekam.

„Herr Strobel? Wir kontaktieren Sie, da wir Ihren Lebenspartner in den nächsten Wochen entlassen werden können."

„Es geht Tim wieder besser?"

„Ja, Herr Weitkamp hat sich gut gemeistert. Es hat lange gedauert, wir glauben jedoch, dass er jetzt soweit ist, wieder zu Ihnen nachhause zu kommen." Mir wurden viele Unterlagen geschickt, worauf ich achten sollte, was ich nicht machen sollte und was ich unbedingt machen sollte. Tim wurde schon so früh entlassen, da er sich selber eingewiesen hatte, da er zeigte, dass er sein Problem erkannte. An dem Entlassungstag stand ich dann an der Klinik. Ich hatte ihn lange nicht sehen dürfen, bis jetzt. Ich schaute ständig auf die Uhr. Die Minuten vergingen so langsam. Als Tim aus den großen Doppeltüren auf mich zutrat, war die ganze Trauer vergessen. Er sah gut aus, hatte etwas zugenommen und sein Bart war gepflegt. Ich lief auf ihn zu und wir küssten uns lange, bis uns ein Räuspern auseinander brachte. Tim's Arzt oder Psychiater. Ich war mir da nicht sicher. Er erklärte mir die Situation, doch ich hörte kaum zu, konnte nur noch meinen Freund anschauen. Ich konnte es gar nicht erwarten, Tim mit nachhause zu nehmen. Zuhause angekommen trat Tim etwas scheu in unsere Wohnung bevor ich ihm die Koffer abnahm und ihm das Hemd auszog. Er wusste sofort, was das hier hieß und beeilte sich, sich dem Rest seiner Kleidung zu entledigen. Wir konnten auch nicht darauf warten, dass wir im Schlafzimmer ankamen, sonder fickten sofort im Gang, was auch was Neues für uns war.

„Danke, dass du immernoch bei mir bist. Es tut mir leid, dass du durch diese ganze Scheisse mit durch musstest." Wir lagen auf dem Boden und Tim schaute mich traurig an.

„Ich liebe dich, ich will alles mit dir durchmachen." 



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