Meine bessere Hälfte

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POV Basti

Seit dem Unfall hatte sich alles verändert. Anfangs benahm ich mich, wie jeder andere sich benehmen würde, wenn er seinen Bruder in einem Autounfall verlieren würde: erst kommt das Bestreiten, dann die Realisation, danach die Trauer, gefolgt von einem Nichts-fühlen. Zuletzt kommt die Akzeptanz, dass man mit dem Geschehenen leben musste. Als ich von dem Unfall hörte, war ich gerade beim mich Abschießen. Bei wem die Party war weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass es viele Drogen gab. Ich hatte wieder mal gekokst – mit meiner Lieblingsdroge fühlte ich mich sicherer, stärker, unverletzbar. Als der Anruf dann kam, realisierte ich erst mal gar nichts. Ich wusste nicht, wie ich meinem Vater am Telefon erklären sollte, wo ich gerade war, während ich meine Mutter in Hintergrund weinen hörte. Ich weiß nur, dass ich die ganze Sache des Unfalls zuerst bestritt. Alle dachten immer, ich würde zuerst sterben, nicht Michael. Er war der vernünftige Bruder, der Jüngere, der Schlauere von uns beiden. Er hatte nichts mit Drogen am Hut, arbeitete in einer Jurafirma und war verlobt. Man kann mich nicht mit ihm vergleichen. Wir sehen uns nicht ähnlich, wir benehmen uns total unterschiedlich, wir sind zwei komplett verschiedene Männer. Nur unser Blut ist Beweis dafür, dass wir verwandt sind. Waren. Nun saß ich zuhause in meinem einzigen Anzug, den ich hatte und wartete darauf, dass meine Eltern mich zur Beerdigung abholen. Die Realisation traf mich im Auto, als ich die anderen Gräber sah sobald wir uns dem Friedhof näherten. Erst dachte ich, es wäre das Koks, weswegen mein Herz anfing zu schmerzen. Doch dann realisierte ich, dass ich meinen Bruder nie wieder sehen würde, und dies tat verdammt weh. Als wir im Halbkreis um das Grab standen und der Priester seine bescheuerte Rede herunterratterte, schaute ich mich um. Ich sah viele weinende Gesichter, alles Familie. Michael's Verlobte fiel mir am meisten auf. Ihr Gesicht war das am verheultesten, und doch war sie während der Beerdigung ganz still. Es schien, als wären ihr die Tränen ausgegangen. Als ich an der Reihe war, meine Rede zu halten, dachte ich zuerst, ich könnte es problemlos machen. Ich dachte, ich könnte meine Worte so sagen, als hätte ich gerade ein Lied geschrieben, als würde es mich nicht direkt berühren. Doch nach den ersten drei Sätzen kamen die ersten Tränen über mich. Ich stockte immer wieder; meine Mutter legte ihre Hand auf meinen Arm und ermunterte mich, weiterzureden. Die nächsten Tage nach der Beerdigung blieb ich zuhause. Ich weinte viel, was ich nicht gewohnt war. Dies war Teil der Trauerphase. Igor kam manchmal vorbei, um nach mir zu sehen, doch ich blieb immer stumm und zusammengekrümt auf dem Bett liegend. Lukas und Tim kümmerten sich um meine Wohnung – sie kauften für mich ein, Lukas kochte und räumte die unangerührten Teller wieder weg. Einen Monat lang verließ ich mein Schlafzimmer nicht. Sudden versuchte sein Bestes, für mich da zu sein. Er machte die Drecksarbeit, die ich Lukas und Tim nicht antun wollte. Anfangs kam er jeden Morgen vorbei, hievte mich aus dem Bett und brachte mich ins Bad. Er wusch mich, zog mir neue Sachen an und brachte mich wieder zurück ins Bett. Dann blieb er einfach bei mir und zog ein. Ich war ihm so dankbar dafür, dass er in dieser Zeit für mich da war und es tat mir leid, dass ich mich erst Wochen später revanchieren konnte. Zu dem Zeitpunkt des Todes meines Bruders waren Sudden und ich erst seit kurzem zusammen. Wir hatten mehrmals miteinander geschlafen, waren uns jedoch nicht sicher, was wir überhaupt waren. Doch meine Liebe zu ihm wuchs täglich. Je mehr er für mich da war, desto mehr verliebte ich mich in ihn. Ich begann nicht nur den Tod meines Bruders zu akzeptieren, sondern auch, dass ich auf Männer stand – oder zumindest auf einen Mann. Dass er täglich für mich da war, bedeutete mir sehr viel. Ich hätte nie gedacht, dass er so fürsorglich sein könnte – bei Tim machte das schon eher Sinn, und bei Lukas sowieso – doch Sudden war doch der Sexy Ficker. Warum würde er mit mir zusammen sein? Warum würde er sich um mich kümmern, wenn ich nur depressiv im Bett rumlag?

„Weil ich dich liebe", antwortete er mir und küsste mich auf die Stirn.

„Danke." Ich sah ihn dankbar an. So wie ich die letzten Wochen war, kannte mich keiner. Ich hatte mich geschämt, dass die Jungs mich in dem Zustand sahen. Mein Image war tough, nicht verheult und depressiv (das waren eher Tim's Image, der immer wieder mit seiner Freundin Stress hatte). Das Ganze mit Sudden passierte kurz vor dem Tod meines Bruders. Es war mir zu viel auf einmal – und auch wenn ich nicht gerade hart arbeitete, brauchte ich immer wieder eine Pause von allem. Dass ich dann auch noch zu meiner Homosexualität stand, machte mein Leben nicht gerade einfacher. Jahrelang hatte ich diesen (wichtigen) Teil meines Lebens versteckte, hauptsächlich da ich die Reaktionen meiner Freunde (abgesehen von Sudden, Lukas, Tim und Vortex) fürchtete. Mein Freundeskreis änderte sich ziemlich nach meinem Coming Out – interessanterweise, zum besseren, auch wenn meine Kontakte in der Rapszene etwas reduziert wurden. Aber nach mehreren Monaten war mir dies immer egaler – ich wollte nur mit Sudden zusammen sein, und tat das dann auch.

Bitte sehr – ihr wolltet doch sicher etwas Sudasti/Sbasti, oder? Sorry, dass dieses Kapitel so deprimierend wurde, aber irgendwie war mir gerade danach. Ich hatte die letzten Tage ziemlich viel hinter mir und wollte das etwas verarbeiten, was man in dem nächsten Kapitel auch sehen wird.



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