5. Wettrennen

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Es klingelte schon wieder, ich versuchte aufzustehen, aber war zu schwach. Es waren nun zwei Schulstunden vergangen, seit ich zusammengebrochen war. »Luna, bleib sitzen.« Loura saß neben mir, sie war die Person, die ich ausgewählt hatte, auf mich aufzupassen. Mitunter, weil sie meine Freundin war, aber ich hätte ja auch Dawn oder Clare nehmen können. Aber Dawn war mir zu aufgedreht und Clare auch. Die beiden alberten ohne Punkt und Komma. »Aber wir müssen zum Unterricht. Wir haben schon Fabelwesen und Kräftigung der Magie verpasst«, sagte ich. »Die Lehrer werden es verstehen«, meinte Loura und lehnte sich an die Wand. »Bitte, Loura«, flehte ich leise. »Nein, du musst dich ausruhen! Doktor Banter hat gesagt, dass du sonst wieder zusammensackst und dann vielleicht ins Krankenzimmer musst.« Loura sah mich streng an. »Dann mach ich es halt ohne deine Hilfe.« Ich stand auf, alles um mich herum drehte sich, aber ich lief tapfer weiter. Nach zwei Metern lehnte ich mich gegen einen Tisch. Alles um mich herum schwankte. Loura sprang an meine Seite und packte mich am Arm. »Du läufst schlimmer, als Neil und Ben, wenn sie betrunken sind«, kommentierte sie meinen Gang. »Neil war betrunken?«, fragte ich interessiert. »Naja, das ist schon ein Jahr her und er hat es nur gemacht, um neben Ben nicht so doof zu wirken«, versuchte sie Neil zu rechtfertigen. »Wenn du mir die Geschichte erzählst, setzt ich mich wieder hin«, schlug ich ihr vor. Loura zuckte mit den Schultern »Okay, dann setz dich aber auch wieder hin.« Erfreut darüber, dass ich Loura überredet hatte, setzte ich mich auf einen blauen Stuhl. Loura nahm sich einen grünen und stellte die Füße auf ihn. »Also, wie fang ich an? Ich weiß noch, dass es ein warmer Sommertag war. Neil, Ben und Cassy – Ben und Cassy waren Freunde von Neil – naja, auf jeden Fall saßen sie auf dem Balkon und haben mich dann dazu gezwungen bei einem kleinen Spiel mitzumachen...«

Rückblick aus Louras Sicht

»Ich wette, du traust dich nicht, bei unserer Wette mitzumachen, Spießer«, rief Ben, als ich auf unseren kleinen Balkon trat. Er, Neil und Cassy saßen an unserem Gartentisch und ich blickte die drei so genervt wie möglich an. Ich konnte selbst aus den drei Metern Entfernung von Ben riechen, dass er schon wieder etwas gesoffen hatte. Ben trank immer, es ließ ihn die Schmerzen verkraften, welche er in seinem Inneren trug. So sagte er es. Ich schnaubte. »Ich habe nicht das Bedürfnis, mich zu euch zu setzten und nein, ich habe auch nicht vor, an eurer Wette teilzunehmen.« Sofort sprang Ben auf und zog auch Neil aus seinem Stuhl. Mein Bruder war einen Kopf kleiner als sein bester Freund und wirkte neben ihm fünf Jahre jünger als er war. »Dann muss sich dein armer Zwillingsbruder wohl vom Balkon stürzen. Er hat gesagt, dass du dieses Mal mitmachst«, verkündete Ben. »Ich lach mich tot, Ben«, schnaubte ich und wollte mich wieder abwenden, um in unsere Wohnung zu gehen. »Ernsthaft?! Du lässt mich im Stich?«, rief mein Bruder und packte mich am Arm. »Komm schon, Loura, ein Mal« , sagte nun auch Cassy und grinste mich an. Ich verdrehte meine Augen. Die drei würden mich nerven, bis ich mitmachte. »Meinetwegen. Aber nur ein Mal«, knurrte ich und setzte mich auf den Stuhl, auf dem Ben vorher gesessen hatte. »Das ist mein Stuhl«, rief er. Ich schlug die Beine übereinander. »Jetzt nicht mehr.« Neil hatte sich inzwischen wieder auf seinen Stuhl gesetzt und so blieb Ben keiner mehr. Er schnaubte und reichte sein V-99 an Cassy. Bens Mutter hatte viel Geld und so hatte er immer die neuste Technik. »Und... wie läuft das jetzt ab?«, fragte ich genervt, ich wollte nicht mitmachen. Ben grinste mich an. »Wir schreiben alle eine Aufgabe auf«, fing er an und zeigte auf das Gerät auf welchem Cassy etwas eingab. »Dann zieht jeder eine Aufgabe. Wer es nicht macht, bekommt eine schlimmere Strafe. Diese muss gemacht werden.« Er grinste mich an und rülpste dann. Ich zog die Nase kraus und griff nach dem V-99, welchen mir Neil nun reichte. Ich hatte keine Ahnung, was ich schreiben sollte, also tippte ich: Stehe in der ersten Stunde auf und singe drei Minuten ein Lied. Dann gab ich Ben sein Gerät wieder. »Unser Gast darf heute als letztes«, sagte Ben und öffnete einen der Aufgabenlinks. »Küss jemanden«, las Ben vor. »Na, Cassy, dass kommt von dir, oder?«, schnaubte er und schaute dann mich an. »Soll ich unsere Spießerin küssen?«, fragte er in die Runde. Neil und Cassy stimmten sofort zu. »Wage es nicht«, zischte ich, als er einen Kussmund machte. »Küss doch Cassy, du Schwachkopf.« Das letzte, was ich wollte, war von einem angetrunkenen Ben geküsst zu werden. Dieser verdrehte die Augen und wandte sich dann zu Cassy. Diese lehnte sich sofort etwas vor und wich Ben nicht aus, als dieser sie für wenige Sekunden küsste. Ich schloss die Augen, ich wollte mir das nicht angucken. »Siehst du, Loura, ist doch gar nicht so schlimm«, lachte Cassy und ich schnaubte. Ich wusste, dass sie in Ben verliebt war, sie hatte es natürlich genossen. »Dann bist du jetzt dran, Cassy«, meinte Ben und diese drückte selbstbewusst auf eine der Dateien. Eine Sekunde später stöhnte sie auf: »Ich wette, das warst du, Neil. Ich hasse dich.« Neil lachte und lehnte sich zurück. Ich blickte von meinem Bruder zu Cassy. »Färbe dir deine Haare in Neonpink«, fauchte Cassy. Ich musste unweigerlich grinsen. »Ich denke, dass werden wir dann heute Abend machen«, verkündete Ben. Cassy schnaubte und blickte wütend zu Neil. Ich lächelte, noch machte es wirklich Spaß. Neil tippte ebenfalls auf einen Zettel. »Stehe in der ersten Stunde auf und singe drei Minuten ein Lied«, las er vor. Dann schnaubte er und verdrehte die Augen. Neil ging nur mit Cassy in eine Klasse, also würden Ben und ich nichts von dem Spektakel mitbekommen. »Loura, du bist«, meinte Ben. Er wusste, was nun kommen würde. Der letzte Zettel war von ihm. Ich tippte mit rasendem Herzen auf den Zettel. Vier Wörter sprangen mir ins Gesicht und mein Herz setzte einen Schlag aus. Am liebsten hätte ich das Gerät über den Rand des Balkons geworfen, damit niemand anderes dies lesen konnte. »Wie kannst du so etwas von mir erwarten? Das mach ich nicht.« Ben grinste und ich begriff. Er hatte mit dieser Aufgabe darauf gezielt, dass ich sie nicht umsetzen wollte. Er wollte mir eine Strafe geben. »Dann musst du wohl oder übel die Strafe machen«, lachte er und grinste mich an. »Ich darf sie mir aussuchen, da es meine Aufgabe ist«, fuhr er fort. Mein Herz raste immer schneller. »Ich bin dafür, dass du dir irgendetwas unter die Haut bringen lässt. Für immer. Ein Tattoo«, lachte er und schien sichtlich zufrieden mit sich und seiner Idee. Ein Kloß trat in meinen Hals, das konnte er nicht ernst meinen. »Und du musst es auf der Hand machen«, lachte er. Ich schluckte und blickte auf meine Hände. In meinem Kopf war nichts zu finden, ich hatte Angst.

Chroniken der Magie - LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt