10. Erinnerung

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Langsam wurde das Schwarz heller. Kleine Lichtpunkte glitzerten über mir. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinen Gliedern, doch ich konnte nicht sagen, woher er genau kam. Am liebsten hätte ich mich wieder der Dunkelheit hingegeben, doch es ging nicht. Also schlug ich die Augen auf. Ich blickte an eine weiße Decke, mein Blickfeld war beschränkt. Rechts und links von mir hingen weiße Vorhänge. Verwundert rieb ich mir die Augen. Wo bin ich? Warum bin ich hier? Nichts erschien einen Sinn zu ergeben. Die Schmerzen, die ich gespürt hatte, waren verschwunden. Also warum saß ich hier noch herum? Ich wollte aufstehen, doch meine Beine knickten unter meinem Gewicht weg. Verwundert stütze ich mich am Bett ab und ging so Schritt für Schritt in Richtung Vorhang. Ich erwartete fast, Mum und Dad hinter dem Vorhang zu sehen. Waren sie immer noch wütend wegen den 23 Punkten in Geschichte? Doch hinter dem Vorhang warteten nicht Mum und Dad, sondern zwei Mädchen. Ein kleines mit kurzen grünen Haaren und ein großes mit langen schwarzen. »Luna, du bist wach!«, jubelte das kleine. Verwundert blickte ich sie an. »Woher weißt du, wer ich bin?«, fragte ich sie misstrauisch. »Es tut mir so leid.« Die Kleine ignorierte meine Frage einfach! »Ich wollte dich nicht verletzen, ich war nur so wütend.« Ich runzelte die Stirn. Warum sollte sie mich verletzten? »Kennen wir uns?«, fragte ich sie, um sicher zu gehen. »Ja! Luna, es tut mir so leid... Ich hoffe, du verzeihst mir. Warte, was...?« Ihr Blick wandelte sich. Verwirrung trat in ihn. Nun schaltete sich das große Mädchen ein. »Weißt du nicht mehr, wer wir sind?« »Ich habe euch noch nie gesehen«, erwiderte ich knapp. Was sollte es bringen, so zu tun, als würde ich sie kennen. Ihr Mund klappte auf. »Ich hole Mrs. Lav«, murmelte die Grünhaarige und lief davon. Verwundert blickte ich ihr hinter her. »Woran erinnerst du dich?«, fragte sie. »An alles!« Warum stellten die Mädchen nur solche seltsamen Fragen? Die Kleine kam zusammen mit einer älteren Frau zurück. »Sie erinnert sich nicht«, klagte sie. »Ich bin mir sicher, dass sie dies tut, Dawn.« Das kleine Mädchen hieß also Dawn. Kurz blitzte ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Ein Dach, sie neben mir, nur mit langen Haaren. Doch so schnell wie es gekommen war, war es auch wieder verschwunden. »Nein, sie meint, sie hätte uns noch nie gesehen«, klagte Dawn. »Hallo, Luna«, sagte die Frau herzlich. »Guten Tag«, antwortete ich ihr und reichte ihr meine Hand, die sie herzlich schüttelte. »Wo bin ich hier eigentlich?«, fragte ich sie. Sie schien genauso verwundert wie Dawn und ihre Freundin. »Du bist im Krankenzimmer von unserer Schule.« »Was? Wie bin ich hierher gekommen?« Entsetzt starrte ich sie an. Dawn blickte schuldbewusst zu Boden. »Es gab einen Unfall. Setz dich doch.« Sie deutete auf die Bank, auf der vorher Dawn und die andere gesessen hatten. »Loura, Dawn kommt.« Die anderen setzten sich ebenfalls. »Nun, Luna, an was erinnerst du dich? Deine Zimmerkameradin meinte an nichts.« Sie lächelte mich an. »Ich hab's bereits gesagt, an alles! Und wie heißen sie eigentlich?« Sie legte die Stirn in Falten. »Mein Name ist Mrs Lav. Könntest du mir bitte erläutern, was das letzte ist, an das du dich erinnern kannst?« Langsam wurde mir das zu bunt, doch einer Krankenschwester wollte ich nicht widersprechen, also erzählte ich ihr, was ich gemacht hatte, bevor ich in die Schwärze getaucht war. »Ich war mit Stella auf dem Weg zur Schule. Wir haben uns darüber unterhalten, dass in zwei Wochen die Prüfungen für die magischen Schulen stattfinden.« »Stattfinden?«, wiederholte Dawn. Ich nickte. Warum behandelten sie mich wie eine Geistesgestörte? »Nun, Luna«, fing Mrs Lav an, »die Prüfungen waren bereits vor knapp vier Wochen.« Nun klappte mir das Kinn runter. Ich hatte die Prüfungen verpasst? »Du hast alle Prüfungen bestanden und bist auf Agrunus gekommen«, fuhr sie fort. Ich lachte auf, wie schön es wäre, auf Agrunus zu kommen. »Deine Gabe ist die Zeit anzuhalten.« Wieder ein Bild. Dieses Mal ein klareres. Ein Blitz, der aus den Augen eines Mädchens schoss. Aber alles war angehalten. Ich blinzelte und das Bild war wieder verschwunden. Doch ich konnte es mir wieder vor Augen rufen. Mrs Lav lächelte mich an. »Na, weißt du es wieder?«, fragte sie. »Was soll ich wieder wissen?«, hakte ich nach. Mrs Lav murmelte: »Die Reanimation muss sie ihr genommen haben.« Sie sprach in normaler Lautstärke weiter. »Dawn, geh ins Büro und sage Mr. Flors, dass wir Doktor Banter brauchen.« Dawn nickte, auch wenn ich in ihren Augen Angst aufflimmern sah.  Ich schlug die Beine übereinander, so wie es meine Hauptlehrerin Ms. Kalin immer machte. »Könnte mir bitte jemand erklären, warum ich genau hier bin?« Meine Bitte wurde nicht erhört. Denn Mrs Lav schien in Gedanken versunken und Loura starrte trüb vor sich hin. »Loura?« Bittend blickte ich sie an. Sie blickte auf, in ihren Augen glimmte Hoffnung. »So heißt du doch, oder?« Die Hoffung verschwand. »Ja.« »Warum bist du hier?«, fragte ich sie. »Ich und Dawn saßen vier Stunden hier und haben darauf gewartet, dass du aufwachst. Die Ranke hat bei mir locker gelassen, ehe sie mich töten konnte. Bei dir war es anders, du warst eine Stunde tot«, die letzten Wörter hauchte sie. Es hörte sich so abgefahren an. Ich musste losprusten. »Und warum sitze ich dann hier?« Loura seufzte. »Luna, du wurdest magisch reanimiert. Allerdings sind dabei deine Erinnerungen an Agrunus verschwunden.« Ich hörte auf, zu lachen. Natürlich gab es in guten Krankenhäusern magische Ärzte. Als Ruby eine Kopfplatzwunde gehabt hatte, hatte ein Arzt sie innerhalb von zwei Sekunden geschlossen. Ruby erschien vor meinen Augen. Klein und unschuldig, aber ihr Blick war wütend, als wollte sie sagen: »Bist du bescheuert?«

Chroniken der Magie - LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt