Epilog

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Ich stand vor der dunkelgrünen Pforte des Friedhofes. Mein Notizbuch in der linken, eine riesige Tüte mit Blumen in der rechten Hand. Eine Woche war ich schon zuhause gewesen, ehe ich mich durchringen konnte alle meine Freunde zu besuchen. Die Pforte mache kein Geräusch als ich sie mit meinem Fuß aufstieß und auf den Erdweg trat. Ich spürte, wie meine Finger anfingen zu zitternd und meine Knie langsam nachgaben. Ich bis mir auf die Lippe und ignorierte alles. Dann trat ich in den ersten Gang. Die Grabsteine waren auf eine bizarre Weise schön anzusehen. Früher hätte ich mir die Innenschriften durchgelesen und bei manchen vielleicht sogar gelacht. Heute nicht. Ich ging an grauen, schwarzen und weißen Steinen vorbei, bis ich zu einem dunkelgrauen Stein mit Jasminen kam. Loura Jasmin Pillms stand in verschlungenen Buchstaben. Direkt neben ihrem Grabstein stand ein schwarz glänzender Stein. Neil Jonathan Pillms stand auf ihm. Wir werden immer bei euch sein, und ihr bei uns. Im Herzen. Stand auf beiden Steinen. Ich ging in die Knie und zog zwei Blumen aus meiner Tüte. Tränen sammelten sich in meinen Augen. »Ich werde euch beide niemals vergessen. Ich hoffe, dass ihr das wisst. Es tut mir so Leid«, schluchze ich und legte die Blumen so hin, dass sie den eigenen Grabstein und den des anderen berührten. »Ich komme wieder. Bald. Versprochen.« Dann stand ich auf. Ich hielt es nicht noch länger in Louras Nähe aus. Es war, als wolle sie mich anklagen.

Ich ging den Gang weiter und betrachtete die Grabsteine. Hinter jedem verbarg sich ein Leben, welches zu Ende gegangen war. Ein Leben, welches niemand mehr zurück holen konnte. Eine Person, die weg war. Ich wusste nicht warum ich sie alle unter der Erde sehen wollte. Es war hart durch die Reihen zu gehen und zu wissen, dass um der Ecke vielleicht eine der Personen lag, die ich kannte.

Drei Wege weiter traf ich auf einen beigen Grabstein. Die Schrift war mit roten Flammen umzüngelt und ich wusste ohne den Namen zu lesen, wer vor mir lag. An. Ich machte mir nicht die Mühe, die Tränen aufzuhalten. Sie sickerten über meine Wangen und tropften auf meine Hände als ich nach einer dunkelroten Blume griff. »An, es tut mir so leid. Du hättest nicht sterben dürfen. Es ist so unfair...«, flüstert ich und strich über den glatten Stein. »Ich hoffe es geht dir jetzt besser, dass es da besser ist... da wo du jetzt bist.« So schnell es ging blickte ich zum nächsten Grab, ehe ich weiter ging. Ich hielt es nicht länger an den Orten aus, an denen leere Särge lagen.

Schnellen Schrittes ging ich weiter. Die Grabsteine sausten an mir vorbei und immer mehr Tränen rannen aus meinen Augen.

Dann blieb ich vor einem braunen Stein stehen. Stefanie Gray stand in klaren Buchstaben auf dem Stein. Nicht mehr und nicht weniger. Wieder griff ich in meine Tüte und zog eine weiße Blume heraus. Eine Blüte löste sich von ihr und segelte langsam auf den Stein. Ich sog scharf die Luft ein, als ich an ihren fallenden Körper dachte. Ich legte die Blume auf ihr Grab, ehe ich wieder aufstand. »Stefanie... verdammt, es tut mir so Leid. Du hattest es verdient weiter zu leben. Ich verspreche ich werde deinen Mörder fassen...«, versprach ich und dachte an den Jungen, der das Blut beherrschen konnte. »Bis bald«

Ich ging weiter. Inzwischen war es schon elf Uhr und langsam kamen einzelne Menschen auf den Friedhof. Schnellen Schrittes ging ich an einer älteren Frau vorbei. Ich wollte den Menschen nicht ins Gesicht gucken, denn in ihnen würde ich meine Trauer widergespiegelt sehen.

Erst zehn Minuten später blieb ich wieder stehen. Es hatte länger gedauert das Grab von Blu zu finden als ich erwartet hatte. Anders als bei den anderen bestand ihr Grab aus einem ungeschliffenen rötlichen Stein. Blu Myra Jacks war auf ihn geschrieben. Keine Gravur, kein Spruch. Es wirkte fast so, als wäre es den Eltern egal gewesen. Ich sank an ihren Grab auf die Knie. »Blu...«, schluchzte ich. »Blu... verdammt... Blu. Warum war ich so dumm? So unvorsichtig? Du hattest das Recht weiter zu leben. Wahrscheinlich hasst du mich... das hab ich auch verdient. Ich möchte nur, dass du weißt, dass es mir unfassbar leid tut.« Ich zog vier Blumen aus der Tüte. Zwei Gelbe und zwei Blaue. Ich verteilte sie so schön wie es ging auf dem Grab. Erst als ich zufrieden war warf ich einen Blick auf den Grabstein neben Blus. Mein Atem stockte. Dolphine Jacks. Blus Mutter lag neben ihr im Grab. Plötzlich fragte ich mich bei wem Blu gewohnt hatte. Bei ihrem Vater? Oder bei einer Pflegefamilie? »Es tut mir Leid«, murmelte ich wieder ehe ich mich von der toten Familie abwandte. Es waren nur noch zwei Gräber vor mir. Ich wusste ganz genau wo eines von ihnen war. Mum und ich waren bereits drei Mal hier gewesen. Zielsicher ging ich zwei Reihen entlang, bis ich auf einen hellgrauen und glattgeschliffenen Stein traf. Joshua Williems. Stand dort und wieder stritten sich die Gefühle in meinem Inneren. Ich vermisste meinen Bruder so sehr. Aber ich hasste ihn auch. Er hatte Freunde von mir umgebracht, sich den Hexoristischen angeschlossen. Unsere Familie verraten. »Josh du Arsch«, flüsterte ich als ich die Schwarze Blume auf sein Grab legte. »Verdammte Scheiße, warum Josh?«, zischte ich und haute mit der Hand gegen den Stein. Ich wusste, dass er irgendwo da draußen war. Und ich wusste, dass ich ihm egal war. Warum war es also nicht auch andersherum so? Ich drehte mich vom Grab weg. Dann machte ich mich schweren Herzens zum letzten Grab auf. Jeder Schritt war wie eine Qual für mich und ich musste mich zwingen weiter zu gehen. Die letzten vier Blumen wackelten im Korb hin und her und meine Finger krallten sich um das Notizbuch in meiner Hand.

Ich erreichte das Grab von Dawn. Der Moosbewachsene Stein stach heraus, genauso wie die Innenschrift: Aeternum ich wusste nicht, was es bedeutete aber das Wort machte mich traurig. An ihrem Grab standen frische Blumen. Viele verschiede Farben, viele Blumen mehr als ich hatte. »Hi«, flüsterte ich und legte die Blumen auf das Grab. Dann starrte ich auf den Stein. Ich hatte bereits alles gesagt. Dann setzte ich mich kurz entschlossen auf die Mauer hinter den Stein und starrte auf den Friedhof. Ich sah die grüne Pforte durch die ich hineingekommen war. Ich konnte Louras Grab entdecken, Ans, Stefanies, Joshs Steine. Plötzlich fragte ich mich warum wir Steine in die Erde setzten. Ich wusste, dass dies eine der wenigen Traditionen war die sich seit vielen Jahrhunderten durchgesetzt hatte und doch war es albern. Einen geliebten Menschen mit einem Stein zu verbinden. Es gab nichts kälteres, langweiligeres und ausdrucksloseres als Steine. Entschlossen klappte ich das Notizbuch auf und wischte mir über die Augen. Ich starrte auf das Foto meiner Familie, dann auf den Text von Mum. Wieder stiegen mit Tränen in die Augen.

Dann blätterte ich um und entdeckte meinen ersten Eintrag. Ich lachte auf während mir weitere Tränen über die Wangen liefen. Ich war so albern gewesen, so gutgläubig. Verbittert schloss ich das Buch und legte es neben mich. Ich zog die Knie auf die Mauer und umschlang sie mit meinen Armen. Ich beobachtete wie ein Junge vor einem Grab in die Knie ging und wie zwei Arbeiter ein Grab aushoben.

Dann ließ ich meinen Blick weiter wandern. Mein Blick blieb an einem Mädchen hängen, welches gerade durch die Pforte trat. Sie hatte unscheinbare graue Klamotten an - einen viel zu großen Pulli, eine zu kurze Hose – und schulterlange braune Haare. Sie kam mit schnellen Schritten in meine Richtung geeilt. Als sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt war blickte ich ihr in die Efeugrünen Augen. Mein Herz machte einen Satz, dass konnte nicht sein! Ich sprang auf und machte einen Schritt auf sie zu. Auch sie kam auf mich zu, dann fielen wir uns in die Arme. »Dawn«, flüsterte ich.

Chroniken der Magie - LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt