6. Der fröhliche Frosch

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Dann ging ich gemütlich durch die Gänge in Richtung Zimmer. Als erstes sah ich Clare, obwohl sie als Erste losgelaufen war, war sie inzwischen die Letzte. Ich schlenderte an ihr vorbei und wuschelte ihr durch die Haare. Ich wusste, dass sie das hasste. Als nächstes sah ich Loura, auch an ihr ging ich vorbei. Zwanzig Meter weiter war Dawn, die kleine war echt schnell. Aber ich bin schneller! Ich joggte, nur zum Spaß an ihr vorbei. Rückwärts lief ich durch die Gänge, in denen ich ab und zu erstarrte Schüler sah. Erst, als ich bei unserem Zimmer angekommen war, ließ ich die Zeit weiterlaufen. Dann lehnte ich mich gegen die Tür, um den anderen eine Überraschung zu bereiten.

»Geschummelt!«, schrie Dawn, kaum war sie bei mir angekommen. Sie war knallrot angelaufen. Ich musste grinsen. »Nein, schummeln darf man nicht! Aber ich darf meine Gabe einsetzen, wann ich will.« Dawn funkelte mich noch einen Moment an, dann hob sie die Hand. »Ach, ja?«, sie zog die Augenbrauen hoch. Ich nickte. »Ja, die Gaben sind nicht da, um sie verstauben zu lassen.« »Na dann.« Sie drehte ihren Zeigefinger so, dass er auf meine Füße zeigte. Wenige Sekunden später sprossen grüne Ranken aus dem Betonboden. Sie wickelten sich um meine Füße und brachten mich zu Fall. »Hör auf damit!«, rief ich panisch. »Wer hat gewonnen?« Das kleine Mädchen grinste mich an. »Du hast gewonnen«, seufzte ich. Dawn nickte zufrieden, und auf einen Fingerzeig verschwanden die Ranken wieder. Der Boden war unversehrt, so als wären hier nicht vor wenigen Sekunden zehn Zentimeter dicke Ranken aus dem Boden gewachsen. »Luna, was machst du auf dem Boden?«, rief Loura, sie war gerade angekommen und starrte mich an. »Dawn, ist sie wieder zusammengebrochen?« Ihre Stimme war unsicher. »Nein, nein«, versicherte ich ihr, doch Dawn nutzte natürlich die Gelegenheit, um ihr zu erzählen, was sie gemacht hatte: »Nein, ich habe Luna zu Fall gebracht!« Wieder trat das schelmische Grinsen auf ihr Gesicht. »Dawn? Loura? Ihr habt gewonnen.« Clare kam angelaufen. Als sie mich sah, blickte sie mich verwirrt an. »Hast du mich überholt?«, fragte sie. »Ne, Luna hat geschummelt.« meinte Dawn, ehe ich auch nur den Mund aufmachen konnte. »Gar nicht!« Ich stand auf und boxte ihr gegen den Arm. »Aua!« Sie sprang einen Schritt zurück und stolperte über Loura, dann fiel sie gegen die Tür. Diese wurde fast im selben Augenblick aufgerissen.

Moga stand in der Tür. Dawn lag auf Mogas Füßen.

»Leg dich woanders hin!« Die Augen der Lilahaarigen funkelten. »Oh, oh, Moga bekommt einen Wutanfall«, flüsterte Clare mir zu. »Das hab ich gehört, Clara.« »Ich heiß nicht Clara, ich heiße Clare!« In diesem Moment trat, zu unserem Glück, Zara aus dem Zimmer: »Die Erstklässler!«, rief sie. »Stimmt gar nicht! Wir sind schon... Oh...« Loura verstummte. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. »Warum steht ihr noch auf dem Flur?« Moga sah uns an. Ich zuckte mit den Schultern. Warum stehen wir überhaupt auf dem Flur? Moga winkte uns ins Zimmer. Seit wir hier waren, war es deutlich unordentlicher geworden, die vier Schreibtische, die vorher leer waren, lagen jetzt mit unseren Sachen voll und die Betten waren aufgewühlt. Katy saß an ihrem Schreibtisch und schrieb eifrig etwas auf ein Blatt Papier. Doch als wir die Tür – nicht gerade leise – zuschlugen, legte sie den Stift hin und drehte sich auf ihrem Stuhl um. Wieder lag der genervte Ausdruck in ihren Augen, der mich am ersten Abend so verwundert hatte. Es kam mir nicht so vor, als wären wir erst zwei Tage hier, sondern eher zwei Jahre. »Was macht man hier eigentlich nach dem Unterricht?«, fragte ich so beiläufig wie möglich. »Hausaufgaben«, grummelte Katy und schrieb weiter. »Also, nachmittags kann man entweder in den Hobbyraum gehen oder man macht, wie Katy schon gesagt hat, Hausaufgaben.« Sie verdrehte die Augen. »Aber ich gehe meist zu anderen Leuten in deren Zimmer.« Loura nickte langsam, als brauchte ihr Gehirn sehr viel Zeit, um alles zu kapieren. »Wir könnten doch deinen Bruder besuchen, Loura, er ist sicher einsam ohne dich«, meinte Dawn. »Gute Idee, wir können mal schauen, ob er nette Zimmerkameraden hat.« Clare schien begeistert, mich ließ die Idee eher kalt. Neil war ein Angeber und dazu noch sehr nervig, warum sollte man freiwillig zu ihm gehen? »Nett im Sinne von nett oder im Sinne von nett?«, fragte Dawn wie ein kleines Kind. Clare verdrehte die Augen und sprach dann zu Dawn wie mit einem kleinen Kind. »Nett, im Sinne von nett.« Doch Dawn schien es nicht bemerkt zu haben. »Schade.« Sie versuchte, traurig zu gucken, aber ihre Augen lachten wie immer. Auch Loura schien jetzt fertig mit denken. »Ja, wir können Neil besuchen.« Aber ihr Blick sagte mir: Bloß nicht, das endet doch in einer Katastrophe! »Dieses Mal aber kein Wettrennen«, meinte ich bestimmt, ehe Dawn auf die Idee kam. »Schade!«

Chroniken der Magie - LunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt