Eine Druckwelle ging durch den Raum und ich wurde nach hinten geschlagen. Mein Kopf knallte gegen etwas und ich sah Sterne. So schnell es ging rappelte ich mich wieder auf, wurde aber fast sofort wieder zurück geschleudert. Im letzten Moment zog ich den Kopf ein, sodass nur meine Schultern gegen etwas spitzes gedrückt wurden. Ich fasste vorsichtig an sie und fühlte etwas warmes. Blut! Ein drittes Mal rappelte ich mich wieder auf und wurde wieder zurückgeschleudert. Dann stand eine Frau über mir. Ihr Gesicht war kantig und ihre Schlitzaugen funkelten mich hasserfüllt an. In ihren von Narben übersäten Händen hielt sie eine mächtige Axt. Die Axt glitzerte bläulich. Tödlich. »Dein Leben ist vorbei«, flüsterte sie mit einer wunderschönen Stimme. Angst schnürte mir die Kehle zu und ich stellte mir vor, dass alles um mich herum erstarrte. Mein Herz pochte, als wollte es aus meinem Körper rennen. Ängstlich öffnete ich die Augen. Die Axt war ein paar Zentimeter vor meinem Kopf erstarrt. Vorsichtig rutschte ich so weit wie es ging von der scharfen Schneide weg. Auch die Frau, welche die Axt geschwungen hatte, war erstarrt, doch im Rest der Halle hörte ich Schreie. Ich ging um die Axt herum und versuchte, sie aus der Hand der Frau zu ziehen. Erst jetzt fiel mir das Zeichen an ihrer Uniform auf: ein hellblauer Kreis mit der Sonne. Das Zeichen von Welus. Ich musste schlucken, wenn diese Leute von Welus waren, hatten sie auch alle Gaben! »Was hast du mit ihr gemacht?«, schrie mich jemand an. Ich fuhr herum und stand einem der Mädchen gegenüber. Auch in ihrer Hand befand sich eine Waffe: ein langes Schwert. Es funkelte silbern und sprühte goldene Funken. »Was hast du mit ihr gemacht?«, kreischte das Mädchen erneut, sie hatte langes graues Haar, welches ihr in Bergen vom Kopf stand. Ehe ich antworteten konnte holte sie mit ihrem Schwert aus und schnitt mir in den Arm. Ich schrie vor Schmerzen und fasste mir an den Arm. Das Mädchen holte erneut aus, doch dieses Mal war ich schneller, ich tauchte unter ihrem Schwert durch und rammte ihr, so doll ich konnte, die Faust in die Magengrube. Sie keuchte auf und taumelte kurz, ehe sie wieder ausholte. »Tim, teka kene langsung lan bantuan kula!«, brüllte sie während sie versuchte, mich zu erwischen. Die Sprache kenne ich! Das ist die Sprache, ... die Clare oftmals spricht ... Ich verdrängte den Gedanken und wich erneut einem Schwerthieb aus. Ein Junge kam durch die ganze Halle gerannt. »Okay, Suna, aku teka lan mbantu adhine!«, brüllte er, hob die Hand und ein Zischen ertönte. Ich duckte mich reflexartig. Hinter mir konnte ich ein weiteres Zischen hören. Als ich einen Blick zu dem Punkt warf, an dem seine Gabe eingeschlagen war, musste ich mit Schrecken feststellen, dass dort fast gar nichts mehr übrig war. »Ach du heilige Scheiße«, murmelte ich. »Hast du etwas gesagt, Schwächling?«, höhnte das Mädchen. »Penting, Suna, kita kene ora kanggo seneng-seneng«, fauchte der Junge. Ich konnte sehen, wie das Mädchen die Augen verdrehte. Ich versuchte so leise wie möglich davonzukommen, doch der Junge hob die Hand. »Bleib stehen, Senigit«, fauchte er. Mein Herz pochte wieder schneller und ich suchte nach einem Ausweg. »Cepet lan ora krasa lara?«, fragte sie und grinste mich an. »Cepet lan ora krasa lara!«, brüllte der Junge und deutete mit der ausgestreckten Hand auf mich. Ich ließ mich, ohne zu zögern, auf den Boden fallen. Ein starker Schmerz durchzuckte meinen getroffenen Arm. Das Mädchen lachte hämisch. »Deleng, Tim! Minangka panggang a.« Ich rollte mich auf dem linken Arm ab. Millisekunden nachdem ich meinen Platz verlassen hatte, sauste das Schwert des Mädchens auf die Stelle. Der Junge hob die Hand und ein Zischen ertönte. Ich rollte mich weiter, bis ich zwei Meter von den beiden entfernt war. Verwundert sah ich, dass sich die beiden im Schneckentempo bewegten. Kaum hatte ich es bemerkt, war es auch schon vorbei und die beiden kamen auf mich zugelaufen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass alles erstarren würde.
Als ich sie wieder öffnete, waren auch die beiden erstarrt, doch ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Von verschiedenen einzelnen Personen die Zeit anzuhalten war am schwierigsten. Ich rappelte mich mühsam wieder auf und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Dann sah ich die anderen. Dawn hatte sich von Ranken an die Decke der Halle ziehen lassen und wurde von zwei Älteren stetig befeuert. Loura stand in der Mitte der Halle, kleinere Metallteile flogen um sie herum. Neil wurde von einer Frau bedroht und Clare konnte ich nirgends entdecken. Jeder schien Hilfe zu brauchen und auch mir ging es nicht gerade gut. Meine Armwunde blutete und hatte meine halbe Jacke bereits dunkelrot gefärbt. Auch die Kopfplatzwunde, welche ich mir bei der ersten Druckwelle zugezogen hatte, blutete noch. Ich nutzte die kurze Zeit, um meinen Rucksack abzulegen. Er war zerfetzt und ein großes Brandloch hatte die Hälfte des Stoffes weggefräst. Das Loch qualmte und ich machte mir wenig Hoffnung, dass noch etwas in ihm heil geblieben war. Trotzdem öffnete ich ihn und stellte mit Freude fest, dass das Notizbuch unversehrt war. Ohne zu zögern steckte ich es in meine Jacke und warf den Rucksack weg. Dann atmete ich tief durch. Mir wurde bewusst, was für ein Fehler es gewesen war, zu atmen. Denn die drei in der Zeit gefangenen Angreifer erwachten wieder zum Leben. Die Frau rammte ihre Axt in den Boden und die anderen stolperten vorwärts. Ich verfluchte mich innerlich und stand auf. »Kita njaluk iku liwat karo!«, brüllte der Junge, stand auf und streckte die Hand aus. Ich war darauf gewappnet so schnell es ging zur Seite zu springen. Doch es kam kein Zischen. Stattdessen hörte ich einen Schmerzensschrei. Der Junge sackte in sich zusammen. Erst starrte ich ihn verwundert an, bis ich ein Metallteil sah, was kurz hinter ihm lag. »Tim!«, kreischte das Mädchen und stürzte zu dem Jungen. »Tim! Wach auf! Tim! Tangi!«, kreischte sie und schüttelte ihn. Die Frau kam zu den beiden gerannt. »Suna, sampeyan kudu kuat. Tim, wis tatu. Aku sengit rampung lan sampeyan lagi nglindhungi wong«, sagte die Frau. »Dheweke kudu teka bali. Panjenenganipun namung wis«, antwortete das Mädchen und schluchzte auf. »Yen sampeyan krungu marang, Suna, kang bakal tangi«, sagte die Frau kalt. Ich verstand kein Wort. Dann nickten sich die beiden zu. Die Frau hob ihre Axt auf und musterte mich abschätzig. »Deine letzte Stunde hat geschlagen«, stellte sie fest. Dann warf sie die Axt hoch in die Luft richtete ihre Hand auf mich und flüsterte etwas. Dann floss etwas Schwarzes aus ihren Händen. Ich wollte zurückweichen, doch die Flüssigkeit – was auch immer es war – hatte bereits eine Art Käfig um mich gebildet und sich verhärtet. Ich versuchte, mich voll Angst zwischen zwei der Streben hinauszuquetschen, doch sie waren zu eng aneinander. Die Frau lachte. »Es gibt kein Entkommen aus dem Kandhang of Death.« Dann hob sie die Axt und strich mit dem Finger über das glänzende Blatt. Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass sie mit der Axt den Käfig und mich zerschlagen würde, doch auch dieses Mal geschah es nicht. Ich öffnete die Augen wieder und stellte fest, dass ich mitsamt Käfig vom Boden abgehoben war. Um jede Wand war eine grüne Ranke geschlungen. Dawn. »Geht's dir gut, Luna?«, fragte sie, während sie einen Feuerstrahl abwehrte. »Wie man es nimmt«, murmelte ich und verzog das Gesicht. »Was ist?«, fragte sie. »Mein Arm ...«, fing ich an. »Hilfe!«, unterbrach mich ein Schrei. Clare kam hinter einem Schrotthaufen hervor. Ihre Klamotten waren zerrissen und ich konnte eine Wunde auf ihrem Kopf sehen. »Wir müssen ihr helfen!«, kreischte ich. »Mach du das!«, brüllte Dawn zurück, dann zersprang der Käfig. Ich fiel von der Decke Richtung Boden. Im letzten Moment hielt ich die gesamte Zeit an. Wie vor zehn Wochen auf dem Dach konnte ich nun in der Luft laufen. So schnell wie ich konnte, begab ich mich auf den Boden, dann betrachtete ich die erstarrten Menschen um mich herum. Loura schien gegen ihre Gegner zu verlieren und auch Clare sah nicht gut aus. Wir hatten keine Chance. Was soll ich nur tun? Ich kann doch nicht ewig die Zeit anhalten! Aber ich könnte versuchen, einzelne Personen mit mir zwischen die Zeit zu ziehen ... Hat Doktor Jacks nicht davon gesprochen? Aber was, wenn ich es nicht schaffe, uns zurück zu bringen? Es ist zu riskant. Ich schüttelte den Kopf, atmete auf und ließ sie Zeit weiterlaufen. Loura, Clare und alle anderen bewegten sich weiter. Der Kampf nahm wieder Fahrt auf und ich wurde von hinten angeschrien. »Du entkommst mir nicht, Senigit!«, schrie die Frau mit der Axt. Ich duckte mich vor einem Schlag und biss mir auf die Lippe, meine Armwunde brannte höllisch. »Warum tut ihr das?«, fragte ich, während ich zurückwich und fast von der Axt zerteilt wurde. »Weil ihr von Agrunus seid! Meinen Onkel habt ihr bereits ins Verderben gestürzt, aber ich werde euch alle abschlachten!« Ich blieb verwirrt in der Bewegung stehen. Onkel?, wunderte ich mich. »Pass auf, Luna!«, kreischte Loura von irgendwo her. Die Axt war wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt! In letzter Sekunde ließ ich mich auf den Boden fallen und schrie vor Schmerz auf. »Nicht so schlau, auf die Armwunde zu fallen, wie?«, fragte die Frau abschätzig. Ich schnappte nach Luft, drehte mich zur Seite und sprang, so schnell ich konnte, auf. Ich sah meine einzige Chance, ihr zu entkommen, in der Flucht. Also begann ich durch den Raum zu sprinten. Meine Flucht wurde durch zahlreiche Müllhaufen erschwert und einmal wäre ich fast hingefallen. Dabei hörte ich die Frau hinter mir schnaufen, was mich nur weiter anspornte. Ich rannte auf die Hallentür zu. Die Axt sauste über meinen Kopf und bohrte sich in die Tür. Dann wuchsen bläuliche Tentakeln aus ihr und verschlossen mir den Fluchtweg endgültig. Ich drehte mich ängstlich zur meiner Gegnerin um und erwartete, dass sie eine andere Waffe zog, um diese in meine Brust zu rammen. Doch sie zog keine Waffe, stattdessen warf sie die Jacke von ihrer Uniform ab. »Dann halt die gute alte Faust«, zischte sie. Erst begriff ich nicht, was sie meinte, doch dann sah ich es: Aus ihrer Faust kam auch die schwarze Flüssigkeit. Sie verfestigte sich in ihren Händen und formte sich zu einem großen Schwert. »Leb wohl«, lachte sie, hob das Schwert und ließ es hinab sausen. Ich hob die Hände über den Kopf und wartete auf den Schlag. Dann hörte ich einen wütenden Aufschrei, verwirrt blickte ich hoch und sah etwas Silbernes um mich herum leuchten. Sie versuchte immer wieder ihr Schwert durch das Silberne zu rammen, doch es prallte jedes Mal ab. »Wie kann das sein? Ich dachte, sie kann die Zeit anhalten!«, wütete die Frau. »Ruhig, Ana! Keinen Verdacht schöpfen!«, hörte ich jemanden zurückrufen, ich blickte mich nach der Stimme um, da stand ein großes, schlankes Mädchen. Ihre eisblauen Augen blickten ausdruckslos zu mir, ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich gezogen und ihre Hände zu Fäusten geballt. Sie trug wie alle anderen eine blaue Uniform, allerdings war diese nicht von Dreck, Blut und anderen Dingen übersät. »Wer bist ... Clare? ... Du?«, stammelte die Frau und blickte unsicher zwischen mir und dem Mädchen hin und her. »Ja. Mach dir keine Sorgen um sie! Luna wird uns nicht verstehen.« Ich starrte die beiden an. Ich kann euch sehr wohl verstehen!, dachte ich triumphierend. »Wie soll ich sie töten?«, fragte Ana, während sie erneut mit dem Schwert auf das Silberne einschlug. »Warte kurz. Ich werde sie dazu bringen, die Mauer fallen zu lassen.« Ich starrte sie erstaunt an. Ana nickte und schlug erneut zu. Das Schwert zersprang und sie fluchte auf. Ich schloss die Augen und versuchte den Schmerz in meinem Arm zu verdrängen und den Kopf frei zu bekommen. »Luna!«, hörte ich dann Clare kreischen. »Hilf mir!« Ich sah meine Freundin an, zwei der Welus G-Leute kamen auf sie zu gesprintet. »Gute Idee!«, rief Ana Clare zu. Diese nickte kurz – ich verstand die Welt nicht mehr. »Luna!«, kreischte Clare erneut. Ich blickte sie an und erkannte die schreckliche Wahrheit: Clare war nicht die, die sie vorgab zu sein. Sie war eine Spionin von Welus, welche mir etwas in den Arm gepflanzt hatte. Sie war eine der Gestalten vor der Schule gewesen. Clare Neiho existierte nicht wirklich. Ich starrte meine »Freundin« an. »Warum?«, hauchte ich. »Luna, hilf mir endlich!«, brüllte Clare, doch jetzt konnte ich die Unechtheit sofort heraushören. »Warum hört sie nicht?«, fragte Ana sie und warf sich gegen den silbernen Kokon, welcher mich umgab. Ich achtete gar nicht auf die beiden. Wenn Clare ein hinterhältiger Spion von Welus war, welchen Personen konnte ich dann noch trauen? »Warum schaust du nur, Luna? Hilf mir endlich!«, brüllte Clare. Ich sah sie an, Hass brodelte in mir auf. »Du Lügnerin!«, kreischte ich. Clare starrte mich fassungslos an. »Hä?«, fragte sie und strampelte, doch ich konnte erkennen, dass die beiden Welus–Krieger sie nicht verletzten. »Du warst das Mädchen eben!«, schrie ich zu Clare. Den Kampf hatte ich fast vergessen. Dann sah ich das Mädchen, welches ich für Clare gehalten hatte, es stand auf der anderen Seite der Halle und lächelte kalt, dann löste es sich auf. Ich starrte auf die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte. »Danke, Kass!«, rief Clare und blickte in Richtung von einem der Gegner. »Kein Problem. Du darfst nicht erkannt werden«, antwortete Kass. Ich schaute zwischen Clare, Kass und der Stelle hin und her. Sie musste einfach Clare gewesen sein.
Eine erneute Druckwelle flog durch den Raum, ich wurde zurück geschleudert und hörte ein Donnern. Erschrocken blickte ich nach oben. Große Brocken brachen aus der Decke, Angst durchfloss mich: Die Decke stürzte ein! Ich hob die Hände über meinen Kopf und traute mich kaum, mich zu bewegen. Dann sah ich die anderen hektisch herumrennen. Loura stand mitten im Raum, ein starker Wind umschloss sie. Dawn hing immer noch an der einstürzenden Decke. Die Welus-Krieger versammelten sich um den verletzten Jungen. Clare war bei ihnen! Neil wurde von Dawns Ranken eingeschlossen und ich stand hilflos im Raum. »Lebt wohl, Senigit!«, rief Clare. Ein erneuter Knall ertönte und die Krieger verschwanden. Dann fielen die Deckenteile herab. »Nein!«, brüllte ich. Ich schrie alles aus mir heraus, es würde kein Entkommen geben. »Steh auf, Luna!«, sagte mir eine ruhige Stimme. Wie mir geheißen, stand ich auf und sah mich um. »Hol mich raus und leg mich auf den Boden!« Ich verstand nichts. »Was?«, fragte ich. »Zu spät!«, rief die Stimme, dann brach die Decke endgültig über uns zusammen.
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Chroniken der Magie - Luna
Fantasy∆ Teil 1 ∆ Vier Prüfungen müssen alle Kinder bestehen. Die Prüfungen sind sehr hart und gefährlich, doch durch sie bekommen die Fünfzehnjährigen eine einmalige Chance. Wer die Prüfungen besteht, darf auf eine der fünf magischen Schulen und dort die...